Wie sieht die Liebe auf Chinesisch aus?

Medientagebuch Das New Museum in New York weitet seine Ausstellungsräume auf das Internet aus. Den Auftakt dieser "Online-only"-Reihe macht bravourös Taryn Simons "Image Atlas"
Wie sieht die Liebe auf Chinesisch aus?

Screenshot: Imageatlas.org

Das New Museum in New York hat auf seiner Webseite eine neue Ausstellungsreihe gestartet. Unter dem Titel First Look wird hier fortan jeden Monat ein digitales Werk vorgestellt. Als erstes renommiertes Haus für internationale Gegenwartskunst gibt es damit die Losung „online only“ aus: Die Werke dieser Reihe gibt es nur im Internet zu sehen, und sie funktionieren auch ausschließlich im Netz. Aber kann eine Webseite mehr als eine virtuelle Spielerei sein?

Den Auftakt macht die New Yorker Künstlerin Taryn Simon, die zusammen mit dem Programmierer und Internetaktivisten Aaron Swartz einen Image Atlas entwickelt hat. Taryn Simon ist in Deutschland vor allem durch ihre Fotoarbeit A Living Man Declared Dead And Other Chapters bekannt, die im vergangenen Jahr in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen war. Simon ging darin Stammbäumen nach, die exemplarisch für gesellschaftliche und politische Probleme stehen. Sie fotografierte den Mann, der jahrelang Saddam Husseins Sohn Uday doubeln musste, und dessen Verwandtschaft, die Nachkommen des NS-Verbrechers Hans Frank und alle Angehörigen zweier bis aufs Blut verfeindeter braslianischer Clans – und stellte so die Frage nach den Faktoren, die einen jeden prägen: Herkunft, Schicksal, der Ort an dem wir leben.

Diese Faktoren spielen auch im Image Atlas eine entscheidende Rolle, hinter dem eine simple Suchabfrage steht: Für 17 Länder kann sich der Besucher der Ausstellung (respektive der Webseite imageatlas.org) zu einem beliebigen Wort die jeweils ersten fünf Treffer der Google-Bildersuche anzeigen lassen. „Queen“ etwa fördert in den europäischen Ländern Bilder von Elisabeth II. und den jeweils eigenen gekrönten Häuptern zutage, während in Afghanistan und Iran ausschließlich (keineswegs verschleierte) Schönheitsköniginnen angezeigt werden. Den Russen wiederum liegt knapp 100 Jahre nach Ende des Zarenreichs alles monarchische offensichtlich fern, jedenfalls belegt die Band um Freddy Mercury die Top 5 alleine, und in Nordkorea bekommt man zu diesem Stichwort – wie zu vielen anderen – die Information: „No images found“.

Bizarre Abweichungen

Zum Teil sind die oft bizarren Abweichungen der Übertragung in die Landessprachen geschuldet. So stößt man mit dem Schlagwort „party“ für Deutschland („Partei“) auf ein Schaubild des SPD-Ortsvereins Dissen und Aufkleber der Sonneborn-Partei („Wir wollen unsere Mauer wiederhaben!), in Spanien und Brasilien („partido“) hingegen nur auf Fußballer und Stadien. Welche Person in Nordkorea unter diesem Stichwort erscheint, können Sie sich vermutlich denken. Ein Tipp: Wenn Sie „love“ eingeben, sehen Sie ihn auch. Dass in China wiederum zu diesem Begriff als erstes Plastiksandalen der italienischen Luxusmarke Moschino angezeigt werden, hinterlässt bei der Ausstellungsbesucherin ein mulmiges Gefühl. Aber auch Gemeinsamkeiten irritieren: In den USA, Spanien und Neuseeland ist unter dem Stichwort „jew“ ein und diesselbe antisemitische Karrikatur populär. Dass in Deutschland der Schauspieler Jude Law die Plätze eins bis fünf belegt, beruhigt da fast.

In einem Interview mit dem New Yorker erklärte Taryn Simon, sie wolle mit diesem Werk nicht nur auf kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinweisen, sondern auch infrage stellen, ob es eine universelle visuelle Sprache gibt. In der Tat ist ihr Image Atlas viel mehr als eine Online-Spielerei: Er irritiert, er fordert die Wahrnehmungsmuster des Besuchers heraus und entlässt ihn mit neuen Fragen. Und leistet so, was jede gute Ausstellung leisten sollte – völlig unabhängig von dem Raum, in dem sie statt hat.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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