Der einsame Wolf ist tot ....

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Die furchtbarste Stelle in Charlottes Roches kursierendem Bestseller „Schoßgebete“ ist auf Seite 86 zu finden. Dort heißt es:

Jedenfalls bleibe ich bei meinen Mann, bis ich sterbe, würde es aber gerne, bevor ich sterbe, hinkriegen, dass ich nicht heimlich, sondern erlaubt, ganz legal, wie früher bei den Hippies, mit einem anderen Mann schlafen darf. Oder auch: mit dem einen oder anderen Mann! Ich möchte das gerne tun, mit so wenig schlechtem Gewissen wie möglich. Ich stelle mir vor, dass das schlechte Gewissen, beim heimlichen Machen, alles versaut. Das will ich nicht. Ich möchte gerne frei sein dabei und, während ich endlich mal einen anderen Schwanz in mir habe, die ganze Zeit denken: Ich darf das. Ich habe den coolsten Mann der Welt, er hat es mir erlaubt.“

Oh Leute, was ist passiert?! Sich das Fremdgehen erlauben lassen? Aber das ist doch gerade der Kick an der Sache: das Heimliche, das Verbotene, die Aufregung, das Angstgefühl, das Risiko ertappt zu werden. Das kleine bisschen triumphierende Schuldgefühl, das ist es, was die Lust steigert, das Fieber erhöht, die Glut am Kochen hält. Was habe ich von einem Seitensprung, der mir von meinem Partner gnädig gewährt wurde. Das ist die langweiligste und banalste Sache der Welt. Was ist los mit uns, dass wir nicht einmal mehr das bisschen schlechte Gewissen aushalten sondern uns gleich wimmernd Erleichterung verschaffen müssen, indem wir gewissermaßen vorausschauend beichten …

Leute, sagt mir wo in unserem Zeitalter das Abenteuer geblieben ist oder wenigstens ein kleiner Hauch von Abenteuerlust, jene Sehnsucht nach Grenzüberschreitung, von der man in Romanen von Kara Ben Nemsi bis Harry Potter, in Biographien von Vasco da Gama bis Thor Heyerdahl liest. Da haben Menschen die Pole bezwungen, den Urwald bereist, Landkarten geschrieben, Erdteile entdeckt und manchmal für ein völlig verrücktes Unterfangen ihr Leben riskiert oder sogar verloren. Die fortschreitende Zivilisation hat solche Abenteuer weitgehend beendet und nicht nur das: Zivilisatorischer Fortschritt bedeutet Verfeinerung des Gemütslebens und des Umganges der Menschen miteinander, das Rohe wird im Zeichen des Humanismus allmählich abgeschliffen, eine soziale Kultur gelangt zur Blüte, der Sozialstaat entwickelt sich und produziert Gemeinsinn. Daraus entsteht eine soziale Infrastruktur, die die Risiken des Lebens mindern und Gefahren reduzieren soll. Dem Abenteuer haftet dagegen die Aura des Einsamen und Eigenbrötlerischen, des Rücksichtslosen und Halsbrecherischen an, obwohl weder Kolumbus noch Amundsen allein unterwegs waren. Die Sehnsucht nach dem Abenteuer fristet seitdem ein zunehmend kärgliches Dasein oder nimmt eine andere Gestalt an. Es gibt sie vielleicht noch in unauffälliger Form im anspruchsvollen Führungsjob, in Forschung und Wissenschaft, im Militäreinsatz im Krisengebiet, im Tüfteln und Basteln, in der Entscheidung ein Unternehmen zu gründen oder in ein fernes Land auszuwandern, in dem einen oder anderen gefährlichen Beruf. Manche finden es abenteuerlich Kinder in die Welt zu setzen oder sich im Großstadtdschungel zurechtzufinden. Auch in der Miniaturform des Seitensprunges und den Improvisationen der Wenig-Betuchten im täglichen Kampf gegen den Mangel mag Abenteuerpotential liegen. Wahrscheinlich ist das Abenteuer ohnehin für jeden Menschen das, wofür er besonderen Mut aufwenden muss. Dennoch ist klar, dass die Idee des Lebens als eines zu bestehenden Abenteuers eindeutig an Glanz eingebüßt hat, seit das Abenteuer sich immer weniger da draußen in der Ferne, im Aufbruch, in der Weite des Universums abspielt sondern im Drinnen zu suchen ist, im Schoß der Familie, der Gemeinschaft und dem sozialen Netzwerk. Die fortschreitende Moderne hat ganz einfach den Alltag und das menschliche Beziehungsgestrüpp zum Abenteuer erklärt, damit alle Daheimgebliebenen, damit auch Frauen, damit sich letztlich jeder ein bisschen als Abenteurer fühlen kann. Ja natürlich, wir absolvieren unser soziales Jahr im Ausland und sind auch sonst recht mobil, aber vorher wird die Reiseversicherung, die Aufenthaltsversicherung, die zusätzliche Krankenversicherung sowie die Koffer- und Gepäckversicherung abgeschlossen und per Handy sind wir jederzeit erreichbar, damit weder wir selbst noch die Lieben daheim sich Sorgen machen müssen. Klappt etwas nicht, bestellt Papa einfach von zu Hause aus den Hubschrauber, der die Tochter von Robinsons Insel nach Hause holt.

