Geld oder Cranach

Auktion Eigentlich sollen Museen ihre Kunst nicht verkaufen. Doch im Zuge von Corona bröckelt das Tabu
Ausgabe 43/2020

Am Ende lag der Preis mehr als drei Millionen Dollar über dem Schätzwert: Als vergangenen Donnerstag elf Werke aus der Sammlung des New Yorker Brooklyn Museum bei Christie’s versteigert wurden, da war ein Bieter bereit, gut fünf Millionen Dollar für ein Gemälde zu bezahlen, das zuvor auf 1,2 bis 1,8 Millionen taxiert worden war. Wer die Lucretia von Lucas Cranach dem Älteren gekauft hat, darüber gibt das Auktionshaus keine Auskunft. Wie das Gemälde ursprünglich in den Besitz des Museums gekommen war, ist hingegen bekannt. 1921 wurde es dem Haus von A. Augustus Healy vermacht, einem ehemaligen Kaufmann, der 25 Jahre Direktor des Museums war. Dem Verzeichnis von Christie’s zufolge ist das Gemälde danach nur zweimal zu sehen gewesen, zuletzt 1990 als Teil einer Ausstellung des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth.

Anne Pasternak, die das Brooklyn Museum seit 2015 leitet, hat den Schritt gegenüber der New York Times denn auch so erklärt: „Wir haben eine breit angelegte Sammlung qualitativ hochwertiger Kunst, aber wir besitzen Werke – wie viele Museen unserer Größe –, die nie oder seit Jahrzehnten nicht gezeigt wurden.“ Das Brooklyn Museum, 1887 eröffnet, ist eines der größten Kunstmuseen der USA. „Ihre Abwesenheit“, sagte Pasternak über die veräußerten Werke, „mindert unsere Sammlung nicht.“

Der Fall ist deshalb so interessant, weil Verkäufe aus den Depots von Museen eigentlich tabu sind, in den USA gilt das ebenso wie in Deutschland. Sammeln, Bewahren, Ausstellen, Forschen und Vermitteln – so lauten die Kernaufgaben eines jeden Museums. Bewahren, das heißt allerdings nicht nur, die Sammlungen zusammenzuhalten, komme, was wolle; es bedeutet auch, die Werke instand zu halten, sie zu pflegen und zu schützen, wenn sie als Leihgaben an andere Museen gehen. In diese Arbeit soll der Erlös der versteigerten Werke des Brooklyn Museum fließen. Ziel ist es, einen 40 Millionen Dollar schweren Fonds aufzusetzen, der dafür jährlich zwei Millionen Dollar Rendite abwerfen soll. Die Association of Art Museum Directors hatte bisher eine klare Leitlinie, die genau das verbietet. Werke durften ausschließlich verkauft werden, um neue Ankäufe zu tätigen, und niemals, um laufende Kosten zu decken. Tat ein Museum das doch, musste es Strafe zahlen. Doch im April diesen Jahres wurde dieser Teil der Regel im Zuge von Covid-19 vorübergehend ausgesetzt: Bis April 2022 sind Verkäufe straffrei möglich.

Sind fünf Millionen Dollar in der Hand also besser als ein Cranach im Depot? Oder überwiegt der Schaden, wenn Museen als Verkäufer in den Kunstmarkt einsteigen? David Vuillaume vom Deutschen Museumsbund hat dazu eine klare Haltung: „Museumsobjekte sind keine Marktobjekte. Sie haben einen kulturellen Wert und dürfen nicht auf den Markt gebracht werden.“ „Aussonderungen“, wie es im Fachjargon heißt, seien nur an andere Museen möglich. Von Ausnahmen, wie sie in den USA jetzt gelten, hält Vuillaume nichts: „Wenn man sie bei jeder Krise aussetzt, braucht man keine Regeln.“

Erlöse für „bessere Kunst“?

Fragt man bei den großen Museen in Deutschland nach, ob sie Verkäufe erwägen, schwingt eine Empörung in den Antworten mit. Die Münchner Pinakotheken zum Beispiel schreiben: „Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verwalten, vermitteln und beforschen die Kunstwerke des Freistaats Bayern, die seit über fünf Jahrhunderten in zunächst fürstlichem, dann königlichem, später staatlichem und bürgerlichem Sammeln zusammengetragen worden sind. Es handelt sich hier um den weltweit größten Bilderschatz. (…) Die Sammlungen gehören zum Grundstockvermögen des Freistaats Bayern und werden per se nicht veräußert. Es gab auch nie Pläne dies zu tun.“ Ähnlich die Antwort der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Werke werden „grundsätzlich nicht veräußert und dies ist auch nicht geplant, um Einnahmeausfälle zu kompensieren. (…) Seit Gründung der SPK ist so ein Vorgang aus Gründen der Finanzierung von Unterhaltsleistungen noch nie vorgekommen.“ Ebenso schließt das Städel Museum in Frankfurt Verkäufe aus. Und verweist doch auf ein interessantes Detail im Stiftungsbrief von 1815: „Johann Friedrich Städel legte darin fest, dass seine Sammlung dem Prinzip der künstlerischen Qualität verpflichtet ist und dass sie keinesfalls als etwas Statisches betrachtet werden und entsprechend bewahrt werden müsse. Sondern dass diese Sammlung durch Zukäufe vermehrt und sogar durch Verkäufe gemindert werden dürfe, wenn von den Erlösen bessere Kunst erworben würde. Davon machte man in der Frühzeit des Museums Gebrauch.“

Welch ein Vertrauensvorschuss. Der könnte im Hinblick auf heutige Schenker durch Aktionen wie die Christie’s-Auktion schnell aufgebraucht werden. Die Werke, die versteigert wurden, sind fast alle Schenkungen oder Vermächtnisse von Privatpersonen. Hätten sie dem Museum Geld zustecken wollen, hätten sie es vermutlich getan. So aber ist davon auszugehen, dass sie ihre Gemälde der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollten. Natürlich erwirbt man damit nicht das Recht darauf, dass sie im Museum (dauerhaft) gezeigt werden, darüber entscheiden die Kurator:innen. In einer Zeit, in der reiche Sammler:innen sich lieber mit Privatmuseen ein Denkmal setzen, als die staatlichen Museen zu beschenken, sind Verkäufe aus den Depots aber das falsche Signal, will man auch in Zukunft wichtige Werke erhalten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler studierte Germanistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und arbeitete nebenbei als Autorin für Spex. Das Magazin für Popkultur. Im Anschluss führte sie das Journalismusstudium an der Hamburg Media School zum Freitag, wo sie ab 2010 als Onlineredakteurin arbeitete. 2012 wechselte sie ins Kulturressort, das sie seit 2018 leitet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Kunst und den damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten.

Christine Käppeler

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