Gewinner und Verlierer. Eine kritische Bilanz zu Volksentscheiden

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Man könnte Klaus Wowereit und den Rot-roten Senat zu ihrem gestrigen Sieg beglückwünschen und zur Tagesordnung übergehen. Wären da nicht jene Abgründe, die bei diesem Anlass sichtbar wurden.

Wenn das Abstimmungsergebnisses exakt den Verlauf der Berliner Mauer nachzeichnet, kann das zum 20 Jubiläum ihres angeblichen Falles die Feierlaune nur senken – als wäre die Wirtschaftskrise nicht schon Strafe genug. Die offenbar gewordene Teilung seiner Stadt kann Berlins Regierenden Bürgermeister ebenso wenig beglücken wie die Spaltung seiner Partei in dieser Frage. Deren eigener Kanzlerkandidat hatte sich öffentlich gegen ihn positioniert. Verloren haben auch populäre Mitstreiter von Klaus Wowereit, die sich in öffentlichen Diskussionen sichtbar angefressen als „Brüllaffen“ gebärdeten. Und mit einem Griff in die Steuerkasse, den das höchste zuständige Verwaltungsgericht anschließend für illegal erklärt, hat sich der Rot-rote Senat ein politisches Eigentor ersten Ranges fabriziert.

Verloren hat auch der Glaube an die Basisdemokratie. Bei einem Ergebnis von knappen 15 % auf beiden Seiten bekam keine die erforderlichen 25 % der wahlberechtigten Berlinereinnen und Berliner zusammen, mit denen das Volk eine Volksabstimmung gewinnen kann, sodass es wieder allein auf den Senat ankommt. Wenn bei diesem bislang einmaligen logistischen, medialen und finanziellen Aufwand ein Volksbegehren nicht die maßgebliche Entscheidung herbeiführt, wann dann?

Die nächsten Verlierer sind deshalb die Berliner Raucher und Gastronomen – es sei denn, sie begreifen jetzt, dass weitere Investitionen in ihr Volksbegehren zu nichts führen werden. Wenn überhaupt, haben Volksentscheide nur dann eine Chance, wenn sie mit Wahlterminen auf Länder-, Bundes- oder Europa-Ebene gekoppelt werden. Solange die Regierung den Termin bestimmen kann, bestimmt sie das Ergebnis.

Gewonnen haben aber die Christinnen und Christen und die Schülerinnen und Schüler dieser Stadt. Allgemeinheit und Medien interessierten sich für sie und ihre Belange. Und die ökumenische Eiszeit mit ihrem gähnend leeren ökumenischen Kalender könnte in Berlins Zukunft Vergangenheit sein. Priester und Pastoren, Katholikinnen und Protestantinnen sind einander näher gekommen beim gemeinsamen Engagement. Und hartgesottene Kleriker haben gelernt, dass bei Laieninitiativen nicht immer nur Stimmung gegen sie gemacht wird. Imame, Rabbinerinnen, jüdische und muslimische Organisationen haben sich als konstruktive, verlässliche Partner von Kirchen und Christen erwiesen. Daraus kann Gutes werden, was der Stadt und der Integration hier lebender Menschen nachhaltig nützen könnte, ohne auf staatliche Gelder oder Regelungen angewiesen zu sein.

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Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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