Seit Jahren tobt in den Massenmedien die emotionale Reizüberflutung, wird soziales Problembewusstsein mit einem ausgiebigen Gefühls- und Betroffenheitskult garniert, der scheinbar hautnah angelegt tatsächlich auf vergleichsweise Fernliegendes gerichtet ist. Wer nicht über den Selbstmord eines Nationaltorwarts trauert, nicht vom Tod eines Popstars oder einer Prinzessin zu Tränen gerührt ist, leidet an einer Blockade. Wer die banalen Verfehlungen eines Politikers nicht mit hysterischen Aufschreien begleitet und zum virtuellen Eierwerfen schreitet, gehört nicht mehr dazu. Im täglichen Takt der Talkshows wird dem Bürgervolk mit permanenter Steigerung der Verwöhndosis vor Augen geführt, wie viele Hartz-IV-Empfänger hilflos darbend ihr Leben verdämmern, wie viele unglückliche Mütter nutzlos zuhause versauern, wie viele gebrechliche Senioren in maroden Altenheimen dahin siechen, ohne dass dabei viel mehr herauskommt als die fortschreitende Sentimentalisierung des Mediums selbst und natürlich die des mit diesem in schöner dialektischer Umarmung lebenden Publikums. Eine Spirale aus dem Schüren von sozialer Angst, der Erzeugung von Empathie und einer Vergemeinschaftung von Problembewusstsein setzt sich fort. Auch mediales Mitleid kann sehr hochmütig sein und produziert nicht selten erst die „Opfer“, denen man aus der dunklen Nische ins gleißend erlösende Licht der Öffentlichkeit zu helfen vorgibt. Nur wenige wüssten wirklich, wie grottenschlecht sie dran sind, würde geballte kollektive Aufmerksamkeit sie nicht pausenlos daran erinnern. Der schicksalhafte, abenteuerliche Aspekt des Lebens wird durch Altruismus zu kompensieren versucht, dieser wiederum durch die Entdeckung gemeinsamer Gefühlswelten dem Publikum schmackhaft gemacht. Nichts darf dem Menschen mehr einfach zustoßen. Seit Jahren langweilen wir uns gegenseitig mit den immergleichen Klagen und Feststellungen zur Vereinsamung des Individuums, fabulieren und lamentieren ausgiebig über soziale Kälte, Entfremdung, Ellenbogenmentalität, Werteverlust und ein Übermaß an ökonomischer Gesinnung. Gleichzeitig erzeugen wir mittels Technik und Organisation einen fortwährenden Zustand von immer mehr künstlicher Nähe und Kommunikation, wobei alles nicht von Systemen Gelenkte und im Mainstream Aufbereitete von der Wahrnehmung kaum noch erfasst werden kann und tendenziell Abscheu und Ablehnung hervorruft. Von der privaten und publizistischen Freiheit der Meinung über den unreflektierten Gefühlserguss auf diversen Foren und Plattformen im Internet bis hin zur Entfesselung eines virtuellen Gefühlsmobs trennt uns womöglich nur noch ein passender Anlass.

Ist die Feminisierung der Gesellschaft schuld ?

