Heute berichten „Die Welt“ , die „Süddeutsche“ und um 18 Uhr das ZDF in „Mona Lisa“ über das Schicksal der 9jährigen Hannah Vogel aus Greiling bei Bad Tölz. Vor 10 Tagen war „Hannahs Todeskampf mit einer US Pharmafirma“ (Die Welt) schon Thema in der ARD-Sendung „Kontraste“.
Der Pharmakonzern BioMarin mit Sitz in Kalifornien gehört zu den hoch innovativen Entwicklern von Medikamenten gegen bislang unheilbare, teilweise seltene, aber tödlich verlaufende Krankheiten. Darunter sein „Cerliponase Alfa“ oder auch „BMN 190“ genanntes Orphan, von dem im Januar bekannt wurde, dass es Zulassungs-Studien zufolge ohne erkennbare Nebenwirkungen die tödliche Krankheit NCL2, auch Kinderdemenz genannt und zur Batten-Disease gerechnet, stoppen kann. Die wurde bei Hannah diagnostiziert.
Vor ihrer offiziellen Zulassung dürfen neue Medikamente allerdings nur im Rahmen von Studien oder von einem alternativlosen potenziell lebensrettenden Heilungsversuch unter ärztlicher Verordnung verabreicht werden. Diesen Arzt gibt es bei Hannah. Doch seine Anfrage wurde von BioMarin abgewiesen.
Hannah ist nicht der erste Fall, in dem BioMarin Nein sagt. Wie Tommy Schmoll, der für „Die Welt“ berichtet, herausfand, scheiterten mit solchen Anfragen vor 2 Jahren bereits die Ärzte der zunächst 17jährigen Engländerin Cloe Drury und der texanischen Juristen Andrea Sloan. Beide sind inzwischen tot. Sie bekamen 2013 zwar jeweils das Krebsmedikament, aber viel spät.
Cloe ließ BioMarin warten, bis sie 18 war. Die konzerneigene „Compassionate Use Policy“ verlangt nämlich das Vorliegen von zwei präzise definierten Voraussetzungen, bevor die Anfrage eines Artzes positiv beantwortet werden kann. Dazu gehört, dass das Medikament nicht nur erprobt sein muss, sondern auch erprobt an Personengruppe in einem vergleichbaren medizinischen Zustand, um unbekannte Risiken ausschließen zu können. Bei einem Medikament, das bis dahin nur an Erwachsenen erprobt wurde, kann sich aus dieser Klausel der konzerneigenen Richtlinien ein solches unbekanntes Risiko ergeben. Wenn nicht aus medizinischen Gründen – eine so scharfe Grenze kann biologisch ja nicht plausibel sein – so doch aus rechtlichen.
In der Folge haben Cloes Hinterbliebene eine von Lord Saatchi angeregte Gesetzesnovelle im Vereinigten Königereich unterstützt, die die Gabe lebensrettender Medikamente vor der Marktreife erleichtern soll. Allerdings hat die #SaatchiBill-Petition auf change.org binnen eines Jahres nur 21.000 Unterschriften erhalten. Deutlich erfolgreicher war Andrea Sloans Petition, die über 200.000 Unterschriften bekam und schließlich auch das Krebsmedikament – allerdings wohl nicht von BioMarin, sondern von einem anonym gebliebenen angeblichen Mitbewerber.
Hannahs Petition an BioMarin hat schon binnen einer Woche die 200.000er Grenze erreicht. Jede Stunde kommen 1.000 Unterschriften hinzu. Ob das ihr Leben retten wird, ist fraglich. Der Konzern hält sich bisher eisern an die eigenen Richtlinien. Er begründet diese Rigorosität in einem Media Statement vom 5. Mai 2015 ethisch: „Da wir gegenüber allen Patienten mit NCL2 und deren Familien, die auch mit größter Dringlichkeit auf neue therapeutische Optionen warten, eine ethische Verpflichtung haben, können wir in diesem frühen Stadium der Entwicklung keine individuellen Anfragen nach Therapie außerhalb von klinischen Studien gewähren. Wir möchten die Entwicklung von Cerliponase alfa nicht gefährden, von der – vorausgesetzt die Therapie ist erfolgreich – hunderte Patienten und deren Familien profitieren können.“
Ein klassisches ethisches Dilemma. Darf oder sollte man ein einzelnes Menschenleben preisgeben, um viele andere dafür sicherer retten zu können?
