Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt“: So viele wahrste Sätze

Roman Die brillante Neuübersetzung von Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt“ zeigt, wie viel uns diese Geschichte auch nach mehr als 80 Jahren zu sagen hat
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 50/2022
Ernest Hemingway hat in „Wem die Stunde schlägt“ den Spanischen Bürgerkrieg verarbeitet
Ernest Hemingway hat in „Wem die Stunde schlägt“ den Spanischen Bürgerkrieg verarbeitet

Foto: Keystone/Getty Images

Es braucht schon verdammt gute Gründe, um einen Roman im Ziegelsteinformat zu veröffentlichen. Das gilt vor allem inmitten verschärfter Konkurrenz um Aufmerksamkeit, doch es galt auch in vordigitalen Zeiten. Erst recht aber galt und gilt es dann, wenn der Text von Ernest Hemingway (1899 – 1961) stammt; einem Verknappungskünstler, der den Leitspruch des Sprachpurismus geprägt hat: „Schreib den wahrsten Satz, den du kennst.“ Ein einziges Mal hat der im US-Bundesstaat Illinois geborene Autor ein mehr als 600 Seiten starkes Buch vorgelegt, das viele „wahrste Sätze“ enthält – und jetzt in einer brillanten Neuübersetzung von Werner Schmitz auf Deutsch vorliegt: Wem die Stunde schlägt.

Hemingway hat darin den Spanischen Bürgerkrieg verarbeitet, den er als Reporter vor Ort beobachtete. Zwischen 1936 und 1939 bekämpften die Putschisten um General Francisco Franco mit Unterstützung des deutschen NS-Regimes und der italienischen Faschisten erfolgreich die spanische Republik. Die anschließende rechtsextreme Diktatur hielt sich bis 1977. Während der Krieg tobte, verstand die internationale Presse den Konflikt bereits als Kampf, der über das lokale Geschehen hinauswies. Damals standen Fragen im Debattenraum, die uns im Angesicht des aktuellen Krieges gegen die Ukraine bekannt vorkommen: Sollten demokratische Staaten nun Waffen an die Attackierten liefern? Handelt es sich hier um einen Stellvertreterkrieg? Diskutiert wurde auch eine Frage, die Nachgeborene schmerzlich bejahen müssen: ob dieser Konflikt in Europa einen Teil beitragen könnte zu einem neuen Weltkrieg.

Nur auf den hinteren Seiten

In seinem Roman Wem die Stunde schlägt, der im November 1940 und damit nur ein Jahr nach dem Sieg der Faschisten erschien, schildert Hemingway eine gerade einmal drei Tage und drei Nächte währende Episode aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Protagonist ist der US-amerikanische Sprengstoffexperte Robert Jordan, der sich mit reichlich Dynamit im Rucksack bei widerständigen Anhängern der Republik in den Bergen vor Segovia nordwestlich von Madrid befindet. In deren Nähe soll er eine Brücke sprengen, um den faschistischen Vormarsch zu stoppen. Vom Pläneschmieden über die Ausführung des Auftrags bis hin zum tragischen Ende gelingt es Hemingway, die grundlegenden Fragen von Krieg und Frieden in die Handlung einzubauen und eine bewegende Liebesgeschichte ohne Kitsch zu inszenieren. Am relevantesten ist aus heutiger Sicht, dass der Romanautor Hemingway hier die Zeitgeschichte mit jener realistischen Ambivalenz darstellt, die der zeitgenössische Journalist Hemingway (wie die meisten seiner Kollegen) nicht zeigen wollte.

Vier Mal reiste Hemingway nach Madrid, um insgesamt zehn Mal die umgebenden Frontabschnitte in Augenschein zu nehmen. Als im März 1937 in der Nähe der Hauptstadt die Regierungstruppen herannahende Franco-Einheiten zurückgeschlagen hatten, traf der schon damals weltberühmte Schriftsteller und Journalist im Hotel „Florida“ ein, wo sich siegesgewisse Edelfedern befanden – John Dos Passos, Antoine de Saint-Exupéry, Martha Gellhorn oder George Orwell. In seiner Suite empfing Hemingway Besuch mit Delikatessen, während die Bevölkerung inzwischen Katzen essen musste. Er kaufte Anarchisten edle Weine ab, die sie in den Kellern des verlassenen Königspalasts gefunden hatten. In dieser Atmosphäre tauschten die Literaten ihre Kriegsgeschichten aus, die später in Büchern verewigt wurden.

Ernest Hemingway war einer der ersten amerikanischen Korrespondenten im Kriegsgebiet

Foto: London Express/Getty Images

In seinen Reportagen erweckte Hemingway den Eindruck, er habe permanent in Lebensgefahr geschwebt. Überhaupt erscheint in seinen Beiträgen der Kampf der Republik stets als heroisch, militärische Fehler bleiben unerwähnt, der Bürgerkrieg mutet an wie die epische Schlacht zwischen Engeln und Teufeln. Hemingway erhielt stattliche Honorare, die Texte landeten aber oft auf den hinteren Seiten der Magazine. Viele reiche Verleger und ihre zahlungskräftigsten Anzeigenkunden hatten ein Interesse an einem Sieg der Faschisten, weil sie die Macht der Kommunisten weltweit eindämmen sollten. Das mag ein Grund sein dafür, dass den linken Intellektuellen in ihrer Kriegskorrespondentenarbeit vor lauter ideologischer Nähe zur Republik der genaue Blick abhandenkam. Der Schriftsteller Arthur Koestler schrieb nach einem verheerenden Bombenangriff der Nationalisten im Herbst 1936: „Jeder, der die Hölle von Madrid erlebt hat und dann behauptet, objektiv zu sein, ist ein Lügner.“

