Die Beute (10) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Ribanna Rubens erhält ein Angebot und wird wieder zu einem Gespräch mit Dr. M. gerufen. Auch diesmal geht es um ihren Job … 10. Dunkle Wolken

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Von den beiden geschäftsführenden Gesellschaftern von Jupp ist Dr. M. zweifellos der prominentere; auch tritt er häufiger in Erscheinung, ist für Reden und öffentliche Anlässe zuständig und stärker als sein Kompagnon im Bewusstsein der Mitarbeiter vorhanden. Er ist derjenige, der stets mit einer Mischung aus Furcht und Verehrung zitiert wird:

Passen Sie bloß auf, dass Doktor das nicht hört ...

Wenn Doktor das erfährt, dann ist hier der Bär los ...

Dem wird Doktor schon Beine machen ...

Ich möchte nicht Ihretwegen bei Doktor antanzen müssen,

hieß es allenthalben und ein wohliges Gruseln vor den Launen des fast Allmächtigen schien die jeweiligen Sprecher zu durchlaufen. Wenn ich je die deutsche Untertanenseele hab' leuchten sehen, die Sehnsucht nach einem höheren Wesen aufzuschauen, dann in diesem Büro. Jeder bei Jupp wusste, dass die Personalpolitik nicht nur Dr. M.'s spezielle Domäne sondern auch so etwas wie sein Steckenpferd bildete, und nach kurzer Zeit wussten wir es auch. Wann immer er mir auf Fluren und Gängen begegnete, grüßte er nicht nur freundlich sondern er wusste sogar meinen Namen und sprach ihn mit einem Kopfnicken aus: Guten Morgen, Frau Rubens.

Und auch wenn wir jetzt ein Unternehmen von 350 Mitarbeitern sind und Dr. M sicher kein Chef zum Anfassen ist, war ihm doch das kleinste Rädchen im Getriebe wichtig genug, um sich jede Entscheidung vorzubehalten, so dass Frau Henriette Z, die Leiterin der Personalabteilung, im Wesentlichen nur als ausübendes Organ seine Anordnungen befolgte.

In den Firmen, in denen ich früher gearbeitet habe, wäre niemand an der Spitze auf die Idee gekommen, sich ganz persönlich mit den Angelegenheiten einer kleinen Angestellten zu beschäftigen, sondern man hätte diese Dinge auf Abteilungsebene belassen.

So fing es auch bei uns an, aber nur scheinbar, und zwar fing alles damit an, dass mein neuer Abteilungsleiter, Herr Wim S., mich plötzlich zu sich rief und mir sagte, die Auftragslage bei Jupp sei sehr gut und deshalb werde in Kürze bei ihnen eine zusätzliche halbe Kraft für die Auftragsbearbeitung benötigt.

Diese halbe Stelle hat Dr. M. bereits bewilligt. Und da ich ohnehin demnächst bei ihnen mitarbeiten soll, ob ich einverstanden wäre, gleich jetzt mit der Hälfte meiner Arbeitszeit bei ihnen einzusteigen und mich schrittweise bei Jupp einzuarbeiten?

Ich bin fast zu Tode erschrocken und fühle mich sofort schuldbewusst, weil ich die Aussicht nichts weniger als verlockend finde. Tatsächlich graust es mir davor, die gleiche Arbeit, die in technischer Hinsicht eh viel zu schwierig für mich ist, auch noch für eine zweite Firma mit einem anderen Maschinenprogramm zu übernehmen und obendrein in einem Hickhack von ungeklärten Zuständigkeiten hin- und hergerissen zu werden.

Aber sollte das nicht erst in ein paar Jahren der Fall sein, wende ich ein.

Das ist jetzt überholt, antwortet er.

Ein kleines Bleigewicht senkt sich auf meine Brust. Ich verspüre nicht die allergeringste Lust mich so hoppla hopp auf weitere Veränderungen meiner Tätigkeit einzulassen, jedenfalls nicht in dieser Abteilung, aber das kann ich meinem Chef nicht gut so direkt sagen.