Ob es wirklich um diese Frage geht, oder, wie unter anderem Christina Berndt in der SZ Stimmen wiedergibt, doch eher um Haftungsrisiken oder den Börsenwert des Unternehmens, scheint auf ersten Blick – wie eine Verschwörungstheorie – weder beweisbar, noch widerlegbar zu sein.
Doch genau besehen hat BioMarin selbst den Beweis dafür, ins Nezt gestellt. Nach Phase I/II war BMN 90 war das evaluierte Ergebnis sicher genug, auf seiner subdomain "investors.bmrn.com" damit schon mal den eigenen Börsenwert zu unterfüttern. Wenn „in diesem frühen Stadium“ aber ein individueller Heilversuch außerhalb klinischer Studien die laufenden Studien noch kompromittieren kann, wie konnte dann der Konzern am 12. Januar die - wenn die Angaben stimmen - sehr hohe Sicherheit und Effektivität des neuen Medikaments dort und in einer inzwischen vom Netz genommenen Präsentation schon öffentlich bekannt machen?
Wenn damit nicht nur Aktionäre gewonnen werden sollten, sondern zutrifft, was da veröffentlicht wurde, dann sind – was das „Stadium“ der Erprobung betrifft - nach dem deutschen Arzneimittegesetz (AMG) die Voraussetzungen für einen individuellen Heilungsversuch erfüllt und ebenso nach den konzerneigenen Richtlinien.
Was möglicherweise torzdem noch dagegen spricht, müsste anders begründet werden und konkretisiert werden – das wurde es aber nicht. Deshalb ist die Weigerung des Konzerns zwar eigentumsrechtlich gedeckt, aber nicht schlüssig nachvollziehbar. Bislang jedenfalls nicht.
Kommentare 19
Die Problematik, dass PatientInnen nicht alles bekommen, was ihnen möglicherweise helfen kann, stellt sich keineswegs nur bei der Frage, ob man ein (noch) nicht zugelassenes Medikament anwenden soll. Tatsächlich kommt es tagtäglich vor, dass die jeweils behandelnden ÄrztInnen nur solche - zugelassenen - Medikamente verabreichen und nur solche Behandlungsmethoden praktizieren, die ihnen geeignet erscheinen - und wobei völlig offen bleibt, ob sie damit richtig liegen oder nicht.
Als meine verstorbene Frau an Peritonealkarzinose erkrankte, sprach ich die Ärzte im Frankfurter Uniklinikum auf die sog. PIPACK-Methode an, von der ich im Internet gelesen hatte. Dies wurde von den Ärzten im Uniklinikum, die diese Methode zunächst gar nicht kannten, als "hochexperimentell" abgetan, obwohl u.a. im Marienhospital in Herne damit gute Erfolge erzielt werden. Mein Fehler, mit dem ich leben muss, war, ihnen vertraut zu haben.
Dass Problem, dass man nicht alles bekommt was Hilfe verspricht, wenn auch nur möglichweise, ist genereller Natur und die Gründe dafür, dass man es nicht bekommt, müssen nicht spektakulär sondern können sehr banal sein, z.B. dass die jeweils behandelnden ÄrztInnen schlicht nicht genug wissen.
richtig "PIPAC" statt PIPACK
Danke, Balsamico, für diese sehr persönliche Antwort. Mir ist es einmal gelungen, einen nahen Angehörigen im Kampf gegen die Ärzte und den Tod dem letzteren zu entreißen, aber nur für eineinhalb Jahre. Am Ende verliert man diesen Kampf dann irgendwann und tröstet sich, dass es so vorbestimmt ist, dass keiner das Schicksal vollkommen in der Hand hat, nicht einmal sein eigenes.
Tortzdem war die, wie sich später herausstellte, falsche Auskunft der Ärzte und Dein gutgläubiges Vertrauen in deren Kompetenz und Ehrlichkeit hier tödlich in dem Sinne, dass zumindest nicht alles Menschmögliche und Sinnvolle versucht wurde - ohne dass man sicher wissen kann, was andernfalls passiert wäre.
Da wir aber nur Menschen sind, wäre es eine Illusion anzunehmen, dass wir alles in unserer Macht stehende auch wirklich immer tun könnten. Auch Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Psychologen, Theologen, Sozialarbeiter, rechtliche Betreuer - um einige zu nennen, denen wir uns anvertrauen und deren Kompetenz über menschliche Schicksale entscheiden kann - können nicht alles wissen und tun, was sie wissen und tun müssen, um diesem Auftrag gerecht zu werden.
Problematisch finde ich aber, wenn dieser Anschein aufrecht erhalten werden soll und dann zu Schutz- oder Falschbehauptungen gegriffen wird wie offenbar in Deinem Fall oder möglicherweise auch in den drei über die Medien öffentlich gewordenen Fällen bei BioMarin (wo offenbar den Investoren etwas anderes vermittelt wurde als dem Arzt von Hannah), denn das geschieht mit Vorsatz und unter billigender Inkaufnahme der Konsequenz, das ein Mensch deswegen stirbt, was bei konsequenter Aufrichtigkeit zwar nicht zwingend vermeidbar, aber auch nicht zu verantworten gewesen wäre.
Was mich dennoch wundert, ist, dass sich immer wieder Arzt- oder Pharma-Gläubige finden, die selbst in solchen Situationen der Ärzteschaft oder Pharmaindustrie ihr vollstes Vertrauen aussprechen. Zuviel Vertrauen fördert den Missbrauch.
LG CB
Immanuel Kant stellte einst die Frage "Was ist der Mensch?" Ich weiß nicht, welche Antwort auf diese Frage der freundliche Herr Kant hatte - ich weiß, daß der Mensch eine kostengünstige Sondermülldeponie ist.
http://4.bp.blogspot.com/-ehc5OMxKmJI/TlICcAVrfDI/AAAAAAAAAZ8/eV7KE5gs0Go/s400/Sonderm%25C3%25BCll.jpg
Ciao
Wolfram
Krematorien und Friedhöfe suchen die von Leichnamen herrührenden Umweltlasten zu verringern.
;-)
Gruss
TL
"Am Ende verliert man diesen Kampf dann irgendwann und tröstet sich, dass es so vorbestimmt ist,.."
Mit der Formulierung kann ich wenig anfangen. Ein Platzhalter für alles und nichts.
Der Umgang mit Ärzten erfordert eine aktive Beteiligung und somit kritische Kommunikation. Im Gegensatz zu früher gibt es nun leichte Möglichkeiten, in Kürze seinen Wissensstand zumindest so zu erweitern, dass man vom Arzt nicht als Routinefall abgehandelt wird. Ärzte reagieren schon unterschiedlich anhand ihrer Patientendaten, da sie mehr oder weniger bewusst ihr Verhalten am Bildungsstand, bzw. dem Versicherungsgrad des Patienten ausrichten.
Man muss ihnen gelegentlich klar machen, dass sie auch nichts anderes sind als „Handwerker“ mit spezieller Ausbildung, was Fehler und Irrtümer, aber auch Nichtwissen ermöglicht. Es wird keine Behandlung vorgenommen, die der Patient (also ich) nicht verstanden hat und die Risiken und Nebenwirkungen einschätzen kann. Wenn sich dann herausstellt, dass dieses oder jenes Medikament oder diese oder jene Behandlung nicht unbedingt erforderlich ist, dann verzichte ich darauf oder komme mit dem Arzt (aber ggf. auch ohne ihn) zu einer anderen Lösung. Denn in den meisten Fällen kann ich aus den Gesprächen mit den Ärzten selbst am besten entscheiden, was gut für mich ist oder nicht.
So habe ich mehr als einmal Medikamente nicht in der verschriebenen Form eingenommen (was sich dann beim Spezialisten später als richtig herausgestellt hat), da ich meine Symptome besser einschätzen konnte als der Arzt. Also hängt vieles von uns selbst ab und kann positiv geregelt werden.
Es gibt immer ein Davor und ein Danach, auch wenn wir nur den Ausschnitt sehen, den wir willkürlich betrachten.
Bei Kant war es der Dichter des 8. Psalms, von dem sie der Philosoph auf der Suche nach neuen Antworten die Frage übernahm. Und beim Nerven-Balsam Marament ist es der Marament Balsam W, mit dem Dr. Wider es wieder geschafft hat, das einmal entwickelte und erfolgreich am Markt platzierte Label trotz Verbot eines vormals unter diesem Namen verkauften Wirkstoffs weiter zu nutzen.
LG CB
Lieber Christian
Am Ende verliert man diesen Kampf dann irgendwann und tröstet sich, dass es so vorbestimmt ist, dass keiner das Schicksal vollkommen in der Hand hat, nicht einmal sein eigenes.
Darüber denke ich jetzt viel nach; es ist ja erst zwei Monate her. Der Gedanke, dass es so schief, wie es gelaufen ist, vorbestimmt gewesen sein könnte, gefällt mir nicht. Weder jetzt, noch, glaube ich, irgendwann.
Was mich dennoch wundert, ist, dass sich immer wieder Arzt- oder Pharma-Gläubige finden, die selbst in solchen Situationen der Ärzteschaft oder Pharmaindustrie ihr vollstes Vertrauen aussprechen. Zuviel Vertrauen fördert den Missbrauch.
Das stimmt wohl. Aber ich bin so erzogen und geprägt, dass Ärzte „gut“ sind. Der Gedanke, dass meine geliebte Frau dafür bezahlen musste, raubt mir den Schlaf.
LG, balsamico
Ärzte reagieren schon unterschiedlich anhand ihrer Patientendaten, da sie mehr oder weniger bewusst ihr Verhalten am Bildungsstand, bzw. dem Versicherungsgrad des Patienten ausrichten.
Das habe ich auch gedacht – und wurde eines Schlechteren grausam belehrt. Meine Frau und ich, beide sog. Akademiker und erstklassig privat versichert, wurden behandelt wie alle anderen Patienten auch, was in Ordnung ist, wenn alle Patienten gut behandelt werden. Uns hat weder unser Bildungsstand noch unsere Privatversicherung einen Vorteil eingebracht.
Es wird keine Behandlung vorgenommen, die der Patient (…) nicht verstanden hat und die Risiken und Nebenwirkungen einschätzen kann. Wenn sich dann herausstellt, dass dieses oder jenes Medikament oder diese oder jene Behandlung nicht unbedingt erforderlich ist, dann verzichte ich darauf oder komme mit dem Arzt (aber ggf. auch ohne ihn) zu einer anderen Lösung. Denn in den meisten Fällen kann ich aus den Gesprächen mit den Ärzten selbst am besten entscheiden, was gut für mich ist oder nicht.
Das dachte ich auch. Aber so ist es nicht, jedenfalls nicht in jedem Fall. Manchmal ist man darauf angewiesen, dass das medizinische Personal erstens von selbst und zweitens richtig funktioniert. Wenn das nicht geschieht, ist man arm dran.
Ich ergänze mal so: Vieles hängt davon ab, wie ich den Arzt einschätze, ob ich ihm/ihr letztlich vertraue. Es ist auch ein Unterschied, ob man in einer Praxis oder in einem "Großbetrieb" Krankenhaus behandelt wird. Bei Krankenhäusern gilt es andere Aspekte zu berücksichtigen.
Es gibt hier aber keine absolute Sicherheit und ein Restrisiko verbleibt natürlich immer dabei. Privatversicherung war es bei mir nicht, es reicht aber wohl schon aus, wenn man freiwillig in einer guten Gesetzlichen versichert ist, also über der Beitragsbemessungsgrenze liegt.
Ich kann insoweit aber auch ihrem letzten Abschnitt zustimmen.
@ChristianBerlin
Und beim Nerven-Balsam Marament ist es der Marament Balsam W, mit dem Dr. Wider es wieder geschafft hat, das einmal entwickelte und erfolgreich am Markt platzierte Label trotz Verbot eines vormals unter diesem Namen verkauften Wirkstoffs weiter zu nutzen.
Mir ging es eigentlich eher um die kackdreiste Argumentationsfigur, mit der Dr. Wider hantiert: Der Stoff ist so gefährlich, die Entsorgung wäre so teuer, da verfüttern wir das Zeug lieber an Patienten. Mit der Folge, die tlacuache in seiner Antwort skizziert: Viele unserer lieben Verblichenen sind hochgefährlicher Sondermüll, ob sie nun verbrannt oder normal beerdigt werden.
Ciao
Wolfram
Lieber Christian, du hast es zwar an keiner Stelle explizit gesagt, aber durch deine Statements schimmert eine Empörung hindurch, die ich in deinen Blogs schon oft glaube, wahrgenommen zu haben: Wie kann es sein, dass ein Mensch einer bestimmten Hilfeleistung bedarf, und die wird ihm nicht gewährt?
Du bist kein blinder Mensch, aber ich glaube, dir sind bestimmte Sachverhalte dermaßen zuwider, dass du sie aus deiner Weltsicht ausblendest: Dass das Schicksal von Menschen für die Mehrheit aller anderen Menschen gleichgültig ist. Petitionen mit 200000 Untershcriften. Das ist toll. Wo sind die 6,988 Milliarden restlichen Unterschriften? Selbst wenn wir das Beispiel realistisch aufbereiten, sagen wir, die 200000 Unterschriftn Bezug zur geschäftsfähigen Bevölkerungszahl einer Nation setzen: Wo sind die vielen Millonen fehlenden Unterschriften?
Hilfe wird in aller Regel nicht bedingungslos sondern zu den Bedingungen der Helfenden gewährt. Das ist unsere liebe Menschheit. Like it or leave, you won´t change it. Es ehrt dich, dass du Einzelfällen nachgehst. Auch wenn du darüber unzählige andere Einzelfälle übergehst.
und apropos "Killerkonzern": Stell dir einfach vor, das Medikament wäre nie entwickelt worden. Wo ist jetzt das Recht der Kranken auf das Medikament?
Heute hat bei unseren Nachbarn die Kronenzeitung die Story online aufgegriffen.
Um zuerst auf Letzteres einzugehen: Die Vorstellung führt zwar nicht weiter, weil Du sonst jede Verpflichtung zu einer möglichen Hilfe mit diesem Gedankenversuch aushebeln kannst - z.B. "Stell Dir einfach vor, der wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagte, wäre nie die Straße entlang gefahren, wo wäre jetzt das Recht des Unfallopfers auf Erste Hilfe?"- wir müssen also schon die Frage nach Schuld und Verantwortung auf der Grundlage von dem stellen, was ist, und nicht, was hätte sein können. Verantwortung hat, wer eine Antwort hat (Marten), bezogen auf meinen Vorspann hier, wer Macht hat, vom Schicksal (wie der Autofahrer) zufällig bekommen oder sie sich zielstrebig erfolgreich verschaffend (wie ein Pharmaforscher).
Das Argument ist trotzdem gut, weil eine gesetzlich definierte Verpflichtung, die die Gewinnaussichten schmälert, die Folge haben könnte, dass niemand mehr forscht, weil es nicht mehr rentabel ist. Wenn also gesellschaftlich gewollt ist, dass ein Pharmakonzern beauflagt wird, in einem solchen Fall das Leben zu retten - und dafür spricht immerhin die Novellierung des AMG und die Richtlinie, die seit 2010 die Abgabe nichtzugelassener Medikamente in bestimmten Fällen legalisert - dann muss ein betroffener so gestellt werden, dass Chancen und Risiken ihn dadurch nicht so schlecht stellen, dass sich dadurch sonst keine Forschung mehr lohnt.
Diese Konsequenz wäre ich bereit mitzugehen, und darüber wäre ernsthaft nachzudenken. Aber aus der Verantwortung kommt man durch Dein Argument nicht raus. Das wäre zu einfach und hätte bei Verallgemeinerbarkeit die oben skizzierten Konsequenzen - auch wenn der Priester und der Levit in dem bekannten Gleichnis sich damit sicher schon vor sich selbst damit ihr Schnell-Weitergehen begründet haben und Menschen das mit ähnlichen Argumenten immer wieder tun, denn andernfalls sähe es ja anders aus in der Welt.
Der Kern meiner Anmerkung zum "Killerkonzern" besteht eigentlich aus zwei Fragen:
1) Gehört eine Erfindung dergestalt zum ideellen Erbe der Menschheit, dass die Zugehörigkeit zum ideellen Erbe der Menschenheit im Konfliktfall die Rechte des Erfinders an seiner Erfindung überschreibt?
2) Überschreibt die Verzweiflung totkranker Menschen die Sorgfaltspflicht von Erfindern? Dergestalt, dass der Erfinder das Risiko in Kauf nehmen muss, nach einer derartigen, aber misslungenen Beanspruchung schlimmstenfalls einen "freundlichen" Brief eines karreiregeilen Rechtsanwalts im Postfach zu finden, oder auch "nur" "freundliche" Medienberichte der Art "Verantwortungsloser Karrierist nutzt Notlage argloser verzweifelter Menschen für fragwürdige Experimente" zu lesen?
>>Darunter sein „Cerliponase Alfa“ oder auch „BMN 190“ genanntes Orphan, von dem im Januar bekannt wurde, dass es Zulassungs-Studien zufolge ohne erkennbare Nebenwirkungen die tödliche Krankheit NCL2, auch Kinderdemenz genannt und zur Batten-Disease gerechnet, stoppen kann. Die wurde bei Hannah diagnostiziert.<<
Diese Aussage bezüglich der überhaupt erreichbaren Wirkung mir Cerliponase Alfa/BMN 190 ist falsch.
Auch dieses Medikament kann die tödliche Krankheit, eine sogenannte Lipofuszinose, von der es bisher 10 beschrieben Varianten gibt, bei der NCL2 eine der sehr schwergradigen und im Schnitt mit 8-12 Jahren (6-14), mit dem Tode endenden Formen ist, die meist im Alter von 2-4 Jahren erstmals deutlich auffällt und dann diagnostiziert wird, unter Umständen nur in ihrem Fortschritt verlangsamen.
Bisher hat die Fa. Biomarin Studien durchgeführt, die die Wirkung des neuen Medikaments mit einem Scoring- System gegen den "natürlichen" Verlauf, d.h. bei nicht kausaler, aber nach dem besten Standard durchgeführten, symptomatischer Therapie (Behandlung gegen die häufigen "Hirnkrämpfe" (Epilepsie) und gegen die Bewegungsstörungen (Ataxie), Sedierung gegen Ängste und Unruhezustände, über einen Zeitraum von 6 Monaten bis 48 Wochen an ca. 20 Patienten vergleicht (Es ist eine sehr seltene Erkrankung!). Die Indexpatienten erhalten also das Testmedikament zusätzlich zur Standardbehandlung.
Dabei kam bisher nur heraus, dass über den relativ kurzen Zeitraum, über den die nicht damit behandelten Patienten einen Verlust der sprachmotorischen und motorischen Fähigkeiten von 3 Punkten hatten, bei den meisten behandelten Patienten nur ein Scorepunkt oder keiner über den kurzen Zeitraum verloren ging. - Vielleicht kennen Leser solche Scoring/Wertungsskalen von Patienten mit MS oder Parkinson oder auch von Demenz- Patienten. Sie dienen der groben Erfassung der Verbesserung oder Verschlechterung von Zielsymptomen. Das ist zwar ein ermutigendes Ergebnis, aber keinesfalls Ausweis für eine Heilung, einen Stopp, der Erkrankung.
Keiner der behandelnden Ärzte, auch keiner der Firmenleute hat behauptet, das Medikament, bei dem ein genetisch defektes Abbauenzym ,TPP1, das für den Abbau eines hirnschädigenden, in den Lysosomen der Hirnzellen abgelagerten Fett-Eiweiß-Moleküls gebraucht wird, ersetzt wird, - es muss dafür direkt und regelmäßig, alle 2 Wochen, in das Hirnventrikelsystem infundiert werden-, rette vor dem fatalen Verlauf der Krankheit.
Alle aufgenommenen Studienpatienten (3-16 Jahre) leiden an einer, bei Studienbeginn, milden Ausprägung der Erkrankung (wer die genauen Voraussetzungen zur Aufnahme kennen möchte, schaue in den dritten Link, unten).
Da bisher nur die schon rudimentären sprachmotorischen Fähigkeiten und die muskulär- motorischen Fähigkeiten getestet wurden, ist auch keine hinreichende Aussage dazu zu treffen, ob das Medikament an der progredienten Demenz, also den Störungen höherer Hirnleistungen, z.B. des Gedächtnisses, wirklich etwas wesentlich ändert.
Wer es genau wissen will, der schaue einmal hier:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK1428/
und lese sorgfältig, was die forschende Firma aufschrieb:
http://investors.bmrn.com/releasedetail.cfm?ReleaseID=890846
+hier zu den Studienvoraussetzungen mitteilte:
https://clinicaltrials.gov/show/NCT01907087
Unter diesen Umständen ergibt sich vielleicht doch ein anderes Bild, was die Bewertung der geschilderten Fälle angeht und den Versuch, eine Behandlung außerhalb der Studie, die geschlossen ist, mithilfe der Öffentlichkeit zu erzwingen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Lieber Lethe,
irgendwie empören mich die beiden schon verstorbenen mehr als Hannah, vielleicht, weil bei ihr noch Hoffnung besteht. Wenn man die kleine sieht in den Videos, ist sie noch quietsch fidel, da ist der Tod weit weg.
Die 6,988 Mrd. müssten vielleicht auf 6,985 reduziert werden, denn Andrea hatte, wie erwähnt, über 200.000 Unterschriften für ihr Weiterleben gesammelt - und die Unterzeichneten hätten sicher auch für Hannah unterschrieben.
Aber darauf kommt es nicht an. Solange es keine Gegenpetition gibt, kann man aus dem Schweigen jedenfalls nicht den Umkehrschluss ziehen, dass die Schweigenden dagegen wären, nicht einmal, dass ihnen das Schicksal der noch lebenden Petenten egal wäre.
Was mir mehr Sorgen macht, sind die Kronzeugen der Pharmaindustrie, Sprecher aus den Patienten-Selbshilfe-Organisationen wie von Achse e.V., immerhin Teil der von der Bundesregierung initiierten Namse (ein Aktionsbündnis gegen seltene Krankheiten), die hier gegen Hannah Stellung beziehen und dem Konzern nachsprechen, dass eine lebensrettende Gabe an Hannah im Jetzigen Stadium das Leben anderer auslöschen könnte.
