Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.42

Das Logbuch geht weiter: Die Kunst der Krisselei

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Ab und zu hat mein Monitor einen Wackelkontakt. Dann krisselt das Bild in vielen flimmernden Farbpünktchen und zeigt eine Graumelierung ohne jegliche Abbildung der gerade geöffneten Datei oder des Desktops. „Digitales Rauschen“ kann man diesen Effekt auch nennen – viele kennen ihn, doch nur wenige besitzen die Chuzpe, ihn ins Museum zu hängen. Zum Beispiel ins Sprengelmuseum, wo ein Fotokünstler aus Ostberlin gerade eine Sonderausstellung hat, und siehe da: Auch er hat changierende Krisseleien für sich entdeckt und als quadratmetergroße Drucke an die Wand gebracht – neben anderen Themen wie dem akribisch dokumentierten Auspacken seiner Photoshop-Software-CD, was so ungefähr gegen Ende der 1990er-Jahre gewesen sein dürfte. Das sieht man auch daran, dass auf dem Paket noch kein „Amazon“-Logo prangt, sondern ein sehr dezentes „Adobe“-A zu sehen ist. In der Krisselei übrigens bestätigt sich auch die Auffassung von Beuys, dass nicht das Kunst sei, was besonders kunstvoll ist, sondern das, was kraft einer entsprechenden Haltung zu Kunst stilisiert wird. Wäre die Krisselarbeit kein „Print“ auf Papier, sondern die Echtzeitübertragung aus einem angeschlossenen Rechner, könnte das aufmerksame Personal dieses Werk eventuell mit dem Hinweis abschalten, dass hier wohl etwas kaputt sei.

Heute gibt es zu allem ja auch immer gleich einen Film, und so erfahre ich vom Künstler per Videobotschaft, dass er in einem Stadium angelangt sei, in dem er die Fotografie komplett aus seinen Arbeiten entfernt habe. Doch ursprünglich sei er als Fotograf angetreten, erfährt man im selben Video. Ist er nun also auch selbst komplett aus seiner Arbeit verschwunden? Es gibt in dieser Ausstellung auch richtig klassische Fotos mit Stadtansichten, die sind um 1998 entstanden. Also im letzten Jahrtausend – und so sehen sie im Vergleich auch aus: nämlich analog, was sie übrigens auch technisch sind. Und man sieht der Mehrzahl dieser analogen Fotos an, dass der Künstler sehr passabel fotografieren kann. Was bei anderen Motiven, wie zum Beispiel einem ebenfalls krisselig aufgeblasenen Drogen-Smiley-Icon, mitnichten deutlich wird.

Nun bin ich ja ein durchaus kunstaffiner Mensch, habe das Fach selbst studiert und stoße anlassbezogen auch selbst immer mal wieder auf Texturen oder Artefakte in meinen Arbeiten, denen ich ein angemessenes Eigenleben zugestehe. Doch suche ich stets nach einem Sinn, nach Entsprechungen und konzeptionellen Gründen, die technische Parameter wie Auflösung, Rauschen und andere Limitierungen oder Störungen als Anmutungsqualität in die Arbeit integrieren können, jedoch nicht als alleinige Legitimierung des Kunstwerks dienen sollten.

Für wen werden diese zumeist auffallend großformatigen Studien und Stadien eigentlich gefertigt: für den Künstler selbst, für Kuratoren und Stipendiumsgeber, für anonyme Sammler oder gemischtes Publikum? Für letzteres sicher nicht, denn wie ein Kuchendiagramm am Eingang zeigt, sind die Besucher des Museums alleine von der Altersstruktur her nicht deckungsgleich mit der Durchschnittsbevölkerung, die voll im Berufsleben steht, um 20 Uhr die Tagesschau einschaltet und eventuell noch einen Hopper-Druck in der guten Stube hängen hat. Unwillkürlich frage ich mich, welchen Stellenwert Kunst in unserer heutigen Gesellschaft eigentlich noch hat. Und warum es zumeist die eher klassisch analogen Fotos sind, die niedriger dimensioniert die Wände zieren – gerade so, als messe man dem traditionellen Handwerk einen geringeren Stellenwert als neumodischen, jedwede individuelle Handschrift nivellierenden oder gar negierenden Techniken zu, die lediglich durch ihr Format in eine Reihe mit raumgreifenden Malereien von Tintoretto bis Richter gestellt werden könnten. Die Betonung liegt auf „könnten“ – denn besser lässt man es. Würde man sie direkt danebenhängen, wären die Diskrepanzen bezüglich des Arbeitsaufwands, der Kunstfertigkeit und Tiefe in der inhaltlichen sowie formalen Auseinandersetzung nicht mehr zu übersehen – von einer Botschaft ganz zu schweigen.

Wieder tauchen Thesen auf wie „Media is the message“ (Marshall Mac Luhan) und „Die Marke ist die Botschaft“ (meine Wenigkeit, wenn ich da keine Quelle übersehen habe). Zurückkommend auf meinen Monitor-Wackelkontakt ließe sich an dieser Stelle trefflich die These aufstellen: „Mistake is the message“.

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