Darin liegt eine Parallele zur politischen Großwetterlage der Gegenwart: Warum berichten die Leitmedien einseitig über den Ukraine-Krieg? Weshalb werden Menschen in Leitartikeln und Kolumnen teilweise wüst beschimpft, die deutsche Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine aus Angst vor einer globalen Eskalation ablehnen? Nun, damals wie heute scheinen die Rollen von Gut und Böse so eindeutig verteilt wie sonst nur im Märchen oder in Marvel-Filmen. Dass die deutsche Regierung mit dem Aggressor Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine am liebsten gar keine Energiegeschäfte mehr tätigen würde, gleichzeitig aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Schurkenstaaten wie Saudi-Arabien und Katar intensiviert, ist nur ein Grund zur Einsicht in die Notwendigkeit: Eine „wertegeleitete Außenpolitik“ kann es in einer kapitalistischen Weltwirtschaft niemals geben. Auch nicht, wenn es gegen einen Faschisten wie Franco geht. Dass demokratische Staaten damals nicht beherzt eingriffen in den Bürgerkrieg, mag man im Nachhinein aus guten Gründen kritisieren. Dass sie es heute in der Ukraine nicht tun, hat unter anderem mit einem Unterschied ums Ganze zu tun, der oft verharmlost wird: In den 1930er Jahren standen einander noch keine Atommächte gegenüber.

Im Krieg stirbt auf allen Seiten stets zuerst die Wahrheit. Ein Wahrhaftigkeitsfreund wie Hemingway dürfte das längst gewusst haben, zumal er im Ersten Weltkrieg als Rot-Kreuz-Fahrer in Italien diente. Sein verständlicher Hass auf den Faschismus ließ ihn diese alte Weisheit im Spanischen Bürgerkrieg aber vergessen. Mit Distanz schilderte er in Wem die Stunde schlägt dann im zehnten Kapitel ein Massaker, das republikanische Kämpfer an Faschisten verüben. Da werden Männer mit „Sicheln und Mähdreschern zerhackt“, einem weiteren wird der „Kopf auf die Steinplatten der Arkaden geschlagen“, bis er tot ist. Andere werden unter Gelächter und mit Dreschflegelhieben an eine Klippe getrieben und hinuntergestoßen. Später sagte Hemingway, die Szenen beruhten auf wahren Vorfällen. Die Figur der entschlossenen Antifaschistin und Augenzeugin Pilar lässt der Autor sagen: „Ich hatte gedacht, wenn es denn so sein muss, muss es eben so sein, und wenigstens war keine Grausamkeit dabei, es ging nur darum, Leben auszulöschen, was, wie wir alle in diesen Jahren gelernt haben, zwar hässlich ist, aber auch notwendig, wenn wir siegen und die Republik retten wollen.“

Näher am Hemingway-Sound

Es sind erbarmungslose Worte, die wohl zu den wahrsten Sätzen gehören, die Hemingway über diesen Krieg kannte. Und hier liegt auch das Verdienst des Übersetzers, dessen Name in der Neuausgabe des Rowohlt-Verlags löblicherweise mit Autor und Titel auf dem Cover steht. Werner Schmitz hat es geschafft, die veraltete Übertragung von Paul Baudisch auf einen neuen Stand zu bringen und den Hemingway-Sound noch besser zu vermitteln. In der alten Übersetzung etwa sagt Pilar nicht, wie bei Schmitz: „Es ging nur darum, Leben auszulöschen“; nein, sie sagt: „Sie wurden einfach ums Leben gebracht.“ Das ist eine klare Verniedlichung des englischen Originals, in dem es heißt: „There was no cruelty, only the depriving of life.“

F. Scott Fitzgerald schrieb seinem Freund Hemingway nach der Lektüre: „Ich bin bei manchen Effekten nicht dahintergekommen, wie Du sie zustande gebracht hast. Gelungen ist es Dir in jedem Fall.“ Tatsächlich ist die markerschütternde Wirkung der einfach daherkommenden, dialoglastigen Sprache schwer zu erklären. Aber macht nicht genau dies die Magie auch derart harter Literatur aus? „Wer schwach ist, kann zur Gefahr werden“, sagt Robert Jordan an einer Stelle. „Ich wäre ein guter Mann gewesen“, behauptet Pilar an einer anderen. „Er hörte die Schüsse, und beim Gehen spürte er sie in der Magengrube wie Echos an seinem Zwerchfell“, berichtet der Erzähler gegen Ende. Spätestens hier dürfte die im Laufe der Lektüre entstandene Erkenntnis gereift sein, dass Ernest Hemingway mit Wem die Stunde schlägt einen Roman hinterlassen hat, der die Nachwelt bei jedem neuen Krieg aufrütteln kann.

Wem die Stunde schlägt Ernest Hemingway, neu übersetzt von Werner Schmitz, Rowohlt 2022, 624 S., 30 € (Leseprobe)

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