Deren Logik erschließt sich mir nicht. Wodurch sollte das passieren?
Entweder hat das Medikament doch Nebenwirkungen, die bei einer Studie nicht entdeckt werden, aber sich bei einer Gabe außerhalb herausstellen. Aber wem soll das schaden, außer den Aktionären? Die Patienten, die es weiterhin auch als nicht-zugelassenes Medikament auf legaler Basis bekommen könnten, wäre über existierende Risiken dann wenigstens belehrt, wenn möglich, kann sogar vorgebeugt werden (durch Beigaben oder Beobachtung). Gegenüber unbekannten, latent aber existierenden Risiken bessert sich die Situation nur.
Dasselbe gilt, wenn unter den unkontrollierten Bedingungen außerhalb einer Studie durch den Arzt ein Fehler begangen wird. Auch daraus kann man nur lernen für spätere Anwendungsfälle.
Das ganze Argument funktioniert nur, wenn aus der Negativ-Erfahrung behördlicherseits unangemessene Konsequenzen gezogen würden. Aber dem kann man ja abhelfen.
Also ist das Argument von Achse, das bei Mona Lisa im ZDF zu hören war, nicht logisch.
hallo,
bin zufällig auf diesen bericht gestossen... und zwar ist es meinung, das man den pharmakonzern biomarin nicht dafür direkt verurteilen soll. klar ist es auf gut deutsch gesagt "scheisse" so eine krankheit zu haben wo es um leben und tot geht. Aber es gibt so viele verschiedene arten von seltenen krankheiten die tödlich enden und unheilbar sind. ich spreche aus erfahrung mein sohn ist 2 und leidet an der erbrankheir duchenne die verläuft tödlich und man ist zwischen 7-12 im rohlstuhl gebunden. Man kann gegen die natur manchmal nichts machen. biomarin entwickelt gerade in der spähtphase ein genmedikament das in die rna eingreift um den muskelschwund abzumildern und deutlich zu verlangsamen. das gilt aber nur für spezielle mutationen sprich nicht allgemein für duchenne. hier könnten eltern auch gegen biomarin druck machen und sagen wir wollen das medikament schon vor der zulassung haben. Da es zb auch gezeigt hat das die jungs wieder neues protein produziert haben. Aber sowas reicht leider nicht . Sowas braucht seine zeit man muss gucken wie sich solche medikamente entwickeln. die nebenwirkungen azf dauer zu sehen, die wirkung usw. Wir sprechen hier schliesslich von Genmedikamenten. Durch solche genmedikamente klnnten zb krebsgene aktiviert werden. Die forschung ist gerade am anfang von solchen gentherapien. deswegen ist es richtig, das biomarin so handelt Es muss von den gesundheitsbehörden bestätigt und sorgfältig geprüft werden. Egal wie tot krank ein mensch ist, man soll trotzdem nicht als eltern denken " egal was für nebenwirkungen das medikament hat mein kind soll es bekommen . Das kind ist keine versuchstier es ist ein mensch . und es gibt bestimmte gesetze an die man sich halten muss. wozu gibt es denn sonst eine ethik kommision. wozu würde es hinführen wenn es in bezug auf medikamente keine gesetze gäbe. würden die menschen wie zombies auf die pharmaindustrie los gehen. ich kenne das gefühl hoffnungen auf einer therapie zu haben der das leben des kindes retten könnte. Aber ich weiss auch das man so verzweifelt ist , das man sogar gegen die gesetze ankämpfen möchte. Aber ich habe gelernt das sowas nichts bringt. Was hat man dann zb von einer therapie die nichts bringt? dann würde man wiederum den pharmakonzern hierfür verurteilen. Deswegen muss man biomarin verstehen wenn biomarin eine ausnahme machen würde. würden tausende von menschen das auch wollen.