Also frage ich vorsichtig, was passiert, wenn ich mich dazu noch nicht in der Lage sehe, schließlich ist es eine ganz neue Materie für mich, noch bin ich nicht ausreichend eingearbeitet und auch so mit Arbeit eingedeckt.

Er gibt sich verwundert und sagt, nichts passiert dann, was denn passieren solle, und wie froh sie doch sind mich zu haben, er schätze auch sehr meine Übersetzungen, auf die er gern zurückgreift. Es sei nur ein Vorschlag, mehr nicht. Außerdem hat man noch eine Reserve mit Nathalie, der ehemaligen Auszubildenden, deren befristeter Vertrag noch bis zum Jahresende läuft und den man ggf verlängern könne.

Dennoch, die Arbeit staue sich bereits, deshalb habe Dr. M. diese zusätzliche halbe Stelle in der Erwartung bewilligt, dass ich diese halbe Stelle ausfüllen soll, aber wenn nicht, werden sie eine andere Lösung suchen.

Ich bin erleichtert, dass er nicht insistiert und hoffe im Stillen, sie werden mich vergessen. Doch dem ist nicht so. Einige Zeit vergeht, dann will er erneut mit mir über diese Sache sprechen, und diesmal ist er schon etwas hartnäckiger:

Haben Sie es sich überlegt, fragt er mich, obwohl ich dachte, das Thema sei längst abgehakt.

Sein Ton ist jetzt suggestiv, er sagt, während er eine bekümmerte Miene aufsetzt, ich müsse auch sie verstehen, bevor man neue Einstellungen vornimmt, muss das vorhandene Potential ausgeschöpft werden.

Ich versuche zu erklären, dass der technische Umfang meiner Arbeit sehr hoch ist und die Aufgabenverteilung noch immer nicht ganz geklärt. Im Augenblick laufe es überwiegend so, dass sich Manni heraussucht was er bearbeiten will und den Rest an mich weitergibt. Wenn Kunden anriefen, wüsste ich daher oft nicht Bescheid. Ich wolle aber keine Hilfskraft sein sondern, wenn überhaupt, ein eigenständiges Sachgebiet bearbeiten.

So ist es mir ursprünglich zugesagt worden, so jedenfalls habe ich die Abmachung verstanden und so war es doch auch ursprünglich geplant oder etwa nicht?

Doch doch, beeilt sich Wim S. zu versichern. Manni helfe nur bei Bedarf bei der technischen Vorklärung und soll keine Vorgänge an sich ziehen. Andererseits macht es aber auch keinen Sinn, dass ich Zeit mit Dingen verliere, die Manni viel schneller erledigen kann.

Ich frage ihn, wie es denn praktisch aussehen würde, wenn ich für zwei Firmen gleichzeitig tätig bin. Wer darf mir alles Anweisungen geben, wer bestimmt, was ich arbeite, in welcher Reihenfolge usw.

Er lacht und sagt, Sie machen sich zuviel Gedanken, das alles regelt sich dann schon.

Ich kann nicht antworten, weil ich fürchte ihn sonst anzumachen, er solle nicht so einen Scheiß daher reden. Die Zuständigkeiten müssen doch geklärt sein, wo bin ich hier, und danach richten sich dann Einstufung und Bezahlung. Ich bin doch nicht der Laufbursche, der sich von Klaus und Manni herumscheuchen lässt.

Und außerdem - warum gerade ich? Himmel, es gibt wahrscheinlich Tausende, die sich alle Finger abschlecken würden nach dieser Stelle. Warum gerade ich? Seit Monaten kämpfe ich mich jetzt täglich durch endlose Details, durch Maße, Funktion und Besonderheiten von Wellen, Zahnrädern, Flanschen, Naben, Nocken, Ventilen, Scheiben, Schrauben, Muttern und und und. Ich kann so viele Dinge. Warum soll ich ausgerechnet das machen, wovon ich nicht wirklich etwas verstehe.

