Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.44

Das Logbuch geht weiter: Vom verlorenen Kaiser zur deutschen Eiche

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Die Nummer dieses Blogs, der seit nunmehr genau 200 Wochen erscheint, könnte als Schnappszahl Anlass für ein ganz besonderes Thema sein. Doch für welches? Dass wir mal wieder Kriegspartei – diesmal gegen den Jemen – geworden sind, ist ja nichts Besonderes. Die „Bärbock“ toppt den Fischer mittlerweile locker – und dabei fliegen nicht mal mehr Tomaten. Hat der von Palästinensern gestählte Provokateur mit dem Hamstergesicht seinerzeit noch redlich versucht, die grünen Genossen für seine Intervention in Jugoslawien zu „angeln“ (nomen est omen), habe ich gegen die Bärendienste der jetzigen Außenministerin noch keinen Widerspruch vernehmen können. Wir akzeptieren alles, haben uns daran gewöhnt, dass in Regierungen mit grünem Außenministerium Krieg mit deutscher Beteiligung herrscht. Einer von vielen Indizien dafür, dass aus den vergangenen Kriegen mit maßgeblicher deutscher Beteiligung nicht wirklich nachhaltig gelernt wurde. Unsere vielbeschworene „Erinnerungskultur“ beschränkt sich – jetzt bin ich explizit in Hannover – lieber auf einige KZs, die hier gerade aufploppen. Bemerkenswert, dass wir Deutsche immer alles so fein säuberlich trennen können.

Nur was den „Kaiser“ betrifft, da gibt es keine zwei Meinungen: wir brauchen einen – und wenn's ein Fußballer ist. Da nimmt man sogar einen Bayern in Kauf – fraglos allerdings eine Lichtgestalt und aus einer Zeit, in der von Diversität und Genderei noch keine Rede war, aus einer Zeit, als die Grenze zwischen „Leck mich am Arsch“ und vor aller Augen die Hosen herunterziehen eine fließende war und selbst eine Autortät wie der Bundestrainer anerkennen musste, wer auf dem Platz dennoch die Hosen anbehält. Keine geringere als die X. WM war es, auf der sich der Franz mit dem Pokal krönte – was ist dagegen schon der diese Woche gekrönte „Frederik X.“? Und weil deutsche Helden stets eine gewisse Tragik verkörpern müssen, war der Abschied des Kaisers ein sehr denkwürdiger: Geschlagene fünf Tage lang habe ich überhaupt nichts von seinem Tod erfahren und erst als er bereits beerdigt war, standen in Fröttmaning pünktlich zum ersten Spiel des Jahres alle stramm. Nach Bekanntwerden seiner unrühmlichen Verwicklungen um die WM-Vergabe nach Deutschland war „der Kaiser“ völlig von der Bildfläche verschwunden – konsequenter Rückzug aus der Öffentlichkeit statt öffentlicher Demontage. Eine derartige Konsequenz ist in Kreisen der zumeist medien- und öffentlichkeitssüchtigen Promis selten. Hut ab und ein letztes Mal Respekt, Herr Beckenbauer! Wie bedeutend der Mensch und Fußballer für sehr, sehr viele gewesen sein muss, wird noch einmal deutlich, als die deutscheste aller Spielfeld-Eichen, Stefan Effenberg, vor laufender TV-Kamera in Tränen ausbricht.

Für mich persönlich bedeutender sind die Eichen am hannoverschen Südschnellweg, die noch ein letztes Mal die winterliche Kälte der vereisten Maschwiesen an den Wurzeln spüren dürfen, bevor sie geopfert werden: für die zukunftsverachtende Politik rückgratloser SPD-Machthaber, die so gar nichts mit Verantwortung, Nachhaltigkeit und Demokratie zu tun hat, sondern ein anachronistisch imaginäres Verkehrswachstum propagiert, für das die Herren im Höllenkeller der niedersächsischen Geschichtsschreibung braten sollen. Gerade habe ich darüber nachgedacht, ob wir heute anlässlich des „Endes der Leinemasch, wie wir sie kennen“ einen der vielen Polizisten fragen hätten sollen, mit welchen Gefühlen er seinen Auftrag ausführt. Doch wahrscheinlich bin ich deswegen nicht auf die Idee gekommen, weil er wie eine KI geantwortet hätte: emotionslos und frei jeder Erkenntnis. Was nur wieder meine These bestärkt hätte, dass nicht die KI dem Menschen, sondern der Mensch der KI angepasst wird. Das mit den Emotionen war früher sicher anders, wenn auch beileibe nicht immer besser, wie mein letztes Thema für diese Woche belegt.

Der 105. Todestag Karl Liebknechts wird von Kollisionen mit der Polizei begleitet. Ich frage mich, wie stark die Emotionen die damaligen Polizisten wohl gewesen sein müssen, um ihn und Rosa Luxemburg derart brutal und hinterhältig zu ermorden. Und das nur, weil er SPD-ler und gleichzeitig gegen den Krieg war? Eine Kombination, die heute noch seltener als damals zu sein scheint. Ganz davon abgesehen, dass es eine „linke“ Gesinnung wie die des Karl Liebknecht in dieser hoffnungslos veralteten und ausgebrannten Partei nicht mehr zu geben scheint.

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