Bekenntnisse einer Bloggerin – Eine Sexbombe klagt an

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Oh, oh, oh! Meine Augen brennen, mein Kopf dröhnt, die Schultern schmerzen – was hab’ ich nur gestern Nacht getrieben? Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe in meiner kostbaren Freizeit bis in die Puppen vor dem PC gehangen, mein rechter Zeigefinger vom Scrollen ganz blutleer, mein Kopf dagegen glühend heiß: Ich bin jetzt Bloggerin.

Ich taumele aus dem Bett, schleppe mich in die Küche, ein starker Kaffee vorher geht gar nichts. „Hast du Lust aus zu gehen? After Job Party“, haben mich gestern telefonisch gleich mehrere Freunde gefragt. „Nö“, habe ich gemeint. „Nanu? Warum nicht?“ „Weil ich, äh, ich, mhm, ich – blogge.“ „Was tust du? Und warum?“

Tja, warum? Ich mache es mir mit meinem Kaffee am offenen Fenster bequem, um wach zu werden und über diese Frage nach zu denken.

Vielleicht weil ich Jakob Augsteins Freundin bin – habe ich das schon erwähnt? – da bin ich nämlich sehr stolz drauf. Gut, er ist in dieser Hinsicht nicht ganz so wählerisch wie ich, aber ich will nicht kleinlich sein. Weil Jakob und ich so gute Freunde sind, schaue ich auch immer Augstein&Blome. Ich kann in dieser Sendung viel lernen, hin und wieder sogar von Blome: „Man muss die Kirche voll kriegen, um predigen zu können“, hat er den Zuschauern dort erklärt. Die Kirche voll kriegen – notfalls mit unpolitischen Mitteln. Ob die unpolitischen Mittel nicht gerade die politischen sind, das frage ich mich im Alltag oft. All die kleinen Entscheidungen, die ich jeden Tag treffe: Kaffee fair gehandelt oder nicht, Facebook-Freunde, die man gar nicht kennt, bloggen oder nicht bloggen, das sind hier die Fragen. Warum es in der Community des Verlegers Augstein, der sich gerne öffentlich zur Frauenquote bekennt, keine Quote gibt, diese Frage habe ich gebloggt. Frauenquoten sind ja inzwischen ein Ladenhüter, ein lahmes Ententhema. Das waren noch Zeiten, als sich Vilar und Schwarzer 1975 das Fernsehduell lieferten, das für Furore sorgte. Da war ich allerdings noch lange nicht geboren. Aber was soll ich sagen, über mich und mein kleines schaukelndes Blog-Bötchen zog ein Sturm, ein Donnerwetter der Entrüstung. Die von mir durch diesen kleinen Blog angezettelte Diskussion erinnere an die von Sarrazin, wurde mir vorgeworfen. Dabei gab es in jüngster Zeit auch andere gute Blogs zum Thema Frauenquote – ohne größere Resonanz. Sarra, Sarra, Sarrazin? Das ist doch der nobel ergraute, exponierte Mann, der vor seinem Ruhestand noch ein bisschen gut bezahltes Rambazamba veranstaltet hat, indem er in bestimmten Medien Begriffe wie „Judengen“ lancierte, oder? 1,2 Millionen verkaufte Bücher! Wenn ich also so gut Diskussionen initiieren kann wie Sarrazin, dann könnte ich doch ein Buch schreiben und verlautbar machen, dass Frauen – genetisch! – so eine Art behinderte Männer sind, die sich nur für Frauenkram interessieren und über Liebe, Stricken, Selbstbespiegelung und die fehlenden Kaltwachsstreifen in Hilfslieferungen schreiben können. Und dass Frauen Humor vermutlich nur beim Austausch von Körpersäften zugänglich ist. Das habe ich genau wie die Tatsache, dass ich eine Pranger-Bloggerin, eine Aggro-Emanze, ein Rasse-Weib und eine Sexbombe bin, alles aus den Kommentaren zu meinem Blog gelernt. Wusste ich vorher auch nicht. Wäre aber toller Stoff für ein Buch. Moment, ich bin schlagartig wach und hole aufgeregt meinen Taschenrechner. Der Jakob, der ist nicht nur mein Freund, sondern auch Verleger und 1,2 Millionen Bücher und zwar Hardcover, nicht etwa Taschenbuch, das macht bei 10% des Ladennettopreises für mich als Autorin, zwei mal vier und dann mit 1,2 Millionen multiplizieren und dann bin ich auch noch jünger als Sarrazin und sehe besser aus, also könnte ich mich ganz emanzipiert pünktlich zur Buchpräsentation für ein Männermagazin ausziehen, das macht dann noch mal rund…aber halt! Wir sind doch irgendwie links, wir sind die Guten. So was machen wir nicht! Und eine Quote brauchen wir auch nicht. Es könnte sich ja was verändern…nicht auszudenken, wo das hinführt. Mehr Frauen in der Community hätte vielleicht zur Folge, dass es weniger Bomben und Rassismus, vielleicht sogar mehr Realität in den Blogs gäbe, weil in der Realität gibt es ja schon so ungefähr gleich viele Männer und Frauen – und wer will das dann auch noch im Netz? Haben wir denn in der Realität nicht schon genug Ärger miteinander? Wir Männer und Frauen?

Es klingelt. Die Post. Immer noch im Schlafanzug tapse ich mit Kaffeetasse und auf nackten Füßen durchs Treppenhaus an den Briefkasten. Rechnungen, Rechnungen, Rechnungen. Scheiße! Vielleicht doch das Schmuddel-Buch? Nur eins – zur finanziellen Sanierung?

Aber ich höre schon Denis Scheck, den Kritiker: Wäre dieses Buch ein Pferd, man müsste es erschießen!

Liebe MitarbeiterInnen,

lieber Jakob Augstein,

ich habe in der letzten Woche jede freie Minute im Freitags Forum verbracht. Sie haben eine (langsame!) Infrastruktur geschaffen, in der ich Beiträge mit der Qualität von Rohdiamanten fand. Meine Kritik müssen Sie daher unbedingt als das riesengroße Kompliment sehen, das es wirklich ist: Lauter Blogs und User mit denen ich mich liebend gerne auf Dauer in meiner Freizeit beschäftigen würde, wenn, ja, wenn da nicht die anderen wären. Da ich nun ohnehin schon im Fegefeuer der Entrüstung stehe, möchte ich anregen, Beiträge und Kommentare nur von geprüften Mitgliedern zu erlauben. Ein einmaliger Identitätsnachweis z.B. bei den Postfilialen wie es auch bei ebay möglich ist, vielleicht sogar mit einem Obolus für Nichtabonnenten verknüpft, scheint mir die einzige Möglichkeit das vorhandene Potential zu schützen und zu fördern. Im Forum blieben die User anonym, Sie könnten allerdings sicherstellen, dass jede Person nur einen Account unterhält und sich anständig benommen wird, weil sich ein Delinquent nicht einfach noch einmal anmelden könnte. Ich würde mich in einem organisatorisch-personalisierten Raum viel besser aufgehoben fühlen, ich kann nämlich zu allem stehen, was ich online tue. Und vielleicht wüssten das mit mir noch andere Frauen zu schätzen und eine Quote würde sich von selbst erledigen oder sogar erst wirklich interessant werden, weil bei der Anmeldung nicht geschummelt werden könnte. Ein großer Schritt, ich weiß. Ich würde mich an Ihrer Stelle trauen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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