Quadratur der Krise

Kino In Ruben Östlunds Satire „The Square“ kommentiert die Kunst einen heißlaufenden Betrieb
Ausgabe 42/2017

Im Hinrichten von Kuratoren macht uns hier in Berlin keiner etwas vor, seit Chris Dercon den Intendantenposten der Volksbühne besetzt hält und Adam Szymczyk die Documenta nach Griechenland entführt hat. Auch nicht der schwedische Regisseur Ruben Östlund, trotz Goldener Palme in Cannes und Oscar-Kandidatur 2018. Sein fiktiver Kurator Christian, Direktor des fiktiven X-Royal-Museums in Stockholm, hat zwar Scheiße am Fuß, aber sie wird ihm nicht buchstäblich vors Büro gelegt, wie das bei Dercon geschehen ist.

Und wo Szymczyk als Totengräber der wichtigsten Kunstschau der Nachkriegsgeschichte beschimpft wird, hat Christian nur den möglichen Absprung des Wippen- und Tragegurtherstellers BabyBjörn als Sponsor zu verantworten. Es wird aber ausreichen, um ihn zu entlassen. Einvernehmlich, versteht sich.

Konflikte treten in Östlunds Kunstwelt-Satire The Square oft auf, wenn man sie nicht mehr erwarten würde. Einvernehmlich ist der Sex, den Christian (Claes Bang) mit der amerikanischen Kunstkritikerin Anne (Elisabeth Moss) hat. Die Harmonie endet, als es um die Entsorgung des Kondoms geht. Mit dieser Frau, Mitte Dreißig, Single, will Christian sein Sperma auf keinen Fall allein lassen. „Du hast eine echt hohe Meinung von dir“, sagt sie spöttisch.

Was, wie im Fall der meisten eitlen Menschen, absolut stimmt und gleichzeitig komplett falsch ist. Der Film und seine Hauptfigur entsprechen sich in vieler Hinsicht frappierend. Christian ist so smart und gepflegt wie die Bilder, die Ruben Östlund vorführt. Ein Treppenhaus ist nicht nur der perfekte Spiegel der Verhältnisse seiner Bewohner, es wird im Verlauf des Films auch sein ebenso perfektes Pendant in einem anderen Milieu finden. Die fiktiven Kunstwerke, die das Royal-X-Museum ausstellt, sind haarscharf echten künstlerischen Positionen nachempfunden, die teilweise kombiniert werden.

Wer dies liest, darf helfen

So wirkt dieses hypermoderne Haus, das sich hinter der Fassade eines königlichen Schlosses verbirgt, nicht wie die Karikatur eines Museums, sondern wie ein Museum für zeitgenössische Kunst, das so in jeder beliebigen westlichen Metropole stehen könnte. In Östlunds Satire wird nicht die Gegenwartskunst persifliert, vielmehr kommentiert diese Gegenwartskunst (im Film verkörpert durch Neonschriftzüge, Staubhaufen, Stühle, einen männlichen Performer und das titelgebende Quadrat) die Erzählung eines heißlaufenden Betriebs, seines Posterboys und der diversen Hofschranzen.

Es gibt ein Leitmotiv bei Östlund: die Frage, wann wir bereit sind, anderen zu helfen. In Höhere Gewalt (2014) drängt sie sich in das komfortabel gepolsterte Leben einer jungen Familie, als im Skiurlaub eine Lawine auf die Terrasse ihres Chalets abgeht. Vater Thomas rennt davon, Mutter Ebba bleibt bei den beiden Kindern. Der Verrat droht die Familie auseinanderzutreiben, er lässt sich erst nivellieren, als Ebba bei einer Abfahrt im Nebel verschwindet und von Thomas gerettet werden muss. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass der Unfall vorgetäuscht war, um die alte Ordnung wiederherstellen zu können.

In The Square manifestiert die Frage sich auf dem Vorplatz des Museums in dem titelgebenden Kunstwerk: In das Kopfsteinpflaster ist mit weißen Steinen der Umriss eines Quadrats eingelassen, dazu eine Bronzeplatte, die es etwas plump als Safe Space ausweist, in dem alle einander helfen sollen. Es gab dieses Filmkunstwerk zuvor als Kunstwerk, die Urheber waren Östlund und sein Produzent Kalle Boman, im Frühjahr 2015 wurde es in der Kleinstadt Värnamo von dem dortigen Museum eingeweiht. Die schwedische Presse berichtete ein wenig darüber, aber viel scheint in dem Quadrat nicht los gewesen zu sein.

Im Film ist das ähnlich, explosiv ist nur der Clip mit einem blonden Kind, einer Bombe und einem Kätzchen, den die plietschen Jungs von der Werbeagentur im Quadrat für das Museum drehen. Mit den Situationen, in denen außerhalb des Quadrats um Hilfe gebeten oder auch gerufen wird, könnte man hingegen eine eigene Zeitungsseite füllen. Eine der stärksten Szenen ist das Festbankett mit den Sponsoren im Museum, als Amuse-Gueule mimt ein Performancekünstler ein Urwaldtier, die Situation eskaliert. Wie eine Frau dann zunächst ironisch und schließlich ernsthaft um Hilfe fleht, verweist bildstark auf die Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit der Konflikte des Films. Sein letzter Satz, gesprochen von einer Figur, die hier ihren ersten Auftritt hat, lautet dann auch: „Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen.“

Christian erinnert mitunter an den Butler im Sketch Dinner for One, der vorsichtig über das Tigerfell steigt und auf dem Rückweg dann doch über den Schädel stolpert. The Square ist aber ansonsten ein sehr schwedischer Film: Egal wie dreckig es kommt, an der Oberfläche bleibt alles jättesnyggt. Selbst als Christian bei strömendem Regen bis zu den Oberschenkeln im Hausmüll seiner Nachbarn steht, sieht das immer noch schick aus. Auch die Ärmsten kämpfen mit Wohlstandsproblemen: Playstationverbot, Zwiebeln auf dem Hühnchensandwich. Groß ist die Szene, in der Christian sich in einem Facetime-Video binnen 30 Sekunden aus dem Modus des zerknirschten Büßers zum Streiter für die sozial Benachteiligten aufschwingt.

Schwer vorstellbar, dass er nicht weiter Karriere macht. Bei Chris Dercon und Adam Szymczyk dürfte das ähnlich sein.

Info

The Square Ruben Östlund SWE/D/F/DEN 2017, 142 Minuten

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