Wie hackt man ein Mini-Disc-Archiv?

Hegelplatz 1 Kleine Scheiben wecken bei unserer Kultur-Ressortleiterin unangenehme Erinnerungen
Ausgabe 25/2019
Noch keine 30 Jahre alt, schon ein Relikt: der MiniDisc-Walkman
Noch keine 30 Jahre alt, schon ein Relikt: der MiniDisc-Walkman

Foto: Imago Images/Weiss

Vergangene Woche haben mal wieder die 90er angeklopft. Zuerst bei Thom Yorke und dann an meiner Kellertür. Wobei: Bis sie bei mir ankamen, waren es schon die nuller Jahre. Was passiert war? Ein Unbekannter soll das Mini-Disc-Archiv des Radiohead-Sängers „gehackt“ haben. Es ging um 18 Mini-Discs mit Aufnahmen, die im Zuge des Albums OK Computer (1997) entstanden und verworfen wurden. 150.000 Dollar Lösegeld forderte der Hacker, sonst werde er das Material im Netz veröffentlichen. Die Band übernahm das dann selbst. Für 18 Dollar kann man sich die gut 16 Stunden auf Bandcamp herunterladen, der Erlös geht an die NGO Extinction Rebellion.

Seither treibt mich die Frage um, wie hackt man ein Mini-Disc-Archiv? Ich besitze nämlich selbst eines. Die Mini-Discs liegen in einer Metallkiste in einem Umzugskarton in einem Bretterverschlag mit Vorhängeschloss. Bisher hielt ich es für unhackbar. Zumal es für mich selbst eine Black Box ist, auf die ich keinen Zugriff mehr habe. Mein altes Sony-Gerät ist kaputt, und wer besitzt 2019 noch einen MD-Player? Wozu auch? Als ich meinen 2000 kaufte, sah das anders aus. Es war das Jahr, in dem in Berlin das Sony Center eröffnete, Mac-Rechner kaufte man noch in kleinen Klitschen, in denen ein iMac und ein ThinkPad Staub ansetzten. Der iPod wurde erst ein Jahr später eingeführt.

Mit dem MD-Player und einem Aufsteckmikro habe ich meine ersten Interviews aufgenommen, mit dem tragbaren Player geschnitten und dann im Radio abgespielt. Die komplette Sendung habe ich wieder auf Mini-Disc aufgezeichnet und mit dem Rohmaterial archiviert. Ich muss mir die Discs nicht anhören können – bei vielen reicht ein Blick aufs Etikett, um Erinnerungen zu triggern. An mein allererstes Interview zum Beispiel, mit Ira Elliot, dem Drummer der Band Nada Surf. Ich war so nervös, begeistert und auf das Frage-Antwort-Ping-Pong konzentriert, dass ich nicht darauf achtete, was er mit seinen Händen machte. Beim Abhören fiel mir auf, dass er mit den Fingern die ganze Zeit auf der Tischplatte getrommelt hatte. Entsprechend radiotauglich war der Mitschnitt.

Bei einigen MDs ist das Etikett mehrfach überklebt, mit Datum und „Wiederholung!“ bekritzelt. Sie markieren den Anfang vom Ende meiner Sendung, als ich immer öfter für Praktika und Jobs in anderen Städten war und in letzter Minute eine alte Aufnahme mit neu eingesprochener Anmoderation ins Studio schickte. Als ich dann nur noch für Magazine und Zeitungen arbeitete, war ein Diktiergerät handlicher. Inzwischen verwende ich mein Telefon. Nach wichtigen Terminen fürchte ich auf dem Heimweg manchmal, es könnte ausgerechnet jetzt geklaut werden. Im Vergleich zum Hack meines MD-Archivs wäre das ein einfacher Stunt.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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