Später werden sie in den Abendnachrichten sagen, so heiß war es noch nie im Juni. Selbst dort, wo der Brutalismusbau aus den 60ern Schatten wirft, ist die Luft im Hof badewannenwarm. Johann König hat die Kirche St. Agnes vor sieben Jahren gekauft und mit dem Architekten Arno Brandlhuber zur spektakulärsten Galerie Berlins umgebaut. Brandlhuber hat das Kirchenschiff mit einem gewaltigen Betontisch in zwei Geschosse geteilt, die „Nave“ oben ist immer noch so monumental, dass dort gerade ein Zirkuszelt der Künstlerin Kathryn Andrews stehen kann.
König fischt uns im Nebengebäude zwei Literflaschen Wasser aus dem Kühlschrank und lässt sich ein Ladekabel fürs Handy bringen. „Ich muss noch mit meiner Tochter ins Schwimmbad“, sagt er mit einem schnellen Blick aufs Display erklärend. Melden wird sich nach einer Stunde ein Sammler, mit dem er auch verabredet war. König vertröstet ihn, steckt auf dem Weg zum Auto im Galerieshop für den Mann noch ein Exemplar seiner Biografie ein: Blinder Galerist heißt sie und erzählt, wie der Sohn des Kurators Kasper König als Kind durch einen Unfall einen Großteil seiner Sehkraft verlor und dennoch im Kunstbetrieb Karriere machen konnte.
Der Freitag: Herr König, Sie waren zwölf als Sie mit Schreckschusspistolenmunition in Ihrem Zimmer unfreiwillig diese Explosion auslösten. Waren Sie ein Draufgänger?
Johann König: Bestimmt. Ich weiß nur nicht mehr, was genau mein Vorhaben war. Ob ich eine Bombe bauen wollte, oder nicht. Am Ende läuft es auf mit Knallern spielen hinaus. Ich wusste nicht, in was für eine Gefahr ich mich begebe. Ich wusste, dass die Kugeln eine große Sprengkraft haben. Aber darauf, dass sie sich in der Dose verkanten und explodieren können, wäre ich nicht gekommen. Was ich in meinem Buch zu beschreiben versuche: Mein Glück war, dass es ausgerechnet an der Sollbruchstelle Pubertät passierte.
Warum das?
Das Erwachsenwerden und das Nachdenken darüber, was man mit seinem Leben machen soll, ist sowieso anstrengend. Bei mir hat das zu einer Flucht nach vorn geführt.
Auf der Blindenschule in Marburg, die sie besuchten, wurde Ihnen eine Zukunft als Beamter oder Dolmetscher in Aussicht gestellt. Sofern die Noten stimmten, sonst bliebe nur Masseur oder Korbflechter.
Das ist ein wenig überzogen, aber es stimmt schon. Wenn sich für den gehobenen Dienst zwei mit gleichem Jura-Abschluss bewerben, muss der Behinderte genommen werden, darauf wird im öffentlichen Dienst, Gott sei Dank, geachtet. Ansonsten sind die Möglichkeiten nicht so groß.
Im Buch erzählen Sie von der Angst, in ein unerfülltes Leben abzudriften.
Ich dachte, wenn ich nicht sofort etwas mache, mache ich nie etwas. Ich kam aus einem privilegierten Umfeld, in dem große Freiheit im Umgang mit Kindern herrschte. Ich machte mir vielleicht auch deshalb Druck, so früh eine Galerie zu eröffnen, weil es den von meinen Eltern nicht gab. Ich hatte diese Behinderung, ich bin Einzelkind und mein Vater ist eh nicht so drauf.
Gerhard Richter war der Trauzeuge ihrer Eltern, ihr Fernseher stand auf einer Brillo-Box von Andy Warhol und Künstler wie Isa Genzken und David Hockney kamen zu Besuch. Wie war das, in diesem Umfeld aufzuwachsen?
Ich glaube, dass diese Prägung zwar ein Rolle spielt aber auch oft überhöht wird. Ich habe mal erzählt, dass Gerhard Richter mir Lederstrumpf-Kassetten schenkte. Seither wird das immer wieder aufgegriffen. Mich hat das als Kind eigentlich nicht tangiert. Das einzige, was mir auffiel war, dass unsere Urlaubsziele andere waren: Meine Freunde machten Pauschalreisen. Wir fuhren zu Ulrich Rückriem in die Normandie, zu Isa Genzken nach Irland oder zu Bill Copley nach Upstate New York. Der Stellenwert von Kunst wurde mir erst in Marburg in der Oberstufe klar. Im Kunstunterricht habe ich gemerkt, wie nah ich in eigener Person und mit der eigenen Familie am Kunstgeschehen dran bin.
Sie glichen den Unterrichtsstoff mit dem ab, was sie gesehenhatten?
Nicht so bewusst. Ich denke viel in Kunst. Wir sind ja als ich sieben war nach Frankfurt gezogen. Das Bild, das ich von Frankfurt hatte, war ein Immendorff-Bild, das bei uns in Köln im Flur hing: Studentenproteste um den Frankfurter Eschersheimer Landturm. Beim Stichwort Schwimmbad denke ich zuerst an Hockney, bevor ich an ein echtes Schwimmbad denke. Das ist wie Vokabeln. Die erste Assoziation ist die Kunst, dann kommt irgendetwas anderes.