Das Abenteuer wurde also weiblich gemacht. Der Durchmarsch der Frauen hat inzwischen Formen angenommen und Spuren im gesellschaftlichen Dickicht hinterlassen. Als wir aufbrachen, wollten wir frei sein von dem Zwang immer die gute Mutter, die geduldige Zuhörerin, die aufopferungsvolle Krankenschwester zu sein. Wir wollten endlich auch das Rad erfinden, am Katheder stehen und auf die Pauke hauen. Auch wir wollten das Abenteuer für uns reklamieren. Und eine Zeitlang schien es sogar, als würde uns dies auf ganzer Linie gelingen. Auf vielen Gebieten haben Frauen ihren Radius vergrößert, mehr Chancen als heute, aus einem bunten Strauß von Lebensentwürfen zu wählen, waren nie. Doch seit Empathie im öffentlichen Raum zunehmend die Reflexion zu verdrängen droht, seit den Faktoren Familie und soziale Verbundenheit eine geradezu mythische Qualität zugeschrieben wird und angesichts steigender Problemlastigkeit eine neo-biedermeierliche Sehnsucht die Gesellschaft ergreift, werden die Prioritäten neu gesetzt, tun sich alte, überwunden geglaubte Dichotomien wieder auf. Wenn laut Statistik drei Viertel der Beschäftigten im Gesundheitswesen noch immer Frauen sind, dann darf man einigermaßen zuverlässig vermuten, dass es sich bei dem restlichen Viertel um die männlichen Verwaltungsspitzen handelt, die dafür sorgen, dass die drei Viertel weibliche Beschäftigte wissen, was sie zu tun haben. Es entsteht der Eindruck, dass sich die domestizierende Seite der aktuell angesagten Rollenmodelle nur besser verbirgt als früher, weil sie sich mit den Produkten von Warenhäusern und Konsumtempeln schmücken kann. Wenn Frau heute klipp und klar erklärt, sie macht sich nichts aus Kindern, verspürt auch sonst keinen Drang irgendwelche Dienste als Kummerkasten zu verrichten, will niemanden betreuen oder pflegen, keine ehrenamtliche Bürgerarbeit verrichten und keine Nachbarschaftshilfe leisten, sich nicht über Beziehungskisten austauschen und keine emotionalen Befindlichkeiten offenbaren, will einfach nur Kopf- statt Sozialarbeiterin sein, dann kann sie das natürlich tun, aber sie wird bald die Folgen merken. Zum Beispiel im Job und bei Bewerbungen, in Gesprächen mit ihren Freundinnen, im Kontakt mit ihren politischen Interessenvertretungen. Sie wird bald ganz und gar isoliert und alleine dastehen. Männer, die sich so verhalten, gibt es jedoch sehr viele und die müssen keineswegs besondere Ausgrenzung fürchten sondern können sich auf andere Gleichgesinnte verlassen. Frauen selbst besitzen eine hohe Toleranzschwelle, wenn es darum geht den Vertretern des anderen Geschlechts eine geringere Gefühlsaffinität zu attestieren und ihnen den zuweilen sparsamen Ehrgeiz auf dem Gebiet der sozialen Kompetenzen großzügig nachzusehen. Die Geschlechtsgenossinnen dagegen werden unablässig darauf aufmerksam gemacht, wenn sie nicht in die soziale Schiene passen und als jemand behandelt, der nicht richtig tickt. Das mag ja vielleicht auch so sein, aber sollte die Emanzipation den Frauen nicht gerade ermöglichen selber zu entscheiden, wie sie ticken wollen und zwar ganz ohne Bestrafung?! Natürlich gibt es auch viele lobenswerte Bemühungen von Männern sich im Sozialapparat einzubringen, aber was die Gefühls- und Kommunikationsebene angeht, bleibt es eine unangefochtene Domäne der Frauen, diesen Ebenen weltbewegende Bedeutung beizumessen, obwohl Gefühle wetterwendisch und launisch sind und die meisten Menschen sich kaum erinnern können, was sie gestern für Gefühle hatten, von vorgestern und letzte Woche ganz zu schweigen.

