Lebensretter oder Killerkonzern?

Pharmaindustrie Pharmaforschung ist eine Gratwanderung. Wer lebensrettende Patente entwickelt, bekommt Macht über Leben und Tod. Der Konzern BioMarin gerät zunehmend in die Kritik.

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Heute berichten „Die Welt“ , die „Süddeutsche“ und um 18 Uhr das ZDF in „Mona Lisa“ über das Schicksal der 9jährigen Hannah Vogel aus Greiling bei Bad Tölz. Vor 10 Tagen war „Hannahs Todeskampf mit einer US Pharmafirma“ (Die Welt) schon Thema in der ARD-Sendung „Kontraste“.

Der Pharmakonzern BioMarin mit Sitz in Kalifornien gehört zu den hoch innovativen Entwicklern von Medikamenten gegen bislang unheilbare, teilweise seltene, aber tödlich verlaufende Krankheiten. Darunter sein „Cerliponase Alfa“ oder auch „BMN 190“ genanntes Orphan, von dem im Januar bekannt wurde, dass es Zulassungs-Studien zufolge ohne erkennbare Nebenwirkungen die tödliche Krankheit NCL2, auch Kinderdemenz genannt und zur Batten-Disease gerechnet, stoppen kann. Die wurde bei Hannah diagnostiziert.

Vor ihrer offiziellen Zulassung dürfen neue Medikamente allerdings nur im Rahmen von Studien oder von einem alternativlosen potenziell lebensrettenden Heilungsversuch unter ärztlicher Verordnung verabreicht werden. Diesen Arzt gibt es bei Hannah. Doch seine Anfrage wurde von BioMarin abgewiesen.

Hannah ist nicht der erste Fall, in dem BioMarin Nein sagt. Wie Tommy Schmoll, der für „Die Welt“ berichtet, herausfand, scheiterten mit solchen Anfragen vor 2 Jahren bereits die Ärzte der zunächst 17jährigen Engländerin Cloe Drury und der texanischen Juristen Andrea Sloan. Beide sind inzwischen tot. Sie bekamen 2013 zwar jeweils das Krebsmedikament, aber viel spät.

Cloe ließ BioMarin warten, bis sie 18 war. Die konzerneigene „Compassionate Use Policy“ verlangt nämlich das Vorliegen von zwei präzise definierten Voraussetzungen, bevor die Anfrage eines Artzes positiv beantwortet werden kann. Dazu gehört, dass das Medikament nicht nur erprobt sein muss, sondern auch erprobt an Personengruppe in einem vergleichbaren medizinischen Zustand, um unbekannte Risiken ausschließen zu können. Bei einem Medikament, das bis dahin nur an Erwachsenen erprobt wurde, kann sich aus dieser Klausel der konzerneigenen Richtlinien ein solches unbekanntes Risiko ergeben. Wenn nicht aus medizinischen Gründen – eine so scharfe Grenze kann biologisch ja nicht plausibel sein – so doch aus rechtlichen.

In der Folge haben Cloes Hinterbliebene eine von Lord Saatchi angeregte Gesetzesnovelle im Vereinigten Königereich unterstützt, die die Gabe lebensrettender Medikamente vor der Marktreife erleichtern soll. Allerdings hat die #SaatchiBill-Petition auf change.org binnen eines Jahres nur 21.000 Unterschriften erhalten. Deutlich erfolgreicher war Andrea Sloans Petition, die über 200.000 Unterschriften bekam und schließlich auch das Krebsmedikament – allerdings wohl nicht von BioMarin, sondern von einem anonym gebliebenen angeblichen Mitbewerber.

Hannahs Petition an BioMarin hat schon binnen einer Woche die 200.000er Grenze erreicht. Jede Stunde kommen 1.000 Unterschriften hinzu. Ob das ihr Leben retten wird, ist fraglich. Der Konzern hält sich bisher eisern an die eigenen Richtlinien. Er begründet diese Rigorosität in einem Media Statement vom 5. Mai 2015 ethisch: „Da wir gegenüber allen Patienten mit NCL2 und deren Familien, die auch mit größter Dringlichkeit auf neue therapeutische Optionen warten, eine ethische Verpflichtung haben, können wir in diesem frühen Stadium der Entwicklung keine individuellen Anfragen nach Therapie außerhalb von klinischen Studien gewähren. Wir möchten die Entwicklung von Cerliponase alfa nicht gefährden, von der – vorausgesetzt die Therapie ist erfolgreich – hunderte Patienten und deren Familien profitieren können.“

Ein klassisches ethisches Dilemma. Darf oder sollte man ein einzelnes Menschenleben preisgeben, um viele andere dafür sicherer retten zu können?

Ob es wirklich um diese Frage geht, oder, wie unter anderem Christina Berndt in der SZ Stimmen wiedergibt, doch eher um Haftungsrisiken oder den Börsenwert des Unternehmens, scheint auf ersten Blickwie eine Verschwörungstheorie – weder beweisbar, noch widerlegbar zu sein.

Doch genau besehen hat BioMarin selbst den Beweis dafür, ins Nezt gestellt. Nach Phase I/II war BMN 90 war das evaluierte Ergebnis sicher genug, auf seiner subdomain "investors.bmrn.com" damit schon mal den eigenen Börsenwert zu unterfüttern. Wenn „in diesem frühen Stadium“ aber ein individueller Heilversuch außerhalb klinischer Studien die laufenden Studien noch kompromittieren kann, wie konnte dann der Konzern am 12. Januar die - wenn die Angaben stimmen - sehr hohe Sicherheit und Effektivität des neuen Medikaments dort und in einer inzwischen vom Netz genommenen Präsentation schon öffentlich bekannt machen?

Wenn damit nicht nur Aktionäre gewonnen werden sollten, sondern zutrifft, was da veröffentlicht wurde, dann sind – was das „Stadium“ der Erprobung betrifft - nach dem deutschen Arzneimittegesetz (AMG) die Voraussetzungen für einen individuellen Heilungsversuch erfüllt und ebenso nach den konzerneigenen Richtlinien.

Was möglicherweise torzdem noch dagegen spricht, müsste anders begründet werden und konkretisiert werden – das wurde es aber nicht. Deshalb ist die Weigerung des Konzerns zwar eigentumsrechtlich gedeckt, aber nicht schlüssig nachvollziehbar. Bislang jedenfalls nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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