Teufelszeug

Bücherkalender Calvani rührt nach Choderlos de Laclos' "Gefährliche Liebschaften" so schnell kein Buch mehr an

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Teufelszeug

Foto: jokebird/photocase

In einem unbekannten Land vor nicht allzu langer Zeit lag ich neben einem Mensch der Gattung Mann im Bett. Postkoital. Dieses Wort habe ich übrigens in Fifty Shades of Grey gelernt. Das Buch kann abgesehen von der Bereicherung meines Wortschatzes um diese eine Vokabel aber mal rein gar nichts, über die hundertste Seite bin ich nicht hinausgekommen. Jedenfalls hat so ein postkoitales Nebeneinanderliegen in meinem Leben Seltenheitswert, Männer riechen nämlich mitunter streng. Ich weiß das, ich schnuppere viel an Männern und komme fast immer, bevor irgendetwas angefangen hat, zu dem Schluss: ungenießbar.

Auf jeden Fall fragte ich den neben mir liegenden Mann in die einträchtige Stille hinein, mit welcher literarischen Figur er gerne mal ins Bett gehen würde. Er überlegte, aber nur kurz, und antwortete: Madame de Merteuil. Allein wie er diesen Namen aussprach, weckte meine Neugier, obschon er grundsätzlich großen Wert auf gepflegte Phonetik legt, schließlich ist er von Beruf Sternzeichen, Aszendent Klugscheißer.

Also habe ich mir das Buch besorgt, in dem de Merteuil ihr Unwesen treibt, denn: „Bleibt auch in diesem Kampf der Siegespreis nicht mein, dass ich den Kampf gewagt, wird Ruhm genug mir sein.“

Ich muss gestehen, den Kampf verloren zu haben, aber anders, als gedacht und alles schön der Reihe nach. Ganze Nächte schlug ich mir dieses Buch um die Ohren, bis mir vor lauter intriganten Liebesabenteuern, opulenten Bekenntnissen und verlockendsten Versteck- und Verkleidungspielen ganz schummrig wurde. Und so fuhr ich dann morgens völlig übernächtigt ins Büro, warf mich – wie Madame de Merteuil – aus heißkalter Berechnung meinem Kollegen zu Füßen und zog, weil die Nummer so erfolgreich war, ein paar Türen weiter die gleiche Chose noch mal ab. Ich spielte und schauspielerte, genoss die Triumphe und Siege, setzte in Nachahmung der zunächst unbedarften, aber mindestens genauso temperamentvollen Cécile Volanges noch eins drauf und bandelte weiterhin, reinen Herzens und gänzlich unschuldig, parallel zu den beiden mit dem Dritten an.

Aber die Welt ist klein und geschwätzig noch dazu, was ich in meinem Rausch einfach nicht bedachte. Schließlich verleiht Choderlos de Laclos in seinem Briefroman seinen Figuren derart überzeugend eigene und eindringliche Stimmen, übrigens ganz im Gegenteil zu Martin Walser in seinem Briefroman Das dreizehnte Kapitel, dass ich zwischen Roman und Realität nicht mehr zu unterscheiden vermochte und allzu unvorsichtig wurde. Es kam, wie es kommen musste: Der Eine lauerte dem Anderen auf und brach ihm zwei Finger. Der Andere schlug zurück und nun fehlt dem Einen vorne rechts ein Zahn und mir deshalb die rechte Lust, ihn zu küssen. Der Dritte machte nichts, er ist sensibel und belesen.

All diese Aufregungen blieben darüber hinaus nicht ohne Folgen. Ich raufte mir das lockige Haar, das auf dem Kopf, mal aus Überdruss, mal aus Leidenschaft und meistens raufte einer der Dreien gleich mit. Mein Chef befand mich in dieser Verfassung für nicht mehr vorzeigbar – zumindest für unsere Geschäftspartner. Nach einer lautstarken Szene attestierte er mir vor versammelter Mannschaft ferner, den Verstand verloren zu haben, und strafversetzte mich ins Hinterzimmer. Und da sitze ich nun, ich armer Tor, kann das auf meinem Kopf wegen übermäßigen Raufens beim besten Willen keine Frisur mehr nennen, muss inzwischen aus schlechtem Gewissen und zur Buße eine große schwarze Zahnlücke küssen, manchmal auch ein in die Lücke gestecktes Plastikprovisorium.

Zwei Bücher habe ich hier und jetzt im Vorbeigehen schlechtgemacht und ich füge, matt und ausgelaugt, ins Hinterzimmer verbannt und nur noch bürointern arbeitend, aus tiefster Überzeugung und Erfahrung ein drittes hinzu: de Laclos' Gefährliche Liebschaften: Lasst in Gottes Namen die Finger von diesem Teufelszeug, denn es wird Unheil über euer Leben bringen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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