Vom Einsamen Wolf zur Girlie-Ermittlerin

Die Feminisierung der Gesellschaft mit ihrem hohen sozialen Pathos hat sich vor allem der Fernsehunterhaltung bemächtigt und wird von dieser zuverlässig in die Öffentlichkeit hinein zurück gespiegelt. Nicht etwa, dass die Anstalten an sich besonders weiblich wären, es geht ausschließlich um das Programm. Und da es ausgesprochen viele Familienserien und eine wahre Schwemme von Kriminalfilmen gibt, darf man sich ziemlich sicher sein, auf welchen Gebieten es erhebliche Defizite gibt. Denn das Medium propagiert und transformiert vor allem solche Leitbilder, die der Gesellschaft abhanden zu kommen drohen bzw. akut gefährdet sind und an die großen Mainstream-Diskurse anschließen: Also Patchwork statt Zersplitterung der traditionellen Kleinfamilie oder Singledasein, soziales Engagement statt materieller Orientierung, vielseitig einsetzbare Frauen, die auf allen Ebenen die Lust an der Pflicht verkörpern statt sich einseitig der Selbstentfaltung hinzugeben, ein Gerechtigkeitsempfinden, das niemals versagt und vorbildlich eloquent den moralischen Standpunkt vertritt, stehen auf der Unterhaltungsagenda ganz oben. Seit Jahren bevölkern Scharen von Anwältinnen, Unternehmerinnen, Architektinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, ein paar Restaurantbesitzerinnen und der ganze Rest einer mit dem stereotypen Etikett der „starken Frau“ versehenen weiblichen Elite die Bildschirme, alle höchst erfolgreich natürlich, und alle managen – gleich welchen Alters – neben dem anspruchsvollen Beruf nicht nur zahlreiche Konflikte von eigenwilligen Kindern, erwachsenen Sorgenkindern und Kindeskindern bis hin zu den exzentrischen Senioren-Eltern-Kindern sondern sind daneben notorisch mit der Suche nach der idealen Partnerschaft beschäftigt, wobei storymäßig herausgearbeitet wird, dass das höchste Glücksversprechen allemal in der privaten Beziehung liegt, da sich nur dort echtes Gefühlsleben entfalten kann. Früher wurden unbemannte Frauen entweder als alte Jungfern oder als Blaustrümpfe verunglimpft und hatten wenig Teilnahmemöglichkeiten vor allem im beruflichen Bereich. Heute stehen ihnen die meisten Türen offen, dennoch sind es vor allem gängige Frauenrollen, die die medial geprägte Gewissheit vermitteln, dass Menschen, die ohne Partner und Familie auskommen wollen oder müssen – und davon gibt es real bekanntlich sehr viele – gewissermaßen a priori todunglücklich seien, an quälenden Gefühlen von Einsamkeit leiden müssten und überhaupt, ihnen ein einigermaßen gelungenes Leben zu führen nicht möglich ist. Entsprechend gibt es eine Rangordnung und ein Einvernehmen unter den Mehrheitsfrauen, wonach diese Bemitleidenswerten nicht ganz ernst genommen werden müssen – egal, was immer sie sonst tun. Glück als das Ausleben individueller Sehnsüchte muss zwar nicht mit jeder Partnerschaft einhergehen, aber Glück ohne Partnerschaft scheint definitiv ausgeschlossen zu sein. Von dort bis zu der Maxime, dass eine unglückliche Beziehung besser ist als gar keine und jede Form von sozialer Ungeselligkeit eine Katastrophe darstellt, ist es dann nicht mehr weit.

