Vergangene Woche hat Amazon in Seattle einen Buchladen eröffnet, mit Regalen aus Holz und einem Verkaufstresen, hinter dem Menschen stehen. Der Laden heißt Amazon Books, und wer meint, das sei ein Pleonasmus, hat die Webseite des Onlinehändlers lange nicht besucht. Der Name ist sinnvoll, die Menschen hinter dem Tresen müssten sonst Kunden trösten, die in den Holzregalen keine Zahnbürstenaufsätze oder Adventskalender für Hunde finden konnten, um nur zwei amazon.de-Bestseller zu nennen. Und wie eine Null-Sterne-Bewertung enttäuschter Kunden im echten Leben aussieht, will man sich erst gar nicht ausmalen.
In den Holzregalen stehen also nur Hardcover und Taschenbücher, wie in jedem halbwegs anständigen Buchladen, bevor die Querfinanzierung durch humorige Kühlschrankmagneten um sich griff. Dass der Aufstieg von Amazon seit den 90ern mit ein Grund für die neue Witzigkeit an den Ladentheken war, ist nur eine Ironie in dieser Geschichte vom Online-Riesen, der eine physische Buchhandlung eröffnet. So heißt das nämlich nun, oder, um die Vizechefin des neuen Ladens, Jennifer Cast, zu zitieren: „Amazon Books ist eine physische Erweiterung von amazon.com.“ Vollkommen irre klingt es vor diesem Hintergrund, wenn der Vorsitzende des britischen Verlegerverbands Amazons Neueröffnung als „Vertrauensbeweis in das physische Buch und den physischen Buchladen“ feiert und auf baldige Filialen in London hofft. Vielleicht sollte ihn jemand an das Schicksal der Schallplatte und der CD erinnern, seit diese nicht mehr einfach nur Tonträger, sondern physische Tonträger sind.
Mit Filialeröffnungen in Berlin ist eher nicht zu rechnen. Bei Amazon Books kostet jedes Buch aus dem Holzregal immer so viel, wie in diesem Moment auf amazon.com dafür veranschlagt wird. Diesen Clou würde hierzulande die Buchpreisbindung kassieren, an der noch nicht einmal TTIP zu rühren wagt. Was bliebe, wären Tafeln neben den Büchern, auf denen die Sterne aufgelistet sind, die Nutzer vergeben haben, und auf denen je ein Kommentar zitiert wird. Auf den Fotos aus Seattle sind immer nur vier Sterne oder mehr zu sehen. Der mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman von Frank Witzel käme also nicht in die Auslage, dafür alles von Johann Lafer (ausgenommen der Stabmixer und der Rinderfonds und Gewürze, die seinen Namen tragen, denn die kann man ja nicht lesen). Solche Effekte der Empfehlungsökonomie sind aus dem Netz hinreichend bekannt.
Interessanter ist, ob das Modell Nachahmer findet: Wird Ebay bald einen Garagenflohmarkt veranstalten? Wann eröffnet das Seitensprungportal Ashley Madison die erste Bar, die Ashley Madison Sex heißt? Wird Netflix demnächst Kinos bauen? So ein Flixtheater könnte dem Product-Placement einen neuen Schub geben. Wenn Frank Underwood in der Serie House of Cards ein Stella Artois aus dem Kühlschrank zieht, wäre dies das Signal, die mobile Bierbar in den Saal zu rollen. Nach 13 Folgen wüsste der Zuschauer nicht mehr, ob er fürs binge watching oder fürs binge drinking gekommen ist, was dem Playstation-Vertreter von Sony in die Hände spielen würde, denn irgendwie hätten alle plötzlich Lust auf eine Runde Call of Duty.
Anders als die meisten Läden hat Amazon Books übrigens keine eigene Homepage. Die Öffnungszeiten muss man sich ergoogeln. Sie wissen schon, mit dieser Suchmaschine, deren Macher vermutlich gerade an einem physischen Katalog arbeiten, der „Blau-rot-gelb-grüne Seiten“ heißen wird.
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