Die Beute (2) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Nach dem Verkauf der Firma sorgt sich Ribanna Rubens um ihren Job. Wird sie übernommen? Ein Interview mit Dr. M soll Klarheit bringen. 2. Das erste Interview

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Eine Woche später, am Donnerstag, fand mein erstes Interview mit Dr. M. statt, bei dem es um meine Weiterbeschäftigung gehen sollte. Eigentlich war ich schon für Mittwoch einbestellt worden, hatte diesen Termin aber unfreiwillig, wegen einer Übermittlungspanne verpasst. Als mich Iris, die Assistentin aus Dr. M.'s Sekretariat am Mittwochnachmittag anrief um zu fragen, wo ich denn bleibe, ihr Chef warte schon auf mich, war ich ziemlich entsetzt bei dem Gedanken, ausgerechnet den allmächtigen Dr. M. versetzt zu haben.

Ich erwiderte, ich wisse nichts von einem Termin.

Das Missverständnis ließ sich nie ganz aufklären. Iris sagte, sie habe die Nachricht telefonisch ausrichten lassen, erinnere sich aber nicht mehr von wem.

Am häufigsten telefonierte sie in dieser Zeit mit Gunnar P. Schon möglich, dass dieser im Trubel der ersten Tage die Weiterleitung vergaß.

Jedenfalls reiste ich am Donnerstag mit der Bahn an, ganz beklommen und voller Sorge vor den großen und kleinen Ungeschicklichkeiten, die uns Alltagsmenschen bei derartig wichtigen Anlässen unterlaufen.

Das Jupp-Imperium ist ein weitläufiger, modern wirkender Gebäudekomplex, etwa 20 Gehminuten vom Zentrum der Kleinstadt entfernt in einer von Äckern und Wiesen umgebenen Gewerbeansiedlung gelegen. Gleich seitlich der Haupteinfahrt liegt der Verwaltungstrakt, in dem mein Termin stattfindet, ein in hellblau gehaltener und mit viel Glas und breiten Fenstern durchsetzter, wegen seiner achteckigen Form fast rundlich wirkender Bau, der noch ziemlich neu aussah und einen wirklich einladenden Eindruck machte.

Iris, eine elegante Blondine im Hosenanzug, die Kunstgeschichte studiert hat, wie sie mir später einmal erzählte - holte mich am Empfang ab und wir fuhren gemeinsam in den fünften Stock hinauf.

Die Chefetage, die zu betreten so vielen Leuten Herzklopfen verursacht.

Ich folgte ihr in ein geräumiges Besucherzimmer, dessen lange Glasseite auf einen kleinen, malerisch schimmernden Löschteich mit einigen Seerosenblättern hinausblickte, Iris rückte mir das Tablett mit den Saftfläschchen zurecht und bat mich zu warten.

Alles atmete die Atmosphäre eines gut organisierten, florierenden Industrieunternehmens, dessen Ausstattung verglichen mit dem leicht angestaubten Geruch, den unser eigener Betrieb mit seinen in allen Winkeln und Ecken gegenwärtigen Spuren von Verwahrlosung verströmte, eine fast hygienische Ausstrahlung besaß.

Dr. M., den ich noch nicht kannte, erschien denn auch sogleich, ein freundlicher Mann um die 50 mit bäuerlich breitem Gesicht und roten Wangen, der einen sandfarbenen Trachtenanzug trug.

Er eröffnete das Gespräch mit der Bemerkung, dass unser früherer Geschäftsführer, Herr Marius K., eine Pfeife gewesen sei und auch Herr Sebastian M., mein ehemaliger Chef, wäre eine echte Pfeife gewesen.

Ich verzog keine Miene, saß mit übergeschlagenen Beinen da und lächelte von Zeit zu Zeit höflich, wie sich dies für eine gute Angestellte gehört.

Als nächstes berichtete er ausführlich darüber, dass er aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war, gleich nach seinem Amtsantritt als Geschäftsführer vor sechs oder sieben Jahren, worauf er sich offenbar einiges zugute tat und mit Hinweisen auf seine Zufriedenheit über diesen Schritt nicht sparte.

Wer braucht denn sowas heute noch - dieses ganze Verbandsmeierei, nein nein nein. Besser man ist unabhängig und trifft seine eigenen Entscheidungen …

Auch dass er sich nicht gern durch Gewerkschaft und Tarifrecht behindert sah, die er beide für völlig überflüssig hielt, ließ er in wohlgesetzt lästernden Worten immer wieder durchblicken.

Diese ganzen Auswüchse - das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Ich lasse mir von solchen Bremsern nicht vorschreiben, wie ich meinen Betrieb zu führen habe …

Er wirkte entspannt und gelöst, plauderte mehr als er mir Fragen stellte, und nachdem ihm Iris sein Kännchen Nachmittagstee gebracht hatte, während ich weiter an meinem Mineralwasser nippte, begann er über den Zustand unserer Firma zu sprechen:

Man habe gehofft, Herrn K. mit ins Boot zu nehmen, ihn in das Sanierungskonzept einzubeziehen, aber dies hätte sich leider zerschlagen.

Nach der vorausgegangenen Schmähung war ich einigermaßen überrascht zu hören, dass man also doch erwogen hatte, den früheren Geschäftsführer im Unternehmen zu halten, diese Idee dann aber nachträglich verwarf. Durchaus möglich auch, dass die Absage von Marius K. selber ausging, da nur wenige Wochen nach seinem Abgang bekannt wurde, er habe sich mit einer eigenen Unternehmensberatung erneut selbständig gemacht, was unter den ehemaligen Mitarbeitern Hohn und Belustigung auslöste.

Dr. M. hatte zwischenzeitlich in Weiterverfolgung seiner Betrachtungen unseren übergewichtigen Ingenieur Paul ins Visier genommen, dessen lasche Körperhaltung ihm missfiel.

Dieses Herumlümmeln mit herausgestrecktem Bauch beobachte er schon seit einiger Zeit, monierte er mit gerunzelter Stirn. Und deshalb werde er Paul rausschmeißen, sollte er noch einmal sehen, wie dieser Mann mit seinem dicken Bauch auf seinem Stuhl mehr hänge als sitze - jawohl, dann schmeiß' ich ihn raus, dann schmeiß' ich ihn endgültig raus, schlussfolgerte er, worauf er gleich mehrfach zurückkam.

Es schien ihm eine gewisse Lust zu bereiten, das Wort „rausschmeißen“ des öfteren zu verwenden und dessen Klang im Raum vibrieren zu lassen. Ich nehme an, er wollte mir zu verstehen geben, dass er jeden rausschmeißen könne, auch mich natürlich, und dies schien für ihn der Inbegriff von Macht zu sein.

Ich dachte, ich sollte vielleicht auch etwas sagen, um mich auf der Höhe der Zeit zu zeigen, und warf deshalb an einer passenden Stelle eine Bemerkung über den fehlenden Wissenstransfer in unserer Firma und eine daraus entstandene Zurufmentalität ein. Zwar habe ich nicht Betriebswirtschaft aber immerhin Kommunikationswissenschaft studiert und schaue auf einige Jahre Berufserfahrung zurück.

Er nahm dieses Zeichen meiner Kundigkeit denn auch ganz begeistert auf und pflichtete mir fast überschwänglich bei