Das Krimigenre hat im Hinblick auf Entwicklung und Veränderung von Rollenmodellen einige besonders exemplarische Wandlungen durchlaufen. Die einsamen Wölfe früherer Jahrzehnte sind massenhaft dem Rollenexodus zum Opfer gefallen. Kernige Typen wie Rockford, Mannix, Kojak, Magnum & Co., die den Dreck der Gesellschaft beseitigten und für Gerechtigkeit sorgten, waren nicht selten Zyniker aber auch Sozialromantiker, die das mythisch Unverzichtbare der gesellschaftlichen Ordnung verteidigten und den braven Bürgern ihren nächtlich ungestörten Schlaf sichern wollten. Sie selber schliefen nicht und benötigten deshalb auch keine Partnerin für die Nacht.Man schenke ihnen einen Augenblick Nostalgie. Ihr Hauptmerkmal blieb bis in die Achtziger Jahre hinein, dass sie erotisch höchst attraktive Männer waren, dem Publikum aber eine Askese vor Augen führten, die daraus entstand, dass sie sich nicht als Teil des Establishments sahen, das sie zu schützen versuchten. Dass all diese tollen Typen an einer ausgemachten Sozial- und Kontaktphobie litten, mutet im Nachhinein vielleicht etwas albern an, bildete aber Teil eines fiktionalen Konsenses jener Zeit und störte niemanden. Gab es überhaupt so etwas wie Privatleben für diese sozialen Vagabunden, dann als kurzer Eskapismus des comic relief oder als Katastrophe. Muster: Ermittler oder Detektiv verliebt sich in eine Schöne, die prompt noch in der gleichen Folge durch einen Verbrecher ermordet wird, der damit natürlich den Ermittler treffen wollte (entweder wörtlich oder im übertragenen Sinne), und deshalb umso verbissener zur Strecke gebracht werden muss. Ein emotional bewegender Showdown war jedes Mal vorprogrammiert. Generationen von Zuschauerinnen und Zuschauern haben sich daran ergötzt. Es hieß immer die weiblichen Fans wollten keine verheirateten Helden, um eigene Liebessehnsüchte besser auf und in die Helden hinein projizieren zu können und die erotische Identifikation zu erleichtern. Zwischendurch gab es auch mal eine Honey West oder Emma Peel (letztere für den britischen Geheimdienst tätig), die als kühl erotische Amazonen auf einem sakralen Weiblichkeitspodest standen und mittels einer frühen Kombination von Schönheit, Intelligenz und Karate-Kraft eine Art „männermordender“ Unabhängigkeit und Unerreichbarkeit zur Schau trugen. Allein Emmas Popularität war so groß, dass ihr bis dato im Deutschen eher etwas plumper Namensklang jetzt eine anderslautende Botschaft entwickelte, die in einem bis heute aktiven Magazin ihren Niederschlag fand.

Nach den einsamen Wölfen kamen zunächst die tough-taffen Frauen ins Spiel, die zwar die männlichen Wölfe im Prinzip nur kopierten, anders als diese jedoch erstmals ihr kinder- und beziehungsloses Dasein als Makel erkannten und dies zu einem Krisensymptom verdichteten. In dieser Zeit traten auch vereinzelte Typen des Ermittlers mit gesteigertem Hang zur Promiskuität und zum prallen Leben auf, eine Rolle, die nur wenige Schauspieler gut zu meistern verstanden bzw. gegenwärtig verstehen, vermutlich weil sie moralisch nicht ganz konsensfähig ist und dies heute eher mehr als weniger stört. Für die Rezeption gilt ohnehin der Grundsatz, dass viele Gespielinnen sich neutralisieren, es schließt eine Bindung aus. Nach dieser Zwischenphase brach dann endlich das goldene Zeitalter der geschiedenen, alleinerziehenden Mütter und Väter im Polizeiberuf an. Beinhart waren diese fortan nur noch dienstlich, privat wurde jetzt die fürsorgliche Seite gegenüber halbwüchsigen, teils pubertierenden Kindern gezeigt, die zumeist schon recht selbständig waren. Töchter wurden bevorzugt, da deren Verhaltensrepertoire anscheinend mehr Gestaltung und Variation ermöglichte als das von Söhnen. Einen festen Partner hatten die Ermittler beiderlei Geschlechts zwar immer noch nicht aber doch zumindest in der Vergangenheit gehabt. Das Zölibat wurde gelockert und gelegentliche Affären erlaubt; das dabei produzierte Gefühlschaos hielt sich jedoch in überschaubaren Grenzen. Allzuviel Junggesellentum begann jetzt misanthropisch zu wirken oder warf gar die Frage nach versteckter Homoerotik auf. Es passte einfach nicht mehr in die Zeit, dass all diese beruflichen Kämpfer und Draufgänger auf Beischlaf verzichteten und sich in romantisch asexueller Verklärung isolierten. Der einsame Wolf begann langsam aber sicher auszusterben, bis auf ein paar geschützte Exemplare, die aber in einem Ermittlerduo oder im Team mit einem Partner kombiniert wurden, der ein soziales Gegenbild verkörperte, wodurch sich eine unverdächtige Ersatz-Zweierbeziehung unter langjährigen Berufskumpels herstellte. Mit der Freiheit und sozialen Losgelöstheit war es damit endgültig vorbei. Handlungsstränge um private Bindungen, die früher gestört hätten, durften jetzt nicht mehr fehlen, wollte man das inzwischen umgewöhnte Publikum bei Laune halten. Schaut man sich heute die letzten einsamen Wölfe etwa im heimischen Tatort an, so ist das leicht anachronistische Element in der Figurenzeichnung nicht mehr zu übersehen, auch wenn einige der ergrauten „Pärchen“ sich erstaunlich gut halten und geradezu als Stabilitätsanker der Reihe dienen. Im Umgang mit dem anderen Geschlecht gilt allerdings unbeirrt das Grundmuster: Sobald der Wolf sich einer Frau nähert, klingelt das Telefon …

