Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.41

Das Logbuch geht weiter: Von Hồ Chí Minh bis Ho Ho Ho ...

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… haben wir einen langen, langen Weg zurückgelegt. Ein alter Bekannter, der mittlerweile beachtliche 55 Jahre Kulturarbeit als Manager, Veranstalter, Filmschaffender und Ausbilder auf dem Buckel hat, hält diesen Donnerstag seine Abschiedsrede. Darin beklagt er unter anderem, dass die Jungen ihre Seele an das Internet verloren und sich mittlerweile vom ursprünglichen Anspruch der alternativen Medienarbeit, andere Inhalte als die Etablierten anzubieten, weit entfernt hätten. Genau genommen betreibe der Nachwuchs mehr oder weniger reine Selbstdarstellung respektive Produktwerbung und wolle – eine halbwegs verwertbare Qualifikation vorausgesetzt – viel Geld mit wenig Arbeit verdienen.

Nun ja – von „Ho Ho Hồ Chí Minh“ bis zur RAF waren nicht alle Schritte logisch oder intellektuell zwingend und der Versuch, die Lehren asiatischer Kommunisten auf die westdeutsche Wirtschaftswundergesellschaft anwenden zu wollen war sicher recht blauäugig – doch eines muss man der sogenannten „Achtundsechziger“-Kulturgeneration lassen: Sie hat vieles in Frage gestellt, nach Alternativen gesucht und an neuen Lebens- und Arbeitsmodellen herumlaboriert. Dabei wurde nicht ständig auf die Uhr geguckt und überprüft, wie sich die vielen investierten Stunden auf den Kontostand auswirken. Immerhin hatte man – auch wenn man sich als „Protestler“ oder gar „Gammler“ positionierte – die Arbeitsethik der Aufbaugeneration noch in den Genen und konnte darauf zurückgreifen, wenn das Projekt oder die Initiative, die einen begeisterte, es erforderte. Viele junge Leute heute glauben scheinbar wirklich, dass sich die Welt durch Eloquenz statt Engagement erobern lässt. Auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem „American Way of Live“ war früher stärker vorhanden – während heute dermaßen viel Schwachsinn aus „den Staaten“ – alleine schon die Begrifflichkeit impliziert, dass es keine anderen als genau „diese“ Staaten“ gibt – übernommen wird, dass es einen gruseln kann. Wir werden von stets gleich aussehenden „Halloween“-Kürbissen belästigt, hetzen am „Valentinstag“ durch die Gegend, um irgendwas Kitschiges für unser Herzchen zu ergattern, backen sturzlangweilig schmeckende „Muffins“ und in der just beendeten Adventszeit diesen Jahres sehe ich in unserem Treppenhaus erstmalig einen Fußabtreter mit der Aufschrift „Ho! Ho! Ho!“. In Erinnerung an degenerierte Weihnachtsmänner aus amerikanischen Filmen schaue ich gleich nach, was es damit auf sich haben mag und die Lösung ist, wie nicht anders zu erwarten war, verblüffend simpel: Es geht um ein weihnachtliches Rauslassen der Sau mit Freunden in Ermangelung der Option, etwas Sinnstiftendes mit sich und seiner Zeit anzufangen.

Ebenso verstümmelt wie die Kurzform „Santa“ für den Weihnachtsmann generell ist die gerade in Mode kommende Comic-Form für höhnisches Gelächter so hohl, hohler, und am hohlsten, dass sie sich einfach durchsetzen muss – denn nach unten ist die Richterskala kultureller Geschmacksniveaus offen. Und gerade zu Festtagen mögen es viele ja normiert – einheitliche Codes vereinfachen den ohnehin schon recht reduzierten Kommunikationskanon. Deshalb gilt für mich – bei aller Hoffnung auf eine Rückkehr zur Romantik: Weihnachten kann kommen und dann schnell auch wieder gehen. Dahin, wo der Pfefferkuchen wächst und die Zimtsterne am Firmament über den LED-Rentierschlitten prangen. Immerhin eindrucksvoll ist der schnelle Abbau der innerstädtischen Blockhütten-Blockade. Verstellen die Fressalienbuden am 22.12. noch die gesamte Innenstadt, ist einen Tag vor Heiligabend nichts mehr von diesem Zinnober zu sehen – als habe er nie stattgefunden. So mag ich Weihnachten mittlerweile fast am liebsten: als eine Illusion, eine Fata Morgana, etwas, das bei all seiner trügerischen Strahlkraft eigentlich gar nicht wirklich da ist.

Am allerliebsten allerdings mag ich das Weihnachten aus den Kindheits-Erinnerungen – als Amerika noch ganz weit weg war und der Opa mir einen Planwagen für das „Cowboy- und-Indianer-Spielen“ schenkte. Ein so gutes Weihnachten wird es wahrscheinlich nie wieder geben.

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