Immerhin beendet Wim S. das Gespräch, ohne eine konkrete Zusage zu verlangen.

Als er mich wieder zu sich ruft, ist klar, dass ich mich nicht länger zieren kann, will ich nicht meine Stelle riskieren, und innerlich seufzend ergebe ich mich in mein Schicksal. Wir einigen uns also so halb und halb darauf, dass ich ab dem neuen Jahr, wenn Nathalie ausgeschieden ist, schrittweise von Klaus in ihre Auftragsbearbeitung eingearbeitet werde.

Ich denke an Detlefs Bemerkung über mein Gehalt, und da ich hoffe, es springt wenigstens finanziell was dabei raus, frage ich ihn, ob er weiß, was ich jetzt verdiene und deute an, dass ich eine Anpassung erwarte.

Leider bin ich wie so viele Frauen bei Gehaltsforderungen immer noch viel zu schüchtern.

Er ist jedoch verlegener als ich und sagt, er hat davon gehört, sei damit aber nicht befasst, und man müsse das noch im Einzelnen besprechen.

Und was ist mit meinem Arbeitsvertrag, frage ich? Bleibt der bestehen, wird geändert oder bekomme ich einen neuen?

Nein, auch dazu kann er nichts sagen. Er weicht mir aus und sagt, auch damit ist er nicht befasst, doch werde sich alles rechtzeitig klären.

Ganz plötzlich, zwei drei Tage später, mitten im Nachmittag, erhielt ich einen Anruf von Iris, der Assistentin aus dem Chefsekretariat, die mir sagte, Dr. M. wolle mich sprechen.

Aha, dachte ich. Jetzt erfahre ich mein neues Gehalt.

Und wann?, fragte ich.

Am besten jetzt gleich, wenn's geht, antwortete sie.

Ich machte mich auf den Weg in den fünften Stock.

Diesmal sitze ich nicht im Besucherzimmer sondern in einem Clubsessel vor Dr. M.'s Schreibtisch. Er lächelt so freundlich wie immer als er mir sagt, dass er nicht versteht, wieso ich erst Anfang des neuen Jahres meine neuen Aufgaben übernehmen will, so lange könne man nicht warten, und es sei notwendig schon in Kürze, spätestens zum 1. Oktober damit zu beginnen.

Ich habe den Eindruck, Sie wollen nicht und versuchen die Sache auf die lange Bank zu schieben, fügt er hinzu.

Ich bin verblüfft, weil ich mich doch mit Wim S. schon geeinigt habe, aber davon will er nichts wissen, wehrt ab, als ich zu protestieren beginne.

Es seien noch andere Personalmaßnahmen geplant, erläutert er in durchaus wohlwollender Manier, möglicherweise wird eine weitere Mitarbeiterin unserer Abteilung demnächst ausscheiden. Deshalb wollen sie Nägel mit Köpfen machen, nicht dieses hibbelige Hin und Her.

Kacke, denke ich. Der hat gut reden. Ich bin doch keine Schachfigur, die einfach hin- und hergeschoben wird. Das ist dann mein drittes Aufgabengebiet innerhalb von anderthalb Jahren. Weiß er eigentlich, was für eine Strapaze dieser technische Kram für mich ist. Ich kann Bücher lesen, aber wann hätte ich je behauptet, dass ich „Zeichnungen lesen“ kann. Und dieses ganze Chaos …

Da ich vorher nicht wusste was er wollte und keine Argumente vorbereiten konnte, bin ich etwas aus dem Gleichgewicht und weiß nicht allzuviel zu sagen. Eigentlich wundere ich mich nur, warum das alles so wichtig ist, warum er so grundsätzlich ist, warum man mich unbedingt zwingen will, als müsse nur jemand mit dem Finger schnippen, um die Puppen zum Tanzen zu bringen.