Inzwischen hat sich die Szene wieder gewandelt und zuverlässig spiegelt das Seriengenre wider, was die Gesellschaft gerade nicht oder noch nicht ausreichend hervorgebracht hat: Das Rollenmodell der modernen Powerfrau, die als alleinstehende Mutter und Kommissarin mit Kleinkind unterwegs ist und den Spagat zwischen privater Fürsorglichkeit und dienstlichen Bestleistungen vollbringt. Stichwort: Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die möglichst locker unkonventionelle Bewältigung von Betreuungsproblemen. Als Zukunftsmodell hat inzwischen sogar eine Gruppe sehr junger Girlie-Ermittlerinnen den Schauplatz Tatort betreten, die einerseits jugendliches Flair, Flippigkeit und unkompliziertes Lebensgefühl verkörpern sollen, zum anderen mit einem forcierten Maß an Ehrgeiz, Perfektionismus und Pflichtbewusstsein daher kommen, was fiktional nicht immer gut zusammengeht. Zieht man eine Verbindungslinie zwischen ihnen und den Emma Peel-Ikonen von gestern, fällt an den Neuzugängen trotz mancher Extratour, die sie sich leisten, vor allem die Aura von Bravheit auf, ein Mangel an Spritzigkeit und Leichtgängigkeit, da sie einfach zu offensichtlich im gesellschaftlichen Propaganda-Auftrag unterwegs sind.Dem Feminismus der Selbstverwirklichung soll in Gestalt dieser Jüngsten im Krimigeschäft endlich und endgültig ade gesagt werden, non-konform ist höchstens noch ihr Arbeitseifer. Was die fiktionalen TV-Krimifrauen ganz generell angeht, zeichnen sie sich allzu häufig und nicht wirklich zu ihrem Vorteil durch die Neigung aus, moralische Verachtung gegenüber Delinquenten und Antagonisten verbal und mimisch wie Gift auszuspeien und dadurch Vereindeutigungen der sozialen Welt vorzunehmen, die herzustellen oder nicht noch immer die schönste Aufgabe des Zuschauers wäre. Zuschauerinnen, die einer Generation angehören, in der die Selbstentfaltung von Frauen – mag man solchen „Egoismus“ nun als Absage an Altruismus oder an Masochismus werten – weniger beschönigend verbrämt einzuhegen versucht wurde, werden möglicherweise eine geheime Erleichterung verspüren, dass sie trotz mancher Reibungsverluste in der eigenen Biographie in der angenehmeren Ära gelebt haben. Die Zeit der großen Wahlfreiheit hat historisch gesehen für die nachrückenden Frauengenerationen gerade erst begonnen, doch scheint die Ausbeute an neuen Rollenbildern unterm Strich einen Typ der Strebsamen zu begünstigen, die vieles können soll, nur nicht die gefährliche Lust am Unorthodoxen, am Brechen des Kanons im wahren Leben zu verbreiten und am mal fünf gerade sein lassen schon gar nicht. Aber das will ja auch niemand mehr. Effi Briest im Auftreten und Mathilde Möhring im Geiste. Auch aus dem Umstand, dass der eingangs zitierte Roman einen solchen Widerhall fand, kann man nur diese Schlussfolgerung ziehen. Der einsame Wolf ist tot. Es lebe der Schwarm.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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