Das Kreuz und die Nachfolge

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Mit dem Bundesverdienstkreuz zeichnet die Republik die Arbeit von Thomas Gandow als gesellschaftlich wertvoll aus. Doch seine Nachfolge ist weiterhin ungeklärt.

Das Bundesverdienstkreuz für Pfarrer Thomas Gandow war eine der letzten Auszeichnungen, die der Bundespräsident mit der bislang kürzesten Amtszeit noch verleihen konnte. Bei einem Festakt im Berliner Dom wurde es gestern dem schon pensionierten Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten durch Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz im Auftrag des inzwischen zurückgetretenen Staatsoberhauptes übergeben. Im Unterschied zu letzterem hatte Gandow über drei Jahrzehnte auf seinem Posten ausgeharrt - trotz vielerlei Anfeindungen, auch aus den eigenen Reihen.

Proteste im Vorfeld dieser Verleihung, Briefe, in denen Gegner verlangten, die Ehrung nicht vorzunehmen - das war für André Schmitz ein Novum, für Thomas Gandow aber nur ein Grund mehr, das Kreuz anzunehmen. Als Zehnjähriger aus Ostberlin in den Westteil der Stadt übergesiedelt, war der Altachtundsechziger später drei Jahre Mitglied der linksextremistischen „Liga gegen den Imperialismus“. Während seine Mitstreiter sich später in der Führungsriege der Grünen etablieren konnten, trat Gandow aus der Liga aus und wechselte ins bürgerliche Lager, behielt aber eine konsequent kritische Distanz zu autoritären und imperialen Ansprüchen und Praktiken, egal, ob sie von Staaten oder von Sekten propagiert und exekutiert wurden.

Als kürzlich durch Wikileaks herauskam, dass die offiziell anders begründete Auflösung der Hamburger Arbeitsstelle Scientology durch einen vertraulichen Vorstoß von US-Diplomaten initiiert worden war, konnte Gandow endlich nachvollziehen, wie beide Imperialismen zusammenwirken. Für ihn ist Scientology weder Religion, noch Weltanschauung noch Wirtschaftsunternehmen. Für ihn ist der Psychokult vielmehr ein privater Geheimdienst, der die Kontrolle von Staaten und Regierungen übernehmen will. Von den USA wurde Scientology dafür damit honoriert, dass der Organisation Steuer- und Straffreiheit im Innern und diplomatische Unterstützung nach außen gewährt wird.

Die große Tragödie von Gandows Wirken war am Ende die späte Erfahrung, dass sektenähnliche Gepflogenheiten, Mobbing und unkontrollierbare Machtstrukturen auch in der Evangelischen Kirche existieren. Gegen die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) musste der Berliner Prozesse führen, mit denen er teilweise Erfolg hatte. Zuvor hatte es in zwei geheimen Papieren der EKM geheißen, das Ehepaar Gandow sei „eine große Gefahr für unsere Kirche“. Gefordert wurde „ein geschlossenes Auftreten gegenüber dem Ehepaar Gandow und zwar auf allen Ebenen unserer Kirche“. Den Worten folgten Taten. Thomas Gandows Frau Ute wurde auf Betreiben des Kirchenamtes der EKM vom Amt einer Ältesten mit falschen, später in einer Unterlassungserklärung zurückgenommenen Anschuldigungen wegen „Unwürdigkeit“ ausgeschlossen.

Im Unterschied zur EKM fiel die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) Thomas Gandow als seine Dienstherrin nie öffentlich in den Rücken. Doch Versuche, ihn intern an die Leine zu nehmen, gab es in den letzten Jahren durchaus. Wolfgang Hubers Nachfolger im Berliner Bischofsamt, Markus Dröge, versuchte ihm zuletzt einen Pressemaulkorb umzuhängen, indem er ihn und andere Landesbeauftragte der EKBO in einem Rundschreiben aufforderte, sich künftig nicht mehr ohne Abstimmung mit seinem Büro in der Öffentlichkeit zu äußern.

Als der Unbeugsame schließlich im letzten Jahr in den Ruhestand verabschiedet wurde, sollte es nach der Beschlussvorlage im Haushaltsausschuss der Landessynode keinen Nachfolger mehr geben. Aus den Mitteln für seine Stelle soll künftig statt dessen ein „Dialogbeauftragter“ für das Gespräch mit anderen Religionen bezahlt werden, der Gandows Aufgaben mit erledigt. „Seit vielen Jahren bin ich der Überzeugung, dass man die Weltanschauungsbeauftragten in Dialogbeauftragte umwandeln sollte“, hatte die deutsche Scientology-Chefin Sabine Weber 2009 in einem Kommentar auf Freitag.de gefordert, als dort über das 30jährige Dienstjubiläum ihres gefährlichsten Kritikers berichtet wurde. Dass die EKBO genau diese Forderung wenig später exakt erfüllt, kann Zufall sein, sorgt aber doch für Erstaunen.

Allerdings zauberte sie am Tag seiner Verabschiedung in letzter Minute dann doch noch eine weitere Nachfolgeregelung aus dem Hut: Gemeinsam mit der Anhaltischen Schwesterkirche wollte die EKBO einen Nachfolger einsetzen, der vollständig von Dessau bezahlt werden sollte. Dazu musste nicht einmal der Haushaltsausschuss befragt werden. Den Samariter zu spielen kann sich die inzwischen kleinste Landeskirche der EKD in Anhalt allerdings nur leisten, wenn das ganze auch sie selbst nichts kostet, sie also ihren Personalbestand nicht erweitern muss.

Nachdem diese Nulltarif-Lösung irgendwie scheiterte, ist Holland in Not. Nach Recherchen des Tagesspiegel gehen beim Infotelefon der EKBO wöchentlich mehrere Anfragen von Eltern und Betroffenen zu Sekten und neureligiösen Bewegungen ein, die dort wegen fehlender Kompetenz kaum bewältigt werden können. Anrufer werden entweder an den Senat oder an ihre Gemeindepfarrer verwiesen. Auch die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in der Berliner Auguststraße muss als Ersatz für Thomas Gandow herhalten. Als bundesweit arbeitendes Forschungs-Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist man dort für landeskirchliche Aufgaben aber nicht zuständig.

Wie Pröpstin Friederike von Kirchbach außerdem gegenüber dem Berliner Tagesspiegel bekanntgab, sucht die EKBO deshalb wieder intensiv nach einem Nachfolger, und das „gemeinsam mit anderen Gliedkirchen“ - was bedeutet: Irgendwo könnte doch jemand gerade für nichts anderes gebraucht werden, der sowieso bezahlt werden muss. Ob der sich dann allerdings auch berufen fühlt, das Kreuz zu tragen, das die Nachfolge von Thomas Gandow mit sich bringt, ist eine zweite Frage. Mögen für einen Überzeugungstäter wie ihn die mit seinem Auftrag verbundenen Anfeindungen und Verleumdungen auch ein sanftes Joch und eine leichte Last gewesen sein: Märtyrertum ist nicht jedermanns Sache – es sei denn, jemand weiß genau, wofür er steht. Daran hat Thomas Gandow jedenfalls nie einen Zweifel gelassen, egal, mit wem er es zu tun hatte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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