Nicolaus Schafhausen bot Ihnen noch als Schüler eine Assistenz im Frankfurter Kunstverein an. Sie lehnten ab und machten während Ihrem Abi Ihre erste Galerie in Berlin auf. Wie kamen Sie auf diese Kamikaze-Idee?
Weil ich das rein technisch nicht gekonnt hätte. Als Assistent musst du Flüge buchen, Fotokopien machen, Sachen aufbauen. Das Können hätte mir gefehlt. Man ist in der praktischen Ausführung eingeschränkt, wenn man nicht gut sieht. Aber man kann trotzdem strategisch beraten, Input geben, ein Gefühl dafür haben, was wichtig ist und was nicht. Das hört sich komisch an, aber für mich war es leichter, sofort in die leitende Position zu gehen. Und ich wollte wirklich mit Künstlern arbeiten.
Nach einigen Flops standen die Besucher 2002 bei Ihnen Schlange, um ein Werk von Jeppe Hein zu sehen: Eine Metallkugel, die sich in Bewegung setzte und den Raum zerstörte, sobald man die Galerie betrat. Kunst, die kaputt macht, was sie eigentlich ernähren sollte.
Das war auf mehreren Ebenen mein Durchbruch. Es war ein kommerzieller Erfolg und ein Erfolg für die eigene Intuition. Ich hatte vorher auf meinen Onkel und meinen Vater gehört und immer versucht, kleinere Sachen zu verkaufen.
Weil das einfacher geht?
Sie sagten: „Mach klein, geh kein Risiko ein, vermeide Produktionskosten.“ Ich war auch ein bisschen unverantwortlich. Ich wusste nicht, ob es die Galerie nach dieser Schau noch geben wird. Das hat sich auch schlecht angefühlt. Ich hatte ja kein Geld, ich wusste nicht, wie ich den Produzenten der Kugel bezahle. Ich hatte einen Lieferantenkredit, musste erst bezahlen, wenn sie liefern. Kaufmännisch war das nicht so fein. Es ging um 7.000 Euro. Das war sehr viel Geld. Aber es wurde ein Erfolg. Und ich habe mich in dieser draufgängerischen Handlungsweise bestätigt gefühlt und konnte zahlen.
2009 konnten Sie nach einer Hornhauttransplantation sehr viel besser sehen. Danach fuhren Sie direkt zur Kunstmesse Art Basel. Und mussten feststellen, dass es „eine Menge Kunst gibt, die besser aussieht als sie ist“.
Viele Sachen wirken visuell sehr stark und machen so einen außergewöhnlichen Eindruck. Aber außer der visuellen Kraft ist oft wenig dahinter. Ich glaube, meine Sehbehinderung hat mir dabei geholfen, kritisch zu sein, Sachen komplett durchdringen zu wollen und die Motivation des Künstlers auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Das hilft bei der Bewertung der Qualität. Ich brauche keine perfekte Sehkraft, um ein gutes Kunstwerk beurteilen zu können.
Zweifeln andere deshalb Ihr Urteil an?
Am Anfang war das meine Sorge, auch im Hinblick auf das Buch und sie kam jetzt nochmal von engen Sammlern. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Outing an. Auch wenn es vorher kein Geheimnis war. Das ist vielleicht wie bei Fußballern, die offen sagen, dass sie schwul sind und wo viele dann sagen: Warum ist das noch wichtig, wusste man doch schon. Aber für einen selbst kann es total befreiend sein, das einmal so klar gesagt zu haben. Ich habe gemerkt, dass ich viele Jahre doch immer sehr versucht habe, so zu tun als wäre nichts.
In welchen Situationen wurde das zum Problem?
Es kommt vor, dass mir Leute zuhause ihre Sammlung zeigen. Wenn ich ins Gegenlicht gucke, sehe ich das alles nicht. Und dann sagte ich eben: Ah, ja, sehr schön! Anstatt: Kann ich jetzt nicht erkennen.
Außenstehende haben oft eine falsche Vorstellung vom Beruf des Galeristen.
Ich bin kein Kunsthändler. Als Galerist bin ich Vermittler, Manager, Berater, Teil der Produktion. Ich glaube, es ist ein Missverständnis, dass der Kunstbetrieb über seine Arbeit nicht reden will. Aber er wirkt von außen so schneekugelmysteriös, dass keine Fragen gestellt werden.
Preisschilder sucht man in Galerien vergeblich.
Das finde ich ja ein Problem. Ich fände es besser, das wäre transparenter. Weil es die Hemmschwelle nimmt. Viele Leute denken, man mache die Preise nach der Nasenspitze. Was nicht stimmt.