Wie in unserem ersten Interview beginnt er über den Zustand der Firma zu sprechen. Er sagt, dass die Sanierung noch sehr lange dauern wird, weil sie erst allmählich das ganze Ausmaß der Probleme erkennen. Die Kostenstruktur müsse entscheidend verbessert werden, wir wären noch lange nicht über den Berg, auch jetzt kann noch jederzeit das Aus kommen.

Und was Ihr Gehalt angeht, erwähnt er am Ende wie nebenbei, das muss neu festgelegt werden. Den genauen Betrag kann er mir zwar im Augenblick nicht nennen, aber wir würden uns sicher einig werden.

Er lächelt so zuversichtlich, als könne ich mir einer großzügigen Regelung sicher sein. Oder ist es das Grinsen des Wolfes, der ein Lämmchen verspeisen will?

Ich weiß noch immer nicht, was ich Passendes sagen soll, um meine Vorbehalte zu erklären. Andere küssen ihm die Füße, wenn er ihnen ein Angebot macht und ich ziehe ein düsteres Gesicht. Also stammle ich etwas von einem Durcheinander, in dem sich niemand mehr zurechtfinde und es sei absehbar, dass am Ende alles an mir hängenbleiben würde …

Da er meine Verwirrung und Unschlüssigkeit bemerkt, gibt er sich jovial und sagt fast ein wenig gönnerhaft, er gehe jetzt in Urlaub und ich soll inzwischen alles noch einmal in Ruhe überdenken. Bis er zurück ist in drei Wochen, muss ich mich entschieden haben.

Es liegt in Ihrem Interesse, erklärt er in abschließendem Ton, und ich schnelle hastiger als nötig in die Höhe.

Auch er erhebt sich gemächlich. Auf Ihre alte Stelle können Sie leider nicht zurück, das ist leider ausgeschlossen, fährt er fort und mir ist, als hörte ich eine Mahnung heraus ...

Wahrscheinlich war in diesem Moment die letzte Gelegenheit einfach Ja und Amen zu sagen und alles wäre in wunderbarer Ordnung gewesen, wenn ich einfach Ja und Amen gesagt oder wenigstens ein bisschen Begeisterung gezeigt und beteuert hätte, wie sehr ich mich freue demnächst für Jupp arbeiten zu dürfen. Aber das tat ich nicht. Ich entstamme einer Generation, die vielen Frauen eine besondere Aversion gegen autoritäres Verhalten eingepflanzt hat, es löst in uns Trotz und eine Art reflexartigen Widerspruchsgeist aus, der manchmal völlig unberechenbar ist und sich gegen jede Vernunft durchsetzt.

Ich hatte dann eine Weile wirklich Angst oder war jedenfalls beunruhigt, was auf mich zukommen würde, aber erstaunlicherweise hörte ich danach nichts mehr von einer neuen Aufgabenverteilung, nicht von Dr. M., nicht von Wim S. und nicht von Klaus H., und es wäre auch schlecht möglich gewesen, weil ich inzwischen mit unseren eigenen Geschäften völlig in Anspruch genommen war. Und da ich nicht wusste, ob ich selber vorstellig werden sollte oder sie an mich herantreten würden, tat ich gar nichts sondern machte einfach meine Arbeit weiter. Einige Wochen später sprach sich herum, dass Nathalie überraschend einen Festvertrag bekommen hatte und voraussichtlich dauerhaft in unserer Abteilung bleiben sollte. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. Tagelang tobte sie durch die Räume und erzählte jedem, wie absolut happy sie wäre.

Endlich keine Bewerbungen mehr schreiben und eine neue Wohnung mit meinem Freund, frohlockte sie.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Gottseidank, dachte ich, ich bin aus dem Schneider. Nur meine Gehaltsanpassung ist endgültig futsch, die werde ich nicht mehr durchsetzen können, schade um das schöne Geld, aber was soll's, wenigstens lassen sie mich in Ruhe …

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden