Liebe Schwestern, liebe Brüder, liebe Gäste,
in diesem Monat ist es drei Jahre her, dass eine evangelische Theologin den vielbeachteten Satz prägte: „Nichts ist gut in Afghanistan“.
Unser heutiger Gast ist jemand, der diesen Satz buchstabieren kann. Dr. Reinhard Erös ist der Deutsche, der sich am besten am Hindukusch auskennt. Der ehemalige Obestarzt und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr nahm seit den 80er Jahren an internationalen Hilfseinsätzen in vielen Krisengebieten der Erde teil. Zu Sowjetzeiten kam er erstmals nach Afghanistan. Er ließ sich beurlauben und blieb dort - mit seiner Frau und den damals noch kleinen Kindern. Er spricht die Landessprache und lebt bis heute die Hälfte des Jahres im Gebiet der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung. In Deutschland hat er mit seiner Familie ein Hilfswerk gegründet, das ausschließlich mit privaten Spendengeldern in Afghanistan Krankenhäuser und Schulen baut und betreibt. Dort werden inzwischen über 50.000 Kinder unterrichtet, die meisten davon Mädchen – eine beliebte Alternative zu Koranschulen.
Reinhard Erös weiß, wie man mit wenig Geld und ohne Waffen erreichen kann, was in einem Abermilliarden teuren Krieg nicht gelingen will. Davon wird heute die Rede sein. Dabei wird er unseren Glauben an die Sinnhaftigkeit dieses Krieges nicht zerstören können, denn dieser Glaube ist bei Mehrheit der Deutschen seit langem nicht mehr vorhanden, von den Familien gefallener oder traumatisiert zurückgekehrter Soldaten ganz zu schweigen.
Von den erklärten Kriegszielen wurde eines schnell erreicht: Die Taliban wurden von den Amerikanern und der Nordallianz entmachtet, die Al Qaida Basen zerstört. Doch alles, was danach versucht wurde, ging schief.
Auf der Godesberger Konferenz wurde beschlossen, dass mit Hilfe der Italiener ein neues Justizwesen aufgebaut wird. Doch Kriminalität und Drogenanbau sind wie nie zuvor gewachsen, die Verwaltung ist korrupt, das Recht machtlos.
Mit Hilfe der Deutschen sollten Afghanen ausgebildet werden, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Doch 100.000 zu viel ausgebildete Sicherheitskräfte sind eher ein Sicherheitsrisiko, eine arbeitslose Soldateska, die sich den Warlords zuwendet, die einige Provinzen schon wieder sicher im Griff haben.
Mit Hilfe der Briten sollte der Drogenanbau eingedämmt werden. Doch der hat sich statt dessen verzweiunddreißigfacht und liegt fest in den Händen der Regierungs-Beamten, die ohne das Drogengeschäft die erforderlichen Summen für den dort üblichen Ämterkauf nicht in hundert Jahren von ihrem Gehalt refinanzieren könnten.
Es gibt daneben zwei erreichbare Ziele, nur wird von denen nie gesprochen:
Die Amerikaner haben im Süden große Flughäfen gebaut. Von dort aus ließen sich Nachbarländer wie der Iran erfolgreich angreifen – wenn es denn sein sollte.
Seit Obama nutzen sie außerdem das Land als Testgelände für das Kampfmittel der Zukunft: Die unbemannte Drohne.
Tag und Nacht schweben Zeppeline und Drohnen über Afghanistan. Sie sind überall, beobachten jeden und feuern irgendwann gezielt – nur leider oft auf die Falschen. Die Trefferquote beim „targetting killing“, der verlustfreien Ausschaltung von Zielpersonen, liegt bei nur 2 Prozent, die anderen 98 Prozent sind je zur Hälfte einfache Fußsoldaten oder Zivilpersonen. Der dortige Einsatz von Drohnen bedeutet deshalb vor allem eine Chance für die Rüstungsindustrie, diese Trefferquote von nur 2 Prozent weiter zu verbessern. Ein profitables Entwicklungsfeld ohne eigene Mann-Verluste, auf dem bislang etwa 3.500 einheimische Drohnentote fielen.
Aufgrund dieser Interessenlage wird es keinen Rückzug geben. Die Amerikaner werden ihre Mannstärke wahrscheinlich halbieren, aber auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen mit der von ihnen selbst eingesetzten Regierung weiter im Land bleiben. Ihre Verbündeten werden deren ISAF-Truppen ebenfalls reduzieren, zugleich aber die Kampfkraft ihrer verbleibenden Soldatinnen und Soldaten durch neues Gerät erhöhen, etwa durch deutsche Kampfhubschrauber. Nach dem Abzug werden sie ihre Truppen mit neuem Mandat wieder dorthin zurückbeordern. Ein Grund dafür findet sich immer. Nur hat der selten etwas mit den realen Interessen und Entwicklungen zu tun.
Dabei wäre dem geschundenen Land mit einfachen Mitteln zu helfen. Dr. Reinhard Erös zeigt und erklärt, wie das ginge und geht. Er liest Politikern, Journalisten und Buchautoren die Leviten, wenn sie ahnungslos über diesen Krieg reden oder Propaganda-Mythen wiederholen. Heute liest er sie Theologinnen und Theologen, die vom Evangelium her einen ähnlichen Auftrag haben, auch und gerade, wenn wir beim bevorstehenden Weihnachtsfest die Engelsbotschaft vom „Frieden auf Erden“ verkünden.
Wir freuen uns, als weitere Gäste Abdul Rahim Nadgibulla und Abdul Azis begrüßen zu dürfen. Abdul Rahim trat als 8jähriger auf eine Landmine. Er verlor sein rechtes Bein. In Deutschland wurde er medizinisch versorgt und lebte während der Reha bei einer Pflegefamilie, wo er sehr schnell Deutsch lernte. Später arbeitete er als Dolmetscher im Bundeswehrkrankenhaus bei Mazar i Sharif, was ihm das Misstrauen seiner Verwandten und Freunde einbrachte. So erging es auch Abdul Aziz, der für die Deutschen als Sportplatzwart tätig war. Beide sagen inzwischen: Wir sind durch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr an Leib und Leben gefährdet. Sie bekamen politisches Asyl und leben jetzt in Berlin.
Freuen wir uns nun auf den Vortrag von Dr. Erös und das gemeinsame Gespräch mit unseren Gästen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Reinhard Erös war vor einem Jahr zu Gast beim Freitag-Salon. In diesem Jahr hat ihn der Pfarrverein EKBO zu seiner Adventsfeier für Pfarrerinnen und Pfarrer der Ev. Kirche in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz eingeladen.
Die Informationen zur aktuellen Lage basieren auf einem Interview vom vergangenen Donnerstag im DLF und auf der Sendung „Kontrovers“ (ebenfalls DLF), in der Dr. Erös gestern mit Dirk Müller, Markus Kaim und Johannes Pflug diskutierte ( -> nachhören)
Kommentare 11
Danke für diesen informativen und bewegenden Beitrag.
Schön, wiedermal von Dir zu lesen, Christian :-)
"...Der dortige Einsatz von Drohnen bedeutet deshalb vor allem eine Chance für die Rüstungsindustrie, diese Trefferquote von nur 2 Prozent weiter zu verbessern. Ein profitables Entwicklungsfeld ohne eigene Mann-Verluste, auf dem bislang etwa 3.500 einheimische Drohnentote fielen...."
So ist also Afghanistan das Versuchslabor für die Rüstungsindustrie und die Bevölkerung die Laborratten.
Herrn Dr. Reinhard Erös und seinem Hilfswerk auch weiterhin Erfolg und Unterstützung beim Einsatz für die Kriegsgeschädigten.
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, lieber Martin. Der Satz geht nämlich weiter:
"... denn dieser Glaube ist bei Mehrheit der Deutschen seit langem nicht mehr vorhanden."
So etwas nennt man Ironie. Man kann über die Angemessenheit solcher Rhetorik streiten, aber nicht über den Sinn der Aussage: Der Glaube kann nicht zerstört werden, weil er nicht existiert.
Du unterstellst in Deinem Kommentar, dass ich die Existenz eines solchen Glaubens behauptet hätte (wie ihn die Propaganda-Mythen erzeugen wollen), aber jeder, der den Satz zu Ende liest, kriegt mit, dass das Gegenteil der Fall ist.
Danke Magda, aber der anschließende Vortrag von Reinhard Erös, zu dessen Einleitung ich diese Laudatio hielt, war mindestens genauso spannend und aufschlussreich. Die ca. 50 Pfarrerinnen und Pfarrer der EKBO, die zu unserer Adventsfeier kamen, lauschten gebannt - und kauften anschließend seinen Büchertisch leer (ja, der Markt als Indikator ...) "Tee mit dem Teufel" - (gemeint ist sein Ex-Nachbar Osama bin Laden) - ist in Deuschland das meistgekaufte Sachbuch über Afghanistan.
Ich wusste z.B. noch nicht, wer ihm ganz am Anfang den Hals gerettet hat, als die Bundeswehr 1985 den späteren Berater von Kofi Anan entlassen wollte, weil er ohne Angabe seiner Erreichbarkeit im Urlaub nach Afghanistan gefahren war und dort (illegale) Hilfseinrichtungen gegründet hatte, weil dies gegen die Dienstvorschriften für den Urlaub in der Bundeswehr verstößt.
Hättest Du gewusst, wer damals seine Entlassung vereitelt hat?
Hallo Christian,
glaube ich, dass der Vortrag noch spannender war. Aber, das war schon eine umfassende Einleitung.
Nee, ich weiß nicht, wer seine Entlassung verhindert hat, auch nach allerlei Recherchen hab ichs nicht gefunden.
