Das Ding aus dem Hobbykeller

Musik Blur veröffentlichen nach 16 Jahren wieder ein Album in der ursprünglichen Besetzung: Uh Oh!
Ausgabe 17/2015
Zusammenarbeit in alter Besetzung: Frontmann Damon Albarn (links)
Zusammenarbeit in alter Besetzung: Frontmann Damon Albarn (links)

Foto: Alfredo Estrella/AFP/Getty Images

Die 90er, in denen Blur die Nummer-eins-Alben Parklife und The Great Escape herausbrachten, waren vielleicht das letzte große Jahrzehnt der Band. Also nicht nur der Band Blur, sondern der Band als solcher. Der Zeichner Mawil, auch ein Kind der Zeit, hat ihr mit seinem Comic Die Band ein Denkmal gesetzt. Das Ding, das aus dem Hobbykeller kam. In der neuen Kurt-Cobain-Doku Montage of Heck erzählt der Bassist von Nirvana, wie sie, sobald zwei Leute vorbeischauten, das einen Gig genannt haben. Dazu sieht man, wie die Band bei geschlossenen Jalousien neben einer sehr bürgerlichen Stehlampe ihre Instrumente bearbeitet. Die Band war im Zweifel männlich, weiß und hetero, auch wenn es Ausnahmen gab, Elastica zum Beispiel, deren Sängerin Justine Frischmann inzwischen aber Malerin ist. Blur jedenfalls waren so eine Band, Oasis, The Verve, dann blubberte dieses Konzept in den Nullerjahren mit den Libertines und den Strokes langsam aus. Es gab natürlich noch Bands, aber die neuen Idole waren DJs, Kollektive und Singer-Songwriter. Oder Konzepte, wie Damon Albarns zweite Band, das Comicfigurenensemble Gorillaz.

5:14 Uhr nach East Grinstead

Nach 16 Jahren erscheint nun wieder ein Album von Blur in der Urbesetzung. Die Songs, so liest man, sollen innerhalb von fünf Tagen in Hongkong entstanden sein. Fast, so las man weiter, wäre es nie erschienen, da es in Hongkong heiß und die Studiozeit zu kurz war. Mit der 90er-Idee des Bandtums hat das wenig zu tun. Wie also klingt die Band Blur nun als Summe ihrer Teile? Lonesome Street, mit dem das Album The Magic Whip beginnt, meint man unmittelbar schon einmal gehört zu haben. Die Gitarrenriffs transportieren die ungebremste Euphorie, die man von Country House und Girls and Boys kennt. Gitarrist Graham Coxon singt einen Zwischenpart, den man unbemerkt in I am the Walrus von den Beatles verstecken könnte, und jemand nimmt den 5:14-Uhr-Zug nach East Grinstead, was so britisch klingt, wie es irgend nur geht. Um Damon Albarn zu zitieren: „Uh Oh“! Aber das ist nur der Anfang, auf dem Album finden sich Spuren aller Dinge, die Albarn mit und seit Blur gemacht hat. Spuren der anderen drei wird es wohl auch geben, nur sind die schwerer zu identifizieren. Drummer David Rowntree ist inzwischen Rechtsanwalt, wer weiß schon, was das mit dem Sound anstellt. Aber auch in Albarns Fall sind es eben nur Spuren – verschleppte Beats wie bei den Gorillaz im Song New World Towers, die räumliche Verlorenheit des Soloalbums Everyday Robots bei Spaceman. Davon abgesehen ist es ein sehr eigenes Album.

Tocotronic hatten einmal einen Song, der hieß Über Sex kann man nur auf Englisch singen. Und weiter im Text: „Allzu leicht kann’s im Deutschen peinlich klingen.“ Ähnlich ist es mit Liebe, klingt zwar nicht peinlich, aber allzu leicht schlicht. Anders im Englischen, Zeilen wie „Will you be mine“ oder „I cried my eyes out“ müssen hier keinen reuen, sodass The Magic Whip bei aller Durchgeknalltheit ein sehr liebevolles Album ist. Durchgeknallt ist es aber auch. Die Psychedelik der Videos der Band ist endgültig in den Texten angekomme. Was dieses Album trotz Hongkong und Songs über Pjöngjang und den Javasee zu einer sehr britischen Angelegenheit macht, man denke nur an Abbey Road, auf dem ein Song wie I Want You (She’s so Heavy) ja auch ganz selbstverständlich neben Octopus’s Garden stand.

Musik

The Magic Whip Blur Parlophone / Warner 2015

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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