Das Versagen der Mandarine

Sachbuchlisten-Eklat Wie konnte mit Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“ ein neurechtes Werk in den Empfehlungen von NDR und Süddeutscher Zeitung landen?
Ausgabe 24/2017

Man muss Rolf Peter Sieferle nicht mögen. Der Soziologe raunt in Finis Germania ein Gebräu von Überfremdung, Untergang und zugleich Überlegenheit zusammen, wie man es von rechten Autoren der Angst gewohnt ist. So dicht Sieferle schreibt – man gleitet sogleich in den Carl-Schmitt-Sog –, so abschreckend und unverständlich geht seine Rede. Auschwitz rahmt er häufig mit Anführungszeichen – so als sei diese gigantische SS-Fabrik der Ausrottung des Judentums nur ein Zitat und nie Wirklichkeit gewesen. „Aus der Kollektivschuld der Deutschen, die auf ‚Auschwitz‘ zurückgeht, folgt ebenfalls der Aufruf zur permanenten Buße“, schreibt Sieferle. „Der Deutsche ähnelt daher nicht dem Menschen (...) sondern dem Teufel, dem gestürzten Engel, dessen Schuld niemals vergeben und der für alle Zeit in der Finsternis verharren wird.“

Sieferle hat sich vergangenes Jahr selbst in die Finsternis befördert, sein Buch aber sorgt gerade für einen Skandal. Denn dieses von rechtsextremen und neurechten Motiven nur so strotzende Werk ist tatsächlich auf der Empfehlungsliste von NDR und Süddeutscher Zeitung gelandet.

Man kann die unabhängige Jury, auf die der öffentlich-rechtliche Sender und das linksliberale Flaggschiff der Republik hören, nicht mehr mögen. Wie konnte Sieferles apokalyptisches „Ende Deutschlands“ auf diese Kauf-mich-Liste gelangen? Die Leute, die das Buch auf Platz neun setzten, sind ja nicht irgendwer, sondern deutsche Mandarine. Der versammelte Geistesadel von Journalisten und Germanisten hat Sieferle auf Platz neun des Sachbuch-Throns gehoben. Ein Buch, das von Antaios herausgebracht wird, dem Verlag der rechten Gedankenschmiede von Götz und Ellen Kubitschek.

Eines der Jury-Mitglieder – ein Redakteur beim Spiegel, dem angeblichen Sturmgeschütz der Demokratie – hat Finis Germania empfohlen und wie beim Roulette alle seine 20 Wertungspunkte auf Braun gesetzt. Angeblich ist das gegen die Regeln, aber so landete Sieferle nun auf der Shortlist der Sachbuch-Empfehlungen des Monats. Nur, so fragt man sich jetzt unweigerlich, haben denn die Juroren, in deren Namen die Liste erstellt wird, ihren Sieferle gar nicht gelesen? Ist es tatsächlich so, dass die Schlauesten der Schlauen unter den Wortdrechslern Texte prämieren, die sie gar nicht kennen? Konnte niemandem dieser Mega-Gatekeeper auffallen, wie krude die Sätze sind, und dass Sieferles Verleger der rechte Spitzenverschwörer aus Schnellroda ist?

Inzwischen hat sich der NDR, klar, „entschieden von den rechtslastigen Verschwörungstheorien distanziert“. Die Arbeit mit der edlen Jury wurde, selbstverständlich, sofort ausgesetzt. Auch so mancher Juror hat mit hochrotem Kopf sein Amt niedergelegt. Der Oberkanonier des Sturmgeschützes, Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer, hat prompt eine betretene Erklärung „in eigener Sache“ emittiert. Man kennt diese Rituale der Ächtung – immerhin sind Bücher ja so gefährlich, dass man sie hierzulande auch schon verbrannt hat.

Nur die entscheidende Frage hat noch keiner beantwortet: Wieso lesen Gutachter das Zeug nicht, das sie anschließend der Republik auf den Nachttisch legen? Vielleicht ist es Zeit, die Wahrheit über die Sachbuchliste des Monats zu sagen: Sie hat mit Literaturkritik nichts zu tun, sondern gleicht einem primitivem Multiple-Choice-Ankreuzverfahren, das sich ziemlich leicht übertölpeln lässt. Finis Germania übrigens muss gerade nachgedruckt werden.

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Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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