Der Ork in deinem Kopf

Billig Der „Nazi-Proll aus dem Osten“ ist gerade unter Wessis ein beliebtes Klischee, das ein politisches Problem verharmlost
Ausgabe 39/2018
Nicht lustig
Nicht lustig

Foto: imago/Ipon

Vieles fiele leichter, könnten wir dem niederträchtigen Teil der Welt fröhlich begegnen. Wie schön wäre es, wenn Pegida, AfD und NPD sofort verschwänden, sobald sich etwa im Theater ein Stück wie Shakespeares Othello in eine Abrechnung mit dem ostdeutschen Mann verwandelte? Am Berliner Maxim-Gorki-Theater widmete sich eine Inszenierung vor zwei Jahren dem Werk mit genau diesem Ziel: humorvoll gegen die Rechten. Der Antagonist Rodrigo, der unglücklich in Desdemona verliebt ist, turnte drei Stunden lang in einer Harlekinverkleidung übers Geläuf, offenbarte sich als Rassist und sprach ausschließlich sächsisch.

An einer Stelle improvisierte der mit dieser Rolle betraute Till Wonka während der Premiere und schrie: „Ich will nur noch heim nach Clausnitz!“ Wenige Tage zuvor hatten in der sächsischen Kleinstadt rund 100 Demonstranten einen Bus mit Flüchtlingen blockiert und ausländerfeindliche Parolen gebrüllt. Die Polizei zerrte verängstigte Menschen gewaltsam aus dem Bus und heizte die Menge damit weiter an. Es war der Ekel ob dieser Bilder, der das später während der Pause des Berliner Othello in beflissenem Hochdeutsch parlierende Publikum befreit auflachen ließ – angesichts des im Dialekt salbadernden Bühnendorfnazis.

Im Lachen liegt ein Widerstandsgeist, den schon Sigmund Freud als Sieg des „Lustprinzips“ beschrieb, „das sich gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag“. Am Gorki feierten sie dieses Lustprinzip – und boten den vor den Flüchtlingsfeinden Fliehenden eine Zuflucht. Zum Feindbild erklärten sie zugleich den „Ossi“, der als weißer, männlicher, hässlicher und ungebildeter Proll zum Symbol des Rassismus wurde.

Da ließe sich einwenden, die Akademikerblase in Berlin-Mitte brauche eben ihren Karneval der Klischees, im Rest der Republik sei das Bild doch sicher viel differenzierter. Wer auf den entsprechenden Seiten der sozialen Netzwerke sucht, sieht sich schnell eines Besseren belehrt. Ein Beispiel ist die Satire Kriminelle Ossis Abschieben, die seit einigen Jahren bei Facebook die Erzählung bedient, jenseits der altbundesrepublikanischen Idylle befände sich in Deutschland nur noch geistiges Ödland, in dem der Rassismus braune Landschaften erblühen lasse.

Auf der Startseite steht ein Beitrag der Westberliner Fernsehsendung Abendschau vom September 1989, in dem es um Bürger der DDR geht, die in die BRD einreisen wollen. Darüber der Teaser: „Etwas Nachhilfe in Geschichte schadet bekanntlich nie. So herzlich wurden Wirtschaftsflüchtlinge der SBZ begrüßt, und was fällt ihnen ein? ‚Ausländer raus‘.“ Zum Thema der kulturellen Bereicherung heißt es an anderer Stelle: „Döner fürs Abendland statt Holzfiguren aus Ostdeutschland“.

Nun wissen sicher auch die Betreiber einer solchen Seite, dass sich der Hass nicht aus der Gesellschaft hinauskalauern lässt. Wer Rassisten der Lächerlichkeit preisgibt, gönnt jedoch zumindest seiner Seele ein wenig Wonne. Einheimische, die sich den Schutzsuchenden zugetan fühlen, schaffen sich selbst Schutzräume, in denen sie sich vergewissern können, worin das Gute liegt, was das Böse ist und warum man selbst eindeutig zu den Guten gehört. Die Frage ist nur, ob das einen Beitrag leisten kann, um die rassistischen Zustände zu verstehen und die Furcht vor dem Fremden in jenen zu vertreiben, die eben keine Neonazis sind, sondern unter anderen Umständen sehr wohl noch empfänglich wären für ethische Grundprinzipien.

Vor diesem Problem stand die Zivilgesellschaft schon 1992, als sich in Rostock-Lichtenhagen pogromartige Szenen gegen dort lebende Asylbewerber abspielten. Es gibt dieses berühmte Bild, das den arbeitslosen Enddreißiger Harald Ewert zeigt, wie er in Deutschlandtrikot und bepisster Hose den Hitler-Gruß zeigt. Noch heute hängt es als plakatierte Ikonografie in manch linker Studenten-WG. Von diesem Beispiel führt eine direkte Argumentationslinie ins Berlin-Hellersdorf des Jahres 2013. Damals sollte in dem Ostbezirk der Hauptstadt ein Flüchtlingsheim entstehen, was Proteste einiger Anwohner nach sich zog.

