Transparenter und gerechter transplantieren!

Heute 12 Uhr, Kotti Proteste in Gießen, Strafermittlungen in Berlin: Der Organspendeskandal geht weiter. Heute Mittag ist auch in der Bundeshauptstadt eine Kundgebung geplant. Ein Aufruf.

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Ursprünglich wollten 1000 Teilnehmer kommen. So viele hatten sich binnen einer Woche bei facebook für die heutige Kundgebung am Kottbusser Tor angemeldet. Das war selbst den Einladenden zu viel, deshalb sagten sie am Mittwoch Mittag die Versammlung kurzerhand wieder ab.

Die ursprünglichen Organistatoren der nun doch stattfindenden Kundgebung waren echte Polit-Amateure. Sie wussten nicht einmal, dass sie ihr Vorhaben beim Landeskriminalamt und nicht beim Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg hätten anmelden müssen, wo man überdies zunächst glaubte, es ginge um die Verteilung kommerzieller Werbeflyer, was das Ordnungsamt dann aber gar nicht genehmigen konnte, als sich herausstellte, dass es gar nicht um Werbung geht.

Um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit für die vielen Demonstationswilligen retten, war eine bis Freitag an dem Vorhaben nicht beteiligte Person spontan bereit, in die Bresche zu springen und die Veranstaltung einfach korrekt anzumelden und sich die Aufgabe mit den verunsicherten Initiatoren zu teilen. "Ihr tragt die Transparente - ich die Verantwortung."

Mag die Vorgeschichte von Realsatire geprägt sein, geht es in der Sache um ein ernstes Anliegen. Der Berliner Herzskandal zeigt: Die Kontrollen greifen. Aber nur, was die Vergangenheit betrifft. Das prophylaktische Netz zur Vermeindung künftiger Fehler erweist sich als nicht eng genug.

Bisher ging man nämlich davon aus, dass Manipulationen nur im Bereich von Leber- oder Nierentransplantationen vorgekommen sind. Deshalb wurde auch nur dort ein viertes Augenpaar für die sogenannten Transplantationskonferenzen vorgeschrieben. Jetzt ist man eines besseren belehrt und muss nachdenken, ob diese Beschränkung richtig war.

Außerdem hat der Deutsche Ethikrat die Bundesärztekammer und die Öffentlichkeit schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass die Transplantationsrichtlinien einen hochproblematischen Widerspruch enthalten, und eine breite öffentliche Diskussion darüber gefordert. Das Kriterium der "Dringlichkeit" und das des "längerfristigen Erfolges" widersprechen sich nämlich insofert, als dass, wer nach dem einen Kriterium die besten Aussichten hat, ein Organ zu bekommen, eben dadurch nach dem anderen die schelchtesten haben kann. Dieses Dilemma könnte großen Spielraum für ärztliche Willkür lassen oder aber umgekehrt zur Anklage von Ärzten wegen Totschlags durch willkürliche Bevorzugung oder Benachteiligung mit Todesfolge führen, wenn ein eifriger Staatsanwalt deren Entscheidungen vom jeweils entgegengesetzten Kriterium her später überprüft.

Wie das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) am 18.08.2014 aus Anlass der durch den Gießener Fall des türkischen Jungen Muhammet Eren Dönmez ausgelösten Debatte berichtete, will nunmehr die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) selbst den Antrag stellen, ethische Bewertungsmaßstäbe für die Konkretisierung der widersprüchlichen gesetzlichen Vorgaben von der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer erarbeiten zu lassen, wozu diese sogleich durch deren rechtlichen Berater Hans Lilie ihre Bereitschaft erklärt hat.

"Die DTG wird laut Banas einen offiziellen Antrag stellen, damit das Gremium mit der Erarbei­tung ethischer Bewertungsmaßstäbe für die Konkretisierung der Gesetzes­vorgaben beauftragt wird. Lilie sagte dem DÄ: 'Ich würde Konkretisierungen begrüßen. Die Stän­dige Kommission Organtransplantation wäre bereit, diese in einem offenen, transpa­renten Verfahren in den Richtlinien umzusetzen.'", heißt es in dem Bericht.

Die Kundgebung will dazu u.a. mahnen, dass die hier versprochene "Transparenz" von der Bundesärztekammer entgegen ihrer Gewohnheit, auf Presseanfragen z.B. nicht oder nie zu anworten, dann auch in der Praxis eingehalten werden müsste. Auf die nicht ganz unwichtige Frage des Verfassers, wie und wo denn der Auftrag des Gesetzgebers aus § 16 Abs. 2 Satz 2 umgesetzt wurde, Regeln zu erlassen, wie die Ablehnung der Aufnahme auf die Transplatationsliste (also quasi das medizinisch begründete "Todesurteil", so wird es jedenfalls erlebt und so wirkt es sich auch häufig aus) zu dokumentieren sein soll. Am 29. Juli antwortete die Bundesärztekammer auf diese Frage lediglich damit, sie habe sie an die zuständige Fachabteilung zur Beantwortung weitergeleitet. Bis zum 29. August kam allerdings von dort keine Antwort, auch keine sofortige Reaktion oder Entschuldigung auf eine Anmahnung des noch immer ausstehenden Anwort. Dabei hätte der Satz: "Diese Regeln stehen nirgends, das wurde nicht umgesetzt", als klare Auskunft genügt.

Wenn sich diese unter Journalisten mit der Bundesärztekammer sofort verbundene Kommunikationsunwilligkeit von der Pressestelle nicht in eine schnelle, präzise und der Öffentlichkeit dienende Mitteilsamkeit wandelt, kann von einem "transparenten" Verfahren schon bei der Erarbeitung der danach maßgeblichen neuen Richtlinien keine Rede sein. Und bei deren späterer nicht-öffentlichen Anwendung im Einzelfall naturgemäß erst recht nicht.

Ohne Transparenz kann es aber keine durchgreifende Gerechtigkeit geben. Und ohne die auch keine Sicherheit für die Ärzte, dass sie sich nicht eines Tages - trotz bester Absichten - auf der Angklagebank wegen Totschlags wiederfinden.

Mit den Zielen der Kundgebung ist deshalb jedem gedient, auch Ärzten.

Christian Johnsen aka Berlin (Versammlungsleiter, Verfasser des Aufrufs)

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Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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