Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.49

Das Logbuch geht weiter: Der Ball ist (zu) klein und das Spiel dauert einhundertzehn Minuten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

2024 steht bisher ganz im Zeichen von Protesten. Proteste sind hip, Proteste sind chic, mit Protesten kommt man groß ins Fernsehen und mit Protesten wird Politik gemacht. Wenn sogar Politiker auf der Straße gegen ihre politischen Gegner protestieren, dann bestätigt sich meine These: Wo früher die „Außerparlamentarische Opposition“ unterwegs war, marschiert heute die „Außerparlamentarische Demokratie“. Mit „Street Credibility“ allerdings hat das wenig zu tun – eher erobert der Mainstream die Mainstreet: Man marschiert auf dem „Korridor der Mitte“. Zeichen dafür, dass der Mainstream so unattraktiv geworden zu sein scheint, dass er sich auf der Straße zusammenrotten muss, um zumindest den Anschein von aufrechtem Engagement zu wahren. Neulich rief mich nach über dreißig Jahren eine alte Freundin an – zum ersten Mal überhaupt, weil wir damals noch keine Telefone hatten – und beendete das Gespräch schnell wieder, weil sie zu einer Demo müsse. Egal, ob ich am Samstag essen gehen will oder noch etwas einzuholen habe – immer gerate ich in irgendeine Demo. Eigentlich ist es seit einigen Wochen immer die gleiche: die „gegen rechts“. Fazit: Aus der früheren Partygesellschaft der „Saturday Night“ ist eine Allianz für einen „Saturday Fight“ geworden – wenn man hier überhaupt von „Kampf“ reden kann.

Ich überlege schon, mal wieder ins Stadion zu gehen. Denn da wird aus Protest nicht marschiert, sondern geworfen: mit Tennisbällen. Manchmal fahren auch ferngesteuerte, in Vereinsfarben rauchende Mini-Buggies über den Rasen, nach denen unförmig ausstaffierte Ordner, die ansonsten die Tennisbälle einzusammeln haben, wutentbrannt treten. Lustigerweise sind die Ordner sehr langsam und die Buggis sehr robust; ein rundum originelles Spektakel, das uns seit einigen Wochen in der Sportschau begegnet – angefangen mit Schokoladen-Talern und jüngst sogar mit einem kleinen Remote-Flieger. Nach dem Motto: Wenn die Russen in unserem Land Drohnen steigen lassen, kann ich als Fan im eigenen Stadion erst recht was steigen lassen.

Das unglaubliche an diesen Protesten ist, dass weder Lokführer, noch Bauern, Palästinenser oder Nazis Ursache des Unmuts sind – sondern ein Hannoveraner. Und zwar einer, der einerseits in Sachen Fußball unterwegs ist, dessen Beziehung zu dieser Sportart andererseits jedoch vergleichbar ist mit der eines Herbergsvaters zu seinen schwer erziehbaren jugendlichen Gästen. Man merkt dem Mann an, dass er eigentlich nur ein geldfixierter Markenverwalter ist – weder beseelt von sportlichem Ehrgeiz, noch von Werten wie Solidarität, Kameradschaft und … genau: „Street Credibility“. Für ihn gehören all diejenigen gerichtlich belangt, die sich nicht wie Ja-sagende Musterschüler aufführen und nun zieht er – nicht zum ersten Mal – den Unmut auf sich, weil er im Verdacht steht, bezüglich einer „freundlichen“ Übernahme der gesamten Profiliga gegen den eigenen Verein gestimmt zu haben. Nun ja, Fünfter in der zweiten Liga zu sein ist nicht gerade ein Ruhmesblatt – aber einer von sechsunddreißig und in der Lage zu sein, Medienrechte aller deutschen Profivereine auf Jahre hinaus an arabische Investoren zu verschachern, das ist schon eine Nummer. Waren es vor einigen Jahren im Wesentlichen die hannoverschen Fans, denen der als Vereinspräsident auftretende Industriekapitän den Kampf ansagte, hat er jetzt fast die komplette Fußballnation gegen sich – oder in Teilen auch hinter sich, so genau kann man das noch nicht sagen. Und das gar nicht so sehr wegen dem, was er getan hat, sondern dafür, wie er es getan hat: nämlich heimlich, mit verdeckten Karten. „Geheime Abstimmung“ heißt das, womit man die Intransparenz an dieser Stelle rechtfertigt – wobei der Vereinsvertreter eigentlich einen klaren Votums-Auftrag von seinem Club hatte, was im Gesamtsachverhalt an sich schon einen Widerspruch darstellt.

Nach all den Jahren im Fußball-Geschäft hat der Herr Kind, der so gar nichts kindgerechtes an sich hat, immer noch nicht verstanden, dass man Fußballfans auf Augenhöhe und mit offenem Visier gegenübertreten und ihre Bedürfnisse ernst nehmen sollte. Kein Wunder also, dass sein Gesicht auf Stadiontransparenten durch ein Fadenkreuz verunglimpft wird. Zugegebenermaßen nicht sehr geschmackvoll – doch hey: wir sind hier beim Fußball und nicht in Wimbledon. Ein Nicht-Fan wie Kind sieht in einer derartigen Protest-Choreografie gleich wieder eine Straftat, die verfolgt werden muss. So wird aus den Verhältnissen, die bei Hannover 96 herrschen, ganz bestimmt keine „Alte Liebe“ (Anm. der Red.: hannoversche Stadionhymne) mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden