Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.46

Das Logbuch geht weiter: Die Außerparlamentarische Demokratie (Fortsetzung von 4.45)

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Deutschland und die Demokratie – von je her eine schwierige Partnerschaft. Oft genug gescheitert und von vielen scheinbar in höherem Maße er- statt getragen. Vielleicht, weil wir Deutschen selbst im Rechthaben alles richtig machen wollen und unsere Emotionalität gerne als Sachlichkeit tarnen? Oder weil wir dazu neigen, lieber heimlich meckernde Untertanen zu sein als öffentlich unbequeme Positionen zu beziehen? Es fällt auf, dass unsere Politik – wenn nicht unsichtbar in irgendwelchen Hinterzimmern ausgehandelt – zunehmend auf der Straße stattfindet. Die Parlamente indes scheinen ziemlich unsexy geworden zu sein und werden in den Medien zumeist dann eingeblendet, wenn es um Sachentscheidungen geht. Von oben, wie ein Alien in einem gläsernen UFO, kann man sich dem größten und wichtigsten Parlament der Republik nähern und bestaunen, was darin so passiert – doch irgendwie bleibt man ein Alien, ein Außenstehender, der, falls man mit einer höheren Bewusstseinsebene ausgestattet ist, nur kopfschüttelnd auf die Entscheidungsprozesse der Spezies „Deutsche PolitikerInnen“ hinabblicken kann.

Manchmal scheint es, als wüsste diese Spezies selbst nicht, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Oder sie vergessen es – insbesondere, wenn es um Geld geht, das irgendwann irgendwo geflossen ist, um Prozesse zu steuern, die bis zu über 90 Prozent unserer politisch interessierten Bürgerschaft nicht nachvollziehen und goutieren kann. Regelrecht gespenstisch, so habe ich es wahrgenommen, wurde dieses Parlament vor wenigen Jahren, als die Angeordneten desorientiert auf ihren Smartphones herumtippten, während Frau Merkel die Corona-Verordnungen mit den Ministerpräsidenten unter Ausschluss der Öffentlichkeit aushandelte. Die Versuche jener Zeit, die Menschen im Lande mit anderen Vorschlägen zum Umgang mit dem Virus zu erreichen, wurden in den offiziellen Kanälen komplett unter den Teppich gekehrt, kursierten vermehrt im Internet und fanden auf der Straße statt. Dort allerdings waren sie zum Scheitern verurteilt, denn allzu schnell war man sich einig, dass Demonstrierende in Zeiten des „sozialen Abstandhaltens“ allesamt „Verschwörungstheoretiker“ und „Volksverhetzer“ sind. In Hannover marschierte man am Ende sogar erst nach Einbruch der Dunkelheit durch die Nebenstraßen, um als Protestler nicht den Unmut der „korrekten“ Bürger auf sich zu ziehen.

Dann begann der Ukrainekrieg und in Windeseile bildeten sich größere Demonstrationen, die die unbequemen Corona-Verschwörer von den Straßen verdrängten. Jetzt waren die Gerechten unterwegs, die Panzer gegen Putin forderten, und auch an den Stammtischen war man sich einig, dass der Russe, wenn er könnte, gleich bis nach Frankreich durchmarschieren würde. Ein nur allzu willkommener Anlass, das unliebsame Virus-Thema im Sande verlaufen zu lassen und auch die für junge Menschen erstaunlich braven „Fridays for Future“ zeigten sich langsam wieder auf den Straßen – den „Weg durch die Instanzen“, eine Erfindung der 1968er, wollten sie jedoch nicht antreten. Den hat die AfD mittlerweile fortgesetzt und weitere Parteien entstehen – nach der ominösen Selbstzerlegung der „Basis“ meldet sich ein ehemaliger Verfassungsschützer mit seiner „WerteUnion“ und Frau Wagenknecht schwächt „Die Linke“ mit der Gründung eines eigenen Bündnisses. Ist die Wagenknecht eigentlich noch „links“, oder wird sie jetzt auch „rechts“, wie die anderen neuen Parteien?

Dann blockieren Tausende von Bauern mit ihren Treckern die Straßen und Plätze der Republik – eine Demonstration von historischen Ausmaßen – während die Züge von den Lokführern blockiert werden. Diese Berufsgruppe jedoch lasse ich hier etwas außer Acht, da mir ihre Beweggründe, einen wirtschaftlichen Millionenschaden wegen ein paar Arbeitsstunden mehr oder weniger anzurichten, bisher nicht so recht eingehen wollen. Außerdem findet dieser Protest nicht auf der Straße statt – man hat ja eine Gewerkschaft, die Forderungen stellt, die sich einige der Lokführer selbst womöglich gar nicht zu stellen trauen würden. Die Landwirte hingegen bringen Themen aufs Tapet, die unsere Ernährung ebenso wie den Lebensmittelhandel und die generelle (agrar)wirtschaftliche Zukunft betreffen. Das wiederum gefällt den meisten Politikern nun gar nicht und man ist heilfroh, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenken zu können, das wie aus dem Hut gezaubert kommt: „Bunt statt rechts“ ... danke, dass ihr Vereine, Verbände und Verbündete uns zu Hilfe kommt, um von den unbequemen Bauern abzulenken, deren Proteste langsam richtig nerven, mögen sich viele Politiker denken – sofern sie nicht selbst an der aktuellen Belegung öffentlicher Straßen und Plätze mitwirken. Und schwups, schon gehören selbige – und damit auch die öffentlich-rechtlichen Nachrichten – wieder denen, die so sind, wie alle sein sollten. Und sicher nicht ganz zufällig haben sie die gleichen „Feinde“ wie die etablierten Parteien. Diese Art von Politik macht sich auch im Fernsehen besser als die in den langweiligen Parlamenten.

Einerseits protestiert man nun da draußen gegen Dinge, die sich problemlos an der Wahlurne regeln ließen – zumal die „Bunten“ in Hannover die Titelseite der Lokalgazette mit den Worten „Wir sind mehr“ belegt haben –, andererseits hat man Probleme mit sogenannten „Protestwählern“, die sich in offiziellen Wahllokalen einfinden, um ihren Protest parlamentsbildend zu formulieren. Das Prädikat „Protestpartei“ wird ausschließlich der AfD zugeordnet, die wiederum – zumindest der Wählerklientel nach zu urteilen – von einer „Volkspartei“ kaum noch zu unterscheiden ist, was aus Sicht der alteingesessenen Volksparteien gar nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Und wer ist eigentlich heute noch mit „Volk“ gemeint, wenn wir doch längst ein Zuwanderungsland und Vielvölkerstaat sind – wie auch das gerade forcierte Recht einer doppelten Staatsbürgeschaft verdeutlicht –, während vor noch nicht allzu langer Zeit unliebsame doppelte Staatsbürgerschaften (zum Beispiel von gebürtigen LuxemburgerInnen) in Deutschland verhindert wurden?

Die (hauptsächlich studierenden) Menschen, die 1968 auf die Straßen gingen, sahen sich als „Außerparlamentarische Opposition“ und Gegner eines Systems, in dem etliche Ex- (und Alt-)Nazis das Sagen hatten – und machten sich damit auch bei einer „Mitte“ unbeliebt, die sich im Wirtschaftswunderland BRD weitestgehend noch keiner besonderen politischen Verantwortung bewusst war. Wenn man jetzt auf die Straßen schaut, sieht man dort viele Vertreter einer (mehr oder weniger opportun wirkenden) Mitte, die sich in diffuser, nicht differenzierender Art und Weise gegen etwas stellt, das teilweise längst in einer anderen (wesentliche weniger opportunen) Mitte angekommen ist. Und wer sich seriös aufgebaute redaktionelle Beiträge über die und mit der AfD anschaut, wird feststellen, dass die Grenze zu „braunen“ Gesinnungsanteilen nicht vor der Partei entlangläuft, sondern mitten durch sie hindurch führt – weshalb sich insbesondere einige der jungen Mitglieder von der Partei nach einiger Zeit wieder distanzieren. Wo diese engagierten Menschen, die durchaus der Mitte zugerechnet werden können, nun eine politische Heimat finden werden, bleibt abzuwarten.

Den Leuten auf der Straße sei zugerufen: Geht wählen, gründet eine Partei und integriert Zuwanderer in eure Lebens- und Arbeitswelt – und überlasst die Straße denen, die etwas für die gemeinsame Zukunft unserer Gesellschaft einfordern, das woanders nicht die nötige Aufmerksam bekommt. Zumal sich die AfD ganz sicher nicht so einfach „wegdemonstrieren“ lassen wird.

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