Das Vice-Magazin entdeckte im Getümmel einen teigig aussehenden Mann mit Glatze, der den rechten Arm hob. Der Autor Basiliko Brenner betitelte seinen zugehörigen Text mit Der Nazi-Ork von Hellersdorf. Orks sind böse, aggressive Wesen aus Tolkiens Saga Der Herr der Ringe. Brenner schrieb: „Liebe Hellersdorfer Nazis, bitte hört auf, euch so zu gebärden, als wärt ihr Deutschland, denn das seid ihr nicht. Ihr seid einfach ungebildet.“ Sofort wurde der Artikel ein viraler Hit im Internet, denn er lieferte eine einfache Erklärung für ein komplexes Phänomen. Ein Ork ist kein widersprüchliches menschliches Wesen. Er ist einfach da, und er ist einfach böse. Seine Existenz hat keine gesellschaftliche Ursache, denn er kommt aus einer anderen Welt, mit der die angewiderten Betrachter nichts zu tun haben.

Rassismus der Intelligenz

Der Soziologe Pierre Bourdieu schrieb 1978 vom „Rassismus der Intelligenz“. Er sei das, womit die Gebildeten versuchen, eine Rechtfertigung der von ihnen beherrschten sozialen Ordnung zu finden. Durch soziale Klassenherkunft erworbene Privilegien oder Benachteiligungen erscheinen als Ergebnis von Begabung oder Leistung. Das könne, so Bourdieu, zu einem Klassenrassismus führen, der sich seiner selbst nur schwer bewusst werde, weil die Aneignung kultureller Vorteile in der Kindheit spielerisch erfolge. Ein Gemeinwesen, das die Klassengesellschaft für überwunden hält, denkt über deren Funktionsweise nicht mehr nach. Es kommt zu einer Kulturalisierung des Klassenkampfes.

Darin könnte ein Schlüssel liegen, um die Existenz eines Buches begreifen zu können wie des kürzlich im Münchner Kunstmann-Verlag erschienenen Triumph des Wissens. Das Werk sei nichts weniger als ein „Fackelmarsch der Vernunft in dunkeldeutschen Zeiten“, so witzelt der Werbetrailer. Und der Klappentext sekundiert: „Wenn Patrioten mit Beyspoolschlegern die Befölkerung gegen linken Komponistenpack, Kanagen oder Cindies und Romas aufhetzen, dann sollte das Discotierholz in die Hand genommen werden.“ Das Buch stammt von der satirischen Initiative Hooligans gegen Satzbau, die sich vorwiegend bei Facebook über die Rechtschreibschwächen anonymer Netztrolle lustig macht.

Dabei liegt es eigentlich auf der Hand: Es gibt Ostdeutsche, die Hartz ΙV beziehen und Rassisten sind. Es gibt auch Ostdeutsche aus der Mittelklasse, die Rassisten sind. Und es gibt Ostdeutsche, die sehr viel Geld haben und Rassisten sind. Empirische Belege dafür, dass im Osten die Rassisten eine Mehrheit stellen und das Problem vorrangig eines der sogenannten Unterschicht ist, gibt es nicht.

Ausgerechnet die unteren Klassen zu Prototypen des hässlichen Deutschen zu machen, verharmlost das gesellschaftliche Problem des Rassismus – und es verstärkt bestehende Diskriminierungsstrukturen. Mittlerweile gibt es Sprachtherapeuten, die Arbeitnehmern auf Wunsch ihres Arbeitgebers den sächsischen Akzent abtrainieren. Offenbar fürchten Unternehmer, ihr Geschäft könne darunter leiden, wenn sie Menschen beschäftigen, die ihre sächsischen Wurzeln nicht verbergen. Studien belegen, dass Kinder mit Namen wie Kevin oder Mandy viele Nachteile in Schule und Beruf erfahren, weil ihnen die Zugehörigkeit zur unteren Klasse und eine Herkunft aus Ostdeutschland zugeschrieben wird.

Wer Rassismus vor allem als individuellen Bildungs- und Charaktermangel begreift, bedient ein entpolitisiertes Verständnis des Rechtsrucks. Der Abbau des Sozialstaats, die Aushöhlung von Bürgerrechten oder die Verschärfung des Asylrechts erscheinen dann als Begleitumstände, die einen rassistischen Mob ruhig stellen sollen. Als entwickele sich der Rassismus des „Pöbels“ im luftleeren Raum, und die Politik reagiere lediglich darauf. Wer also das Bild vom hässlichen Nazi-Proll aus dem Osten kultiviert, arbeitet sich an Vorurteilen ab, anstatt sich zu fragen, wer und was sie hervorbringt.

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