Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 5.02

Das Logbuch geht weiter: Kunde, verpiss dich!

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Einige der „großen“ Dienstleister scheinen sich selbst abbauen zu wollen. Wohlgemerkt: nicht ihr Geldverdienen oder ihre Leistungen, sondern ihre Menschen. KI ist viel billiger und in einer rosigen Zukunft muss niemand mehr arbeiten, weil die Technik von ganz alleine viel Geld generiert – freilich nicht in Papierform, sondern virtuell –, sodass sich unsere Gesellschaft überwiegend aus Privatiers zusammensetzen müsste. So, oder so ähnlich scheint man sich das vorzustellen. Ein Hoch auf die Privatiers, die sich bereits heute mit einer doch sehr limitierten Performance auf das Gar-nichts-mehr-tun vorzubereiten scheinen. Und man sieht in der Tat viele Kollegenpärchen, bei denen der eine dem anderen etwas erklärt, während der an einem Gerät etwas übt und die Kunden warten müssen.

Zwei Beispiele fallen mir diese Woche auf: Konnte man bei der Bahn bis vor kurzem noch wie auf anderen Ämtern Wartenummern ziehen, gibt es jetzt einen Menschen, der das tut. Dieser steht mit zwei Kollegen an einer Art „Abfangtresen“, dessen Sinn sich mir nicht erschließt – denn die Ticketschalter kommen erst in der zweiten Reihe. Von denen wiederum ist meist nur ein Bruchteil besetzt. Am Abfangtresen wird angeregt geschwatzt, bisweilen herrscht mehr Kommunikation zwischen den Mitarbeitern als mit den Kunden, weshalb sich hier im Gegensatz zu den Ticketschaltern Schlangen bilden. Später erklärt mir eine Mitarbeiterin sinngemäß, dass man das täte, weil viele Kunden für das System zu doof seien und zum Beispiel mehrere Wartenummern ziehen, um nicht so lange warten zu müssen. Ganz auf das System zu verzichten und die Leute wie früher einfach an den Schaltern anstehen zu lassen, ist der Bahn offensichtlich zu einfach. Dafür braucht man ja auch keine schicken modernen Geräte und es ist zu „oldschool“, denke ich mir, denn Unternehmen, die „mit der Zeit gehen“ wollen, müssen sich ja ab und zu etwas Neues ausdenken, wenn Dinge zu lange gut funktioniert haben.

Ist man dann endlich dran, wird einem die Wartenummer für den Ticketschalter gezogen (der Apparat wurde einfach umgedreht, sodass man selbst ihn nicht mehr bedienen kann) und das Warten fängt erst richtig an: 45 Minuten sind keine Seltenheit. Wahrscheinlich bekommt „Die Bahn“ von den umliegenden Geschäften auf dem „Einkaufsbahnhof“ – welch treffendes Wort – Provision. „Ticketschalter“ ist übrigens ein weniger passendes Wort, denn Tickets bekommt man schon lange nicht mehr. Stattdessen drucken sie geradezu unansehnliche A4-Bögen in Schwarzweiß aus, die man nolens volens parallel auch digital zugemailt bekommt. Digital sehen sie mit ihrem roten Balken übrigens netter aus. All dies vermittelt eigentlich nur eine einzige Botschaft: „Verpiss dich, Kunde, und kauf deine Fahrkarte im Internet.“