Der König-Clan
Johann König wurde 1981 in Köln in einem familiären Umfeld geboren, in dem irgendwie alle etwas mit Kunst machten. Sein Vater ist der Kurator Kasper König, der seit den 1960ern die Kölner Kunstszene und ihre internationale Vernetzung maßgeblich prägte und mit den Skulptur Projekten Münster 1977 die wichtigste internationale Ausstellungen für Kunst im öffentlichen Raum gründete. Johanns Mutter Edda Köchl-König war bis in die späten 70er als Schauspielerin tätig, unter anderem ist sie in Wim Wenders’ Summer in the City und Alice in den Städten zu sehen. Danach arbeitete sie als Illustratorin.Johanns Onkel Walther König gründete 1969 die gleichnamige Kunstbuchhandlung in Köln. Inzwischen hat sie 44 Filialen im In- und Ausland, viele davon in Museen. Johanns älterer Halbbruder Leo König arbeitet in New York als Galerist.1988 zog die Familie nach Frankfurt am Main, wo Kasper König bis 2000 Rektor der Städelschule war, danach leitete er bis 2012 das Museum Ludwig in Köln. Johann König ging 2002 nach Berlin und gründete gegenüber der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz seine erste Galerie. Die Eröffnung geriet zum Fiasko – alle möglichen Interessenten waren in Frankfurt, wo parallel die Manifesta 4 eröffnete. 2006 zog die Galerie in die ehemalige Fabrikhalle eines Plexiglasherstellers in Kreuzberg um, die bis heute ein Standort der Galerie ist.
2015 eröffnete Johann König sein neues Stammhaus in der denkmalgeschützten Kirche St. Agnes, die 1966 der Berliner Stadtplaner Werner Dütt-mann errichtete. Zu den von der Galerie vertetenen Künstlern gehören u.a. Katharina Grosse, Claudia Comte, Andreas Mühe, Natascha Sadr Haghighian und Erwin Wurm.
Wie macht man die Preise?
Das sind ganz viele Faktoren. Eine Skulptur … da gibt es einen Schlüssel, also die Produktionskosten, die werden zunächst mit drei multipliziert. Dann haben Museumsausstellungen des Künstlers eine Relevanz, Teilnahmen an Biennalen, Sammlungen und so weiter. Bei Malerei bildet eben diese Relevanz des Künstlers einen Faktor und dieser wird dann mit der addierten Höhe und Breite der Leinwand multipliziert. Und dann gibt es noch den Sekundärmarkt: Angebot und Nachfrage. Eigentlich wollte ich nicht lange Galerist bleiben. Ich wollte nur beweisen, dass ich es kann und dann einen Transfer machen, zu irgendeinem Kunstverein. Ich mag es, Abschlüsse zu machen. Das Verkaufen ist nicht so meins.
Was ist der Unterschied zwischen einem Verkauf und einem Abschluss?
Das interessante beim Abschluss ist, es geht weiter, das Werk kommt in einen neuen Kontext. Gerade habe ich einer Journalistin vom T Magazine der New York Times vorgeschlagen, eine Geschichte über die Ateliers von Anselm Reyle, Alicja Kwade und Jorinde Voigt in Berlin zu machen. Die hat das jetzt gemacht. Wenn solche Sachen aufgehen, ist das befriedigender als ein Verkauf. Mir geht es darum, dass Sachen passieren, es für die Künstler weitergeht. Das ist ja etwas, was wir zum Teil sehr anders machen als andere Galerien. Wir sind in der Vermarktung oder Positionierung unserer Künstler aggressiver. Ich spreche die Leute offensiv an und mache Vorschläge. So habe ich Alicja Kwade in die Venedig-Biennale gekriegt.
Verstehen Sie, dass andere Galerien das unschicklich finden?
Mich amüsiert das eher. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen autistisch. Ich finde, man kann immer fragen und Vorschläge machen. Wenn es zu viel wird, bin ich ja nicht blöd und merke das nicht.
Was ist mit dem Vorwurf, Sie seien zu kommerziell? Als Sinnbild dafür gilt der Shop, in dem Sie Mützen von Monica Bonvicini und Handtücher von Norbert Bisky verkaufen.
Ich finde nicht, dass wir kommerziell sind. Das ist ja kein Geld, was man mit den paar Sachen verdient, da geht es mehr um Teilhabe. Hier arbeiten 40 Leute, der Eintritt ist frei, die aktuelle Ausstellung oben hat fast eine halbe Million gekostet. Ein Custommade-Zirkuszelt, riesige Skulpturen und Wandobjekte, alles aus Los Angeles eingeflogen, alles neu, nichts davon gab es vorher. Kommerziell fände ich es, wenn ich dauernd kleine Malereien zeigen würde.
In Ihrem Buch schreiben Sie, die Angst, völlig zu erblinden, begleite Sie seit Ihrem zwölften Lebensjahr.
Die ist immer noch da. Ich versuche nur, sie nicht so an mich ranzulassen. In einer Kritik wurde gefragt: Warum so viel, so schnell, woher kommt dieser Druck? Es kann sein, dass das damit zu tun hat. Dass ich denke, ich habe dieses Fenster, in dem ich Sachen sehen kann und will so schnell wie möglich so viel wie möglich reinbekommen. Denn ich weiß ja nicht, wie lange es noch geht.
Wie ist es im Moment?
Bei dem Wetter heute ist es ganz schlecht. Ansonsten schwankend stabil.
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