Die Geschichte aller bisherigen Steuerpolitik ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freilich gewann bislang meist die Klasse der Eigentümer. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Während das Einkommen der Erwerbstätigen und der Konsum grundlegender Bedürfnisse besteuert werden, können Großkonzerne sich durch Gewinnverlagerung um Steuerzahlungen drücken. Apple soll 2014 beispielsweise in der EU nur 0,005 Prozent Steuern auf den Gewinn gezahlt haben, was 50 Euro pro einer Million Euro an Gewinn entspricht. Seit 1997 gibt es in Deutschland keine Vermögenssteuer mehr, auf Erbschaften oder Schenkungen mit Beträgen von mehr als zehn Millionen Euro mussten 2018 kaum Steuern gezahlt werden.
Wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der C
mung der Coronapandemie sind derzeit abhängig Beschäftigte mit niedrigem Einkommen, Selbstständige sowie kleinere und mittlere Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Ein Staat, der sich durch Geschenke an die Reichen selbst arm hält, hat in einer solchen Zeit ein Problem. Also fordert die Linkspartei nun zur Linderung akuter ökonomischer Not: Wer mindestens über ein privates Nettovermögen von zwei Millionen Euro verfügt oder über Betriebsvermögen von mindestens fünf Millionen Euro, soll eine einmalige Abgabe zahlen. Der erste Euro über diesen Freibeträgen würde mit einem Steuersatz von zehn Prozent belegt. Er stiege bis zu einem Höchstsatz von 30 Prozent an. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) erhielte der Staat dadurch Einnahmen in Höhe von 310 Milliarden Euro.Kommunikationsstrategisch ist dieser Vorschlag bestechend, weil er zeigt, dass schnelle Hilfe in einem reichen Land nie an der Finanzierung scheitert, sondern nur am politischen Willen. Mit den oberen 0,7 Prozent der Bevölkerung träfe die Abgabe ohnehin die Richtigen. Doch selbst wenn Konservative und Sozialdemokratinnen die Idee durchwinken würden, dann wären die wirtschaftlichen Folgen der Krise für das ohnehin kaputtgesparte deutsche Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen nicht nachhaltig aufgefangen. Es wäre ein symbolischer Akt, ein Tropfen auf den heißen Stein, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.Was also, wenn die Linken von der Klasse der Eigentümerinnen lernen und das bewährte Instrument der Steuerpolitik kapern würden? Einerseits wäre das in der Kommunikation kniffliger als eine Attacke auf die Superreichen, weil viele Wähler aus der „hart arbeitenden Mittelschicht“ wegen jahrzehntelanger neoliberaler Propaganda allein bei dem Wort „Steuern“ schon hektisch zum Riechsalz greifen. Es wäre andererseits weniger wohlfeil, denn mithilfe von Steuern ließen sich die feinen Unterschiede nicht mehr nur soziologisch analysieren, sondern auch politisch monetarisieren. Nicht nur das reichste Prozent müsste zahlen, sondern auch die obere Mittelklasse, deren linksliberaler Teil seine Empörung über die Ungerechtigkeit am liebsten bei Twitter in gratismutigen Sprüchen zum Ausdruck bringt, derweil er selbst zum Nulltarif durch jede wirtschaftliche Krise jettet.Aussicht auf ErbeWie wäre es beispielsweise mit einer zweckgebundenen Akademikersteuer, die direkt in das Bildungssystem fließt? Wer vom staatlichen Universitätssystem profitiert, so die Idee, könnte später etwas zurückgeben. Nicht umsonst lautet ein gängiges Stammtischargument: Warum sollte eine Reinigungskraft mit Niedriglohn die Ausbildung eines BWL-Studenten finanzieren, der im späteren Berufsleben als Vertreter einer Unternehmensberatung dafür sorgt, dass genau diese Reinigungskraft „aus Optimierungsgründen“ entlassen wird?Heutzutage mögen viele Hochschulabsolventinnen prekär beschäftigt sein und weniger verdienen als mancher nicht-akademisch ausgebildete Facharbeiter. Darum müsste die Einkommensgrenze, ab der eine solche Steuer anfällt, hoch angelegt werden. Ebenso wäre eine „Karenzzeit“ nach dem Ende des Studiums sinnvoll und zu fragen, ob noch ein Studienkredit abzubezahlen ist. Zudem, und das hören vor allem linke Akademiker ungern, gibt es einen oft unterschlagenen Unterschied zwischen Facharbeiterinnen und Graduierten: Wer als Akademiker einen prekären Job hat, kann ihn sich häufig leisten, weil Verwandte aushelfen, weil sie einen besserverdienenden Lebenspartner haben, weil sie geerbt haben oder weil sie in absehbarer Zeit erben werden.Dass Nicht-Akademikerinnen diese Vorteile seltener haben, liegt daran, dass in der Klassengesellschaft überwiegend jene studieren, deren Eltern bereits studiert haben. In solchen Familien hat sich mehr Vermögen angesammelt als in Familien, denen in der Bildungsexpansion der siebziger Jahre der „soziale Aufstieg“ in die Hörsäle verwehrt geblieben war. Im seltenen Fall, dass ein Arbeiterkind ohne Geld im Rücken studieren kann, wählt es eher einen technischen, einen wirtschafts-, rechts- oder naturwissenschaftlichen Zweig, der ein höheres Erwerbseinkommen verspricht als ein geistes- oder sozialwissenschaftliches Fach.Mehr als 200.000 Studenten leben in Zeiten der Corona-Krise in Armut. Im Lockdown brachen jenen die Jobs weg, die sich ihr Studium durch Kellnern oder an der Kinokasse finanzieren. Eine zweckgebundene Akademikersteuer böte die Chance, den Studentinnen von Beginn an ein garantiertes Grundeinkommen zu gewähren. Anstatt verzinste Kredite oder Darlehen aufnehmen und in Prüfungsphasen lohnarbeiten zu müssen, würde es dadurch an den Universitäten zumindest jenen materiell an nichts fehlen, die es als Kollateralschaden eines ungerechten Bildungssystems irgendwie durch die Klassenschranken hindurchgeschafft haben. Im nächsten Schritt wären dann die Klassenschranken selbst fällig: Gute Anfänge dafür wären eine Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuer, die ihre Namen verdienen.