Gruß
Ok, liebe Magda, danke für die Rückfrage, das wollte ich hier nämlich noch gerne erzählen:
Es war sein alter Freund (vom südfriesischen RCDS) Thomas de Maizière. Der arbeitete damals im Bonner Bundespräsidalamt und ging mit seinem Kummer zu Richard von Weizsäcker. Und der hatte sofort eine Idee, wie er verhindern kann, dass die Bundeswehr die geplante Entlassung wegen des Verstoßes gegen das Soldatenurlubsgesetz (formaler Grund) vornehmen kann: Er verlieh ihm einfach das Bundesverdienstkreuz für seinen Afghanistan-Alleingang, mit dem sich Erös beim Bund disziplinarische Konsequenzen eingehandelt hatte. Danach konnte ihn die Bundeswehr unmöglich wegen derselben Sache entlassen, der Bund hätte sich vor der gesamten Öffentlichkeit lächerlich gemacht und innerhalb der Regierungspartei wäre es zu einer politischen Auseinandersetzung gekommen, die Kohl auf jeden Fall verhindern musste.
LG Christian
Danke für das alle, liebe Anchesa, ich vermute, man unterstützt ihn und die betroffenen Afghanen am ehesten, wenn man solche Zusammenhänge publik macht.
Ja, vor allem kriegt man Dank der Benachrichtigungen mit, wenn eine Antwort erfolgt. :-))
Das liest sich jetzt blöde, aber ich hatte - wirklich, wirklich - auch den Gedanken an de Maiziere. Tja, wie würde der jetzt entscheiden. Davon abgesehen, Dein Bericht macht ja deutlich, dass man Leute nicht einfach so in Schubfächer tun kann. Ich habe beim Recherchieren gesehen, dass natürlich auch das gegenwärtige Klima dazu führt, dass in allen politischen Lagern neu über den Afghanistan-Einsatz nachgedacht wird. Und - dass wir - so medial beeinflusst, zu wenig wissen. Dass man mit den Taliban - bis zu einer gewissen Stufe - verhandeln kann, haben Frauen berichtet, die sich dort auch um Mädchenschulen kümmerten. Jedenfalls zu Käßmanns Bischof-Zeiten war es einfach nicht opportun, laut und in offizieller Funktion zu sagen, was heute allen ziemlich klar ist.
Blöde finde ich das nicht, Magda, man hat oft solche Ahnungen und traut sich nicht, sie ernst zu nehmen, weil man nicht weiß, woher.
Die Taliban sind bei uns auch ein falsch konnotiertes arabisches Wort. Es heißt einfach "Schüler" im Plural, meint Schüler und Absolventen von Koranschulen (von denen es 17.000 in Afghanistan gibt) die unterste Stufe eines Mullah, so eine Art stud. theol. oder cand. theol.
Das Problem liegt in der Finanzierung dieser Schulen, die mit saudischen Ölgeldern erfolgt und einen nicht-afghanischen Typus des Islam importiert, der Menschen dort nicht gefällt. Aber es gibt etwas zu Essen in diesen Internaten, man wird kostenlos ausgebildet.
Die Taliban als politsche Kaste waren in den 90ern durch drei Förderer an die Macht gekommen: Die Pakis, die Saudis und die Amis. Ohne deren Unterstützung sind sie nur fundamentalistische Geistliche, denen kaum jemand freiwillig folgt, eher verachtet von den Menschen dort. Mit Unterstützung des Auslands oder einheimischer Warlords werden sie erst gefährlich - wobei es deren Geld- und Söldner-Gebern immer auch um materielle Interessen geht.
Als es noch gegen die Russen ging, waren die Interessen der Saudis, Pakis und Amis gleichgerichtet, die abstrusen fundamentalistischen (wahibitisch-salfistischen) Beimengungen wie die drakonischen Strafen und die Gewalt gegen Frauen seitens saudisch geprägter Fundis mit Waffenbrüdern haben die Menschen im Inland damals mehr gestört als die im Ausland. Das störte sich daran erst, als die Interessen der Saudis und Amis anfingen auseinanderzugehen.
Erös hat einmal ausrechnen lassen, was es kosten würde, neben jede Koranschule eine säkulare Schule zu sezten und diese zu betrieben. Er sagte, es kam heraus, dass dies nur soviel kosten würde, wie der Krieg in einem Monat verschlingt. Man kann hinzudenken: Die angelichen Ziele dieses Krieges wären so aber viel einfacher zu erreichen, wenn überhaupt, dann nur so. Das würde toleriert und gerne gesehen und angenommen. Erös errichtet sein Schulen mit Genehmigung der Taliban - ausschließlich, denn er will kein Geld verbrennen und keine ermordeten Lehrer. Er fragt einfach vorher. Und er kriegt die Genehmigung. Was die Frauen sagen, könnte er nur bestätigen.
LG Christian
Danke für den Artikel und die Aufklärung zur Kaste der Taliban.
Woher stammen die Prozentzahlen zum Drohneneinsatz?
Das, lieber Fairwax, steht im Info-Kasten: Meine Quelle der Infos zur aktuellen Lage sind Erös`Äußerungen im DLF (dort verlinkt). Er hat diese Zahlen am Montag in "Kontrovers" genannt, allerdings ohne sich selbst auf Quellen zu beziehen. Ich kann ihn aber fragen, Deine Frage leuchtet sofort ein.