Die Banken können das übrigens noch besser – vor allem über ihre telefonische Firewall, die vielerorts die telefonische Auskunft ersetzt hat. „Meine Bank“ (welch ein Euphemismus) hat sich just eine mir bis dato noch unbekannte Frechheit geleistet: Weil ich einen völlig überflüssigen Adressmeldebogen (die Bank schickt meine Post seit Jahren an meine gültige Adresse, hat selbige also schon) nicht zügig nach einer ersten Aufforderung hingeschickt habe, wurden ganz plötzlich alle Services blockiert: Keine Lastschrift, keine Überweisung und kein Bargeld am Automaten mehr. Als ich heute in der Zentrale der, nennen wir sie im Zuge der mit Corona eingeführten Unaussprechlichkeit bestimmter Dinge abgekürzt „C-Bank“ anrufe (wo die sich eigentlich genau befindet, weiß man ja gar nicht mehr), gerate ich an eine Spezies, die sich seit einiger Zeit zombieartig in den Inbound-Zentren großer Dienstleister breitmacht: Eine unschuldig wirkende Jungmädchenstimme, ohne polnischen oder sächsischen Akzent, die man nicht mehr als zwingend menschlich identifizieren kann. Schon mein Nachfragen bezüglich ihres Namens scheint die Stimme zu verblüffen (ich frage immer danach, damit ich mich bei späteren Kontakten gegebenenfalls auf verifizierbare Auskünfte berufen kann) und wie durch Zufall ist ihre ohnehin genuschelte Namensnennung von technischen Störgeräuschen überlagert. Nach dem zweiten Anlauf gebe ich auf und nenne sie (nur für mich) „Digi-Barbie“. Digi-Barbie scheint mein Problem nicht zu verstehen: Vor genau einer Woche habe ich meine aktuelle Adresse samt Ausweiskopie – was für eine Erniedrigung für jemanden, der seit einem halben Jahrhundert Kunde ist – in der in meiner Stadt letzten verbliebenen Filiale in den „Überweiser“-Kasten gesteckt. Bei Digi-Barbie ist ebendiese Adresse nach sieben Tagen noch nicht angekommen und sie sieht sich außerstande, Kontakt mit der Filiale aufnehmen, um den Verbleib meiner Unterlagen zu klären. Als ich etwas ungehalten reagiere, scheint ihre Aufnahmefähigkeit völlig überlastet zu sein und sie fleht mich an, nicht „so“ mit ihr zu reden, da sie sonst das Gespräch abbrechen müsse. Wenigstens fühlt sie sich endlich bemüßigt, mein Problem ernst zu nehmen und jammert (die Programmierung der elektronischen Sprachsimulation hat offensichtlich deutliche Fortschritte gemacht), dass sie mir doch helfen wolle und schwupps: bin ich wieder in der Warteschleife. Wenn man dort erstmal wieder gelandet ist, ist es meistens nur eine Frage von Sekunden, bis man rausgekickt wird – während man vor dem Gespräch ewig in der Leitung warten muss, sofern man den Hindernisparcours der automatisierten Fragetortur – meine Stichwörter sind fast nie dabei – erfolgreich absolviert hat. Am besten fahre ich dabei übrigens, wenn ich irgendetwas antworte, von dem ich vermute, dass die Spracherkennung es akzeptieren könnte. Doch damit Schluss für heute: Um mich diesem IT-KI-Terror nicht ein weiteres Mal aussetzen zu müssen, bleibt mir nur der Weg in die Filiale – der echten aus Marmor, Glas und Gold –, zumal das auch wesentlich schneller geht.

In der Filiale, gut zehn Meter von der Einwurf-Box entfernt, sieht man sich ebenfalls außerstande, zu (er)klären, wo meine Unterlagen verloren gegangen sein könnten – geschweige denn, sie zu finden. Neu an dieser Situation ist, dass man sich nicht mehr für derartige Inkompetenzen entschuldigt. Stattdessen belehrt man einem Online-Banking-Verweigerer wie mir, dass „die Zeiten sich geändert“ hätten und wir wohl nicht „die richtigen Partner“ seien.

Das Spiel ist damit zwar noch nicht zu Ende, das Wichtigste jedoch erzählt. Gary Morre mit seiner melancholischen Ballade „Is It Really Time To Go ...“ kommt mir in den Sinn. C. Kirk hat ausgedient und C. Data – von seinem Gehirn und seinem guten Benehmen befreit – übernimmt. Wenn ich, um zumindest noch ein Fünkchen Menschenwürde wahren zu können, nun endlich den Weg ins KI-Banking antrete, dann soll das aber wenigstens so brutal neutral wie möglich sein. Vielleicht werde auch ich irgendwann die Sexyness der Transhumanität entdecken.

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