Nichts wird besser in Afghanistan

Krieg und Propaganda Laudatio zur Begrüßung der Gäste bei der Adventsfeier für Pfarrerinnen und Pfarrer der EKBO am 04.12.2012 im Berliner Missionswerk

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Liebe Schwestern, liebe Brüder, liebe Gäste,

in diesem Monat ist es drei Jahre her, dass eine evangelische Theologin den vielbeachteten Satz prägte: „Nichts ist gut in Afghanistan“.

Unser heutiger Gast ist jemand, der diesen Satz buchstabieren kann. Dr. Reinhard Erös ist der Deutsche, der sich am besten am Hindukusch auskennt. Der ehemalige Obestarzt und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr nahm seit den 80er Jahren an internationalen Hilfseinsätzen in vielen Krisengebieten der Erde teil. Zu Sowjetzeiten kam er erstmals nach Afghanistan. Er ließ sich beurlauben und blieb dort - mit seiner Frau und den damals noch kleinen Kindern. Er spricht die Landessprache und lebt bis heute die Hälfte des Jahres im Gebiet der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung. In Deutschland hat er mit seiner Familie ein Hilfswerk gegründet, das ausschließlich mit privaten Spendengeldern in Afghanistan Krankenhäuser und Schulen baut und betreibt. Dort werden inzwischen über 50.000 Kinder unterrichtet, die meisten davon Mädchen – eine beliebte Alternative zu Koranschulen.

Reinhard Erös weiß, wie man mit wenig Geld und ohne Waffen erreichen kann, was in einem Abermilliarden teuren Krieg nicht gelingen will. Davon wird heute die Rede sein. Dabei wird er unseren Glauben an die Sinnhaftigkeit dieses Krieges nicht zerstören können, denn dieser Glaube ist bei Mehrheit der Deutschen seit langem nicht mehr vorhanden, von den Familien gefallener oder traumatisiert zurückgekehrter Soldaten ganz zu schweigen.

Von den erklärten Kriegszielen wurde eines schnell erreicht: Die Taliban wurden von den Amerikanern und der Nordallianz entmachtet, die Al Qaida Basen zerstört. Doch alles, was danach versucht wurde, ging schief.

Auf der Godesberger Konferenz wurde beschlossen, dass mit Hilfe der Italiener ein neues Justizwesen aufgebaut wird. Doch Kriminalität und Drogenanbau sind wie nie zuvor gewachsen, die Verwaltung ist korrupt, das Recht machtlos.

Mit Hilfe der Deutschen sollten Afghanen ausgebildet werden, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Doch 100.000 zu viel ausgebildete Sicherheitskräfte sind eher ein Sicherheitsrisiko, eine arbeitslose Soldateska, die sich den Warlords zuwendet, die einige Provinzen schon wieder sicher im Griff haben.

Mit Hilfe der Briten sollte der Drogenanbau eingedämmt werden. Doch der hat sich statt dessen verzweiunddreißigfacht und liegt fest in den Händen der Regierungs-Beamten, die ohne das Drogengeschäft die erforderlichen Summen für den dort üblichen Ämterkauf nicht in hundert Jahren von ihrem Gehalt refinanzieren könnten.

Es gibt daneben zwei erreichbare Ziele, nur wird von denen nie gesprochen:

Die Amerikaner haben im Süden große Flughäfen gebaut. Von dort aus ließen sich Nachbarländer wie der Iran erfolgreich angreifen – wenn es denn sein sollte.

Seit Obama nutzen sie außerdem das Land als Testgelände für das Kampfmittel der Zukunft: Die unbemannte Drohne.

Tag und Nacht schweben Zeppeline und Drohnen über Afghanistan. Sie sind überall, beobachten jeden und feuern irgendwann gezielt – nur leider oft auf die Falschen. Die Trefferquote beim „targetting killing“, der verlustfreien Ausschaltung von Zielpersonen, liegt bei nur 2 Prozent, die anderen 98 Prozent sind je zur Hälfte einfache Fußsoldaten oder Zivilpersonen. Der dortige Einsatz von Drohnen bedeutet deshalb vor allem eine Chance für die Rüstungsindustrie, diese Trefferquote von nur 2 Prozent weiter zu verbessern. Ein profitables Entwicklungsfeld ohne eigene Mann-Verluste, auf dem bislang etwa 3.500 einheimische Drohnentote fielen.

Aufgrund dieser Interessenlage wird es keinen Rückzug geben. Die Amerikaner werden ihre Mannstärke wahrscheinlich halbieren, aber auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen mit der von ihnen selbst eingesetzten Regierung weiter im Land bleiben. Ihre Verbündeten werden deren ISAF-Truppen ebenfalls reduzieren, zugleich aber die Kampfkraft ihrer verbleibenden Soldatinnen und Soldaten durch neues Gerät erhöhen, etwa durch deutsche Kampfhubschrauber. Nach dem Abzug werden sie ihre Truppen mit neuem Mandat wieder dorthin zurückbeordern. Ein Grund dafür findet sich immer. Nur hat der selten etwas mit den realen Interessen und Entwicklungen zu tun.

Dabei wäre dem geschundenen Land mit einfachen Mitteln zu helfen. Dr. Reinhard Erös zeigt und erklärt, wie das ginge und geht. Er liest Politikern, Journalisten und Buchautoren die Leviten, wenn sie ahnungslos über diesen Krieg reden oder Propaganda-Mythen wiederholen. Heute liest er sie Theologinnen und Theologen, die vom Evangelium her einen ähnlichen Auftrag haben, auch und gerade, wenn wir beim bevorstehenden Weihnachtsfest die Engelsbotschaft vom „Frieden auf Erden“ verkünden.

Wir freuen uns, als weitere Gäste Abdul Rahim Nadgibulla und Abdul Azis begrüßen zu dürfen. Abdul Rahim trat als 8jähriger auf eine Landmine. Er verlor sein rechtes Bein. In Deutschland wurde er medizinisch versorgt und lebte während der Reha bei einer Pflegefamilie, wo er sehr schnell Deutsch lernte. Später arbeitete er als Dolmetscher im Bundeswehrkrankenhaus bei Mazar i Sharif, was ihm das Misstrauen seiner Verwandten und Freunde einbrachte. So erging es auch Abdul Aziz, der für die Deutschen als Sportplatzwart tätig war. Beide sagen inzwischen: Wir sind durch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr an Leib und Leben gefährdet. Sie bekamen politisches Asyl und leben jetzt in Berlin.

Freuen wir uns nun auf den Vortrag von Dr. Erös und das gemeinsame Gespräch mit unseren Gästen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Reinhard Erös war vor einem Jahr zu Gast beim Freitag-Salon. In diesem Jahr hat ihn der Pfarrverein EKBO zu seiner Adventsfeier für Pfarrerinnen und Pfarrer der Ev. Kirche in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz eingeladen.

Die Informationen zur aktuellen Lage basieren auf einem Interview vom vergangenen Donnerstag im DLF und auf der Sendung „Kontrovers“ (ebenfalls DLF), in der Dr. Erös gestern mit Dirk Müller, Markus Kaim und Johannes Pflug diskutierte ( -> nachhören)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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