Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.52

Das Logbuch geht weiter: Wie soll es enden …

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das vierte Corona-Jahr? Soll es überhaupt enden – nur, damit ab morgen ein neues beginnen kann? Eines, das zwar nicht mehr im Zeichen von „Corona“ steht, obwohl weder das Virus in seiner was weiß ich wie vielten Mutation verschwunden ist, noch die Folgen jener Zeit in den Griff bekommen – und von vielen bis heute sogar nicht einmal erkannt beziehungsweise akzeptiert – wurden? Vielleicht sollte man die Jahreseinteilung ganz aufheben – egal, ob es sich um das Corona-, das Kalender- oder das Kirchenjahr handelt. Dummerweise habe auch ich keine Idee, welche Zeitrechnung wir stattdessen einführen könnten. Vielleicht die „Monde“-Einteilung der nordamerikanischen Erstnativen, die man früher „Indianer“ nannte?

Heute sitze ich bei einem Bekannten, der von einer Covid-Aufarbeitung spricht, die irgendwo angeschoben wird – mit Unterstützung der AFD und ohne Unterstützung der Grünen. Hat so etwas Chancen, ist bei dieser parteilichen Gemengelage das Scheitern beziehungsweise eine Irrelevanz für überwiegende Teile der Informationsindustrie nicht von vornherein mit eingebaut? Und wer will denn überhaupt aufarbeiten, wenn dieses Prozedere in erster Linie unbequem ist und posthum Leute schlecht aussehen lässt, die sowieso nichts mehr zu sagen haben und die keine Verantwortung mehr tragen? Und wer braucht eine Rehabilitation derer, die damals diskriminiert und diskrediert wurden? Das ist doch wie eine Tageszeitung von gestern – zumal der einzig sinnvolle Effekt, daraus für die Zukunft zu lernen, sowieso nicht eintreten dürfte. Denn morgen sehen unsere Probleme wieder anders aus und alle tun so, als käme etwas ganz, ganz Neues auf uns zu. Da bereitet man sich doch lieber auf Bekanntes vor – wie zum Beispiel einen Herrn Höcke als neuen Führer auszumachen, den man unbedingt stoppen muss, bevor er Schaden anrichten kann. Heldenhaftes Deutschland. Dass die Freiheit im Lande voraussichtlich eher nicht ein zweites Mal an einem bestimmten Stichtag oder durch eine bestimmte Stichwahl abgeschafft wird, kommt den meisten Leuten nicht in den Sinn. Viele merken offensichtlich nicht, dass Machtpolitik in Demokratien wie der unsrigen viel subtiler gestaltet wird – nämlich mittels der Salami-Taktik: Hier ein Scheibchen Mitspracherecht abschneiden, dort ein Häppchen Demokratie wegfuttern und ganz woanderes Tatsachen schaffen, die (fast) keiner mitbekommt. Kein Wunder, dass investigativer Journalismus der kritischeren Sorte heute mehr mit Detektivarbeit zu tun hat, als die Polizei – pardon – der Verfassungsschutz erlaubt.

Da ist es doch viel befreiender für die hiesige Polit- und Medienwelt – und durchaus auch wieder en vogue im Sinne eines wiedererstarkenden Militarismus-Populismus – auf neue deutsche Härte umzuschwenken. Auf der einen Seite sei eine erhöhte „Kriegstüchtigkeit“ zu gewährleisten – in Hannover beispielsweise sollen alte Bunker (wie kann die SPD nur darauf kommen, hier Fahrradgaragen einrichten zu wollen!) wieder auf Zivilschutz umgerüstet werden, weil Putin nicht zögern würde, den Westen anzugreifen, wenn er irgendwann mit den zähen Ukrainern fertig wäre. Auf der anderen Seite wird bei politische motivierten Aktivisten mit Bekennerbrief sogleich wieder „Terrorismus“ ausgemacht, obwohl im rechtsstaatlichen Sinne eher vom Tatbestand einer „schweren Sachbeschädigung“ – beziehungsweise im Agentenjargon von „Industrie-Sabotage“ – gesprochen werden sollte. Derartige Stimmungsmache hatte wir schon – wo sie hinführen kann, ist bekannt.

Bei all der wieder angesagten Säbelrasselei habe ich langsam keine Lust mehr auf eine mich umgebende, allgegenwärtige Aggressivität, die zur Normalität geworden ist und überlege, ob ich die Grundlinie meiner Kolumne im fünften Jahr wieder etwas ändere: weg von der manchmal selbst mich als Urheber belastenden Moralisiererei – hin zu einem Teller Buntes, wie ich ihn mitunter auch in den ganz dunklen Zeiten zusammengstellt habe, als man sich nur noch mittels Humor gegen den Virus-Wahn zur Wehr setzen konnte. Mal sehen, vielleicht denke ich mir auch wieder kurze Fantasiegeschichten aus, die rein zufällig an die Realität erinnern.

Bis dahin sage ich „Tschüss“ zum vierten Jahr der pandemischen Entwicklungsgeschichte und fiebere dem fünften entgegen. Und wehe, einer will mir erzählen, dass es Corona gar nicht gibt!

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