Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.48

Das Logbuch geht weiter: Animosität vs. Animismus

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Wer hat eine Seele und wer nicht? Diese Frage stellt sich mir anlässlich eines Trauergottesdienstes für die gerodeten Bäume in der Leinemasch. Ingesamt fiel im Laufe der Proteste gegen den Schnellwegausbau zu Lasten unseres südlichen Landschaftsschutzgebietes auf, dass die hannoverschen Kirchen sich – soweit ich das verfolgen konnte – bezüglich der Problematik sehr diskret zurückgehalten haben. Ganz im Gegensatz übrigens zu Themen wie dem Ukraine-Krieg oder den Protesten gegen rechts. Dass es in der Ökologie längst nicht mehr um rein „grüne“ Themen geht, sondern vielmehr um den grundsätzlichen Erhalt einer „Schöpfung“, um deretwegen sich unsere Religionen überhaupt erst entwickelt haben, spielt dabei offensichtlich keine Rolle.

Zusammenfassend betrachtet offenbart dieser Gottesdienst – wohl erst der zweite seiner Art in Hannover – zunächst die wundersame Diskrepanz zwischen „weltlich“ und „kirchlich“: Während ausnahmslos alle Beiträge – auch die Worte einer naturschutzbewegten Nicht-Pastorin – durch gottesdienstübliches Schweigen abgerundet werden, wird ein Liedermacher, der einen ziemlich unsing- und untanzbaren Mix aus „Comedian Harmonists“ und ungelenker Tatsachen-Texterei darbietet, mit Applaus bedacht. Unpassend, wie ich finde – zumal es sich bei dem Lied um den letzten Beitrag dieser Kirchenstunde handelt, und dieser ragt bereits in das Geläut der 12-Uhr-Glocken hinein. Könnte man den Gottesdienst nicht würdig zu Ende bringen und den guten Mann erst im direkten Anschluss daran das tun lassen, was er offensichtlich nicht lassen kann?

Sehr anrührend hingegen ist der Teil der Zeremonie, bei dem ein Schippchen Sand auf kurze Aststücke geworfen wird, die vor dem Altar ausgebreitet liegen. Und so, wie man es am offenen Grabe tut, kann man auch hier kurz in sich gehen und dem Verblichenen letzte Wünsche mit auf die Reise geben. Die Trauernden – es sind überwiegend Frauen – machen mit ihren Worten aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Auch spricht mich sehr an, dass es neben einem Gesang aus dem kirchlichen Gesangsbuch eine indianische Textcollage gibt, die wir kanonisch improvisieren.

Lustig wird es, wie meistens bei solchen Anlässen, im Anschluss an die ungewöhnliche Trauerfeier in der Kneipe. Dort treffe ich ein – übrigens männliches – Kirchenvorstandsmitglied, das dem Wirt ebenfalls offenherzig mitteilt, welch eine Diskussion um diesen Gottesdienst im Vorstand der Gemeinde entbrannt sei und dass man sich kommenden Mittwoch treffen wolle, um über die Veranstaltung zu beraten und zu entscheiden. Da ich mich schon vorher gewundert habe, dass der Gottesdienst für die Bäume auf den offiziellen Kirchenkanälen und im Schaukasten an der Kirche selbst mit keinem Sterbenswörtchen angekündigt wird – sämtliche Infos kamen über den Buschfunk und eine Petitions-Seite im Netz – dämmert es mir: Die Pastorin zeigt ihrem Kirchenvorstand den Stinkefinger (sorry für diese Formulierung, sie passt einfach zu gut;-) und gibt ihr eigenes Statement zur Situation ab, indem sie den Gottesdienst drei Tage vor der anberaumten Sitzung veranstaltet. Tatsachen schaffen, bevor noch was dazwischenkommen kann, gut gemacht!

Da der liebe Gott zumindest gegen die Benutzung von Smartphones nichts zu haben scheint, zieht der aufrechte Protestant zum Beweis seiner Worte die kleine schwarze Kommunikationshilfe aus der Tasche und liest uns eine sehr lange E-Mail eines Vorstandskollegen vor, der das Betrauern der Bäume als „postaufklärerischen Animismus“ ablehnt: Die Bäume dürften in Ermangelung einer Seele nicht Gegenstand eines Gottesdienstes sein. Nun weiß ich nicht, was diese Kirchenleute über Bäume wissen, doch auch wenn die botanische Forschung noch nicht so weit vorgedrungen ist wie die am Menschen, so gibt es doch Erkenntnisse dazu, dass Bäume in Sachen Wahrnehmung, Sozialverhalten und Vernetzung den meisten Menschen weit überlegen sein dürften. Ganz davon abgesehen, dass wir sie für die Luft zum Atmen, erträgliche Temparaturen, nährstoffreiche Böden und vieles mehr brauchen. Unter anderem soll bereits Beethoven ein „Baumkuschler“ gewesen sein – doch während sein künstlerisches Werk zu den unerschütterlichen Grundpfeilern unsere Kutur zählt, will man diese „gefühlige“ Seite des Komponisten offensichtlich lieber tief im Archiv der menschlichen Absonderlichkeiten ruhen lassen. „Ludwig van“ – ein spritueller Öko-Spinner heidnischer Prägung? Was nicht opportun ist, darf es auch nicht geben. Und auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Es geht in der Kirche nicht allein um „die Seele“, deren Existenz der traditionelle Christ recht eigennützig nur sich selbst zugedenkt, sondern ganz entscheidend auch um „die Schöpfung“, die sich von der Arche Noah bis zum Film „Silent Running“ nicht wesentlich verändert hat.

Auch das Rechtsverständnis des (nach eigener Aussage grün wählenden) Kirchenmenschen dort in der Kneipe ist relativ eng gefasst – hält er die Entscheidung zum Schnellwegbau doch für eine „demokratisch“ gefällte, weil die Parteien, die das entschieden hätten, gewählt seien. Als Bürger sei ihm gesagt: Weder die Minister, die solche Entscheidungen fällen und durchsetzen, noch deren Erfüllungsgehilfen in den Behörden und Verwaltungen werden gewählt. Und die Lobbyisten, die hinter solchen Prozessen ihre Fäden ziehen, schon gar nicht.

Als Mensch sei ihm gesagt: Such dir ein anderes Steckenpferd als die Kirche, denn mit einer derartigen Einstellung trägst du dazu bei, dass deine Organisation aus der Nischenexistenz eines steuerbegünstigten gesellschaftlichen Pflegefalls nicht mehr herauskommt.

Als Christ sei ihm gesagt: Würden wahrhaft Gläubige sich von Mehrheitsmeinungen oder herrschenden Machtverhältinssen abhängig machen, wären die Christen bereits vor über 2000 Jahren in Palästina ausgestorben.

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