Der Untergang einer Kirchengemeinde

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Ein Kirchengericht stellte gestern die Nichtexistenz der ältesten Gemeinde von Berlin fest. Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die Situation der Großkirchen, die nicht nur ihre Gemeinden, sondern auch ihre Werte für das eigene Überleben zu opfern bereit sind.

Zwischenbilanz einer innovativen Selbstzerstörung

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„Wenn zwei fusionieren, gehen sie beide unter.“ Mit diesem simplen Grundsatz aus dem Aktien- und Gesellschaftsrechts machte Richter Golze als Vorsitzender des kirchlichen Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz den drei gewählten Ältesten des Pfarr- und Wahlbezirks St. Petri klar, dass sie vollmachtlose Vertreter einer seit dem 1.1.2006 nicht mehr existierenden Körperschaft sind und das Gericht ihre Klage deshalb mangels Beteiligungsfähigkeit abweisen muss. Zwar sei das Interesse an der Einhaltung des zugrundeliegenden Fusionsvertrages zwischen St. Petri und St. Marien verständlich, doch habe man bei Vertragsschluss versäumt, festzulegen, wer die Rechte aus diesem Vertrag einklagen kann, wenn sie verletzt werden.

Zur Verdeutlichung verwies der Vorsitzende auf den Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dort habe man daran gedacht, auch zu regeln, wer die von der DDR ausgehandelten Rechte nach deren Untergang stellvertretend einfordern kann. Dieses Recht sei im Vertrag den fünf neuen Bundesländern zuerkannt worden - nicht allen zusammen, sondern jedem für sich.

Im Umkehrschluss heißt das, dass sich ohne Rechtsnachfolgeklauseln der Regelungsgehalt von Vereinigungsverträgen nur auf die Fusion als solche beschränkt. Was darüber hinaus drinsteht, ist unverbindlich, egal, ob es ehrlichen Goodwill oder vorsätzliche Augenwischerei wiedergibt. Wer sich bei einer Fusion auf ein gegebenes Wort oder den bloßen Buchstaben eines geschriebenen Vertrages verlässt, dessen böses Erwachen steht im Grunde schon fest.

Das gilt selbst dann, wenn – wie so häufig - der kleinere Fisch den größeren schluckt. St. Petri war vergleichbar mitgliederstark wie St. Marien, aber traditionsreicher und vor allem vermögender. In der ältesten urkundlich erwähnten Gemeinde der späteren preußischen Hauptstadt residierten einst die Pröpste, von denen alle brandenburgischen Geistlichen ordiniert wurden. Fast ein Jahrtausend lang konnte die lange bedeutendste Gemeinde so Güter über Güter anhäufen, zu denen unter anderem ein See gehört, der 1915 aus der kaiserlichen Privatschatulle erworben wurde. Vor der Fusion warf dieser Immobilienbesitz einen Ertrag von jährlich 350.000 Euro ab, aus dem rein rechnerisch mehr als nur eine Pfarrstelle hätte finanziert werden können. Das von den Bomben des 2. Weltkriegs unversehrte Kirchengebäude wurde zwar bei der Einnahme Berlins von der Roten Armee zerschossen, denn ausgerechnet dort hatte sich ein letztes Aufgebot der SS verschanzt. Doch lag der Gottesdienstraum auf dem Hof des damaligen Berliner Konsistoriums (Ost) in der Neuen Grünstraße, dem historisch bedeutsamsten Widerstandsnest der Konterrevolution gegen denPoststalinismus des DDR-Regimes.

Bei der Fusion mit St. Marien wurde sorgsam darauf geachtet, dass all dies erhalten bleibt. Vertraglich wurde vereinbart, dass der Petri-Saal Predigstätte ist und dort weiterhin Gottesdienste stattfinden. Auch der Gemeindekirchenrat wurde paritätisch austariert. Zum Fusionsstichtag gehörten ihm je ein hauptamtlicher Pfarrer und je fünf Laien aus beiden Ex-Gemeinden an, 1 Pfarrer, 3 Älteste und 2 Ersatzälteste aus dem Wahlbezirk St. Petri, 1 Pfarrer, 4 Älteste und 1 Ersatzältester aus St. Marien.

Nicht im Vertrag stand der Fortbestand der Pfarrstelle an St. Petri. Hierzu war den Fusionspartnern jedoch vom Kirchenkreis und der Landeskirche erklärt worden, die Vereinigung mit St. Marien sei „unabdingbare Voraussetzung“ um über einen Erhalt einer eigenständigen Pfarrstelle bei St. Petri überhaupt nachdenken zu können.

Von einem solchen Nachdenken war dann bei Pensionierung des Amtsinhabers im vergangenen Jahr keine Rede mehr. Statt dessen hob der Gemeindekirchenrat der Gemeinde St. Petri – St. Marien die beiden Wahlbezirke auf und beschloss, dass nun auch keine Gottesdienste mehr im Petri-Saal stattfinden sollen.

Die Abstimmung dazu erfolgte eindeutig und mit großer Mehrheit. Denn den ursprünglichen Proporz gab es im Gemeindekirchenrat schon lange nicht mehr. Durch die Einrichtung einer zweiten Pfarrstelle an St. Marien, den Wegfall der St. Petri Stelle und die Kooptierung von zwei berufenen Mitgliedern war nachträglich ein Übergewicht von 4 Stimmen zu Gunsten des Pfarr- und Wahlbezirks St. Marien entstanden. Die Ältesten und Pfarrer des Marien-Bezirks konnten so nicht nur die Änderung der vertraglich zugesicherten Verhältnisse mehrheitlich beschließen, sondern auch die neu gebildete Körperschaft vor Gericht auf der Beklagtenseite gültig vertreten, während auf der Klägerseite die Ältesten des Pfarr- und Wahlbezirks St. Petri als vollmachtlose Vertreter einer nicht existierenden Körperschaft saßen.

Betroffen und wehrlos mussten sie sich in der Verhandlung anhören, dass ein dauerhafter Erhalt der Predigtstätte von St. Petri schon bei Vertragsabschluss nie beabsichtigt war. Dies sollte nur für eine Zeit des Übergangs gelten, und die sei nun vorbei. Es gehe um „ein großes Anliegen der Kirche unserer Zeit: Nicht unterzugehen“. Leuchttürme wie St. Marien am Alex würden von den sorgenbeladenen Menschen der Gegenwart gesehen und aufgesucht, der Petri-Saal „in diesem Hinterhof“ werde von ihnen gar nicht wahrgenommen, nur eine City-Kirche könne deshalb den „Hungernden“ unserer Zeit „Brot geben“.

Tatsächlich besuchen inzwischen in St. Marien pro Monat etwa 10.000 Menschen rund 25 Gottesdienste. Auch Seelsorge für Touristen wird fast rund um die Uhr angeboten. Die Frage ist nur, welches „Brot“ da an die Hungernden ausgeteilt wird, wenn das ganze mit einer so perfiden Täuschung erkauft wurde und diese Dienstleistung nicht aus dem Geld der Touristen, sondern dem Vermögen einer hinters Licht geführten und ausgeplünderten Nachbargemeinde finanziert wird. Der Trost, der den Suchenden unserer Zeit vielleicht dennoch Wort-Gottes-getreu verkündet wird, hat mit der gelebten Realität hinter dem Zustandekommens und Fortbestehens dieser Verkündigung nichts mehr zu tun.

Auch wenn diese Diskrepanz zwischen Botschaft und eigener Realtität hier nicht zum ersten Mal in der Kirchengeschichte deutlich wird und Kenner der Reformationsgeschichte an die Finanzierungstricks beim Bau des Leuchtturms auf der Piazza S. Petri erinnert werden, wird im Vergleich zwischen Rom und Berlin doch echte Zeitgenossenschaft sichtbar: Der Untergang der ältesten Gemeinde Berlins und die dabei angewendeten Fusions-Tricks offenbaren, dass die Idee der vielgeschmähten EKD-Unternehmerdenkschrift, die „Heuschrecke als Gottesanbeterin“ hinzustellen (FAZ), keine Lobhuberei auf zahlungskräftige Dritte war, sondern die eigene Mutation von der Gottesanbeterin zur Heuschrecke legitimieren soll.

Der Verfasser macht auf sein Crossposting dieses Beitrags bei pfarrverein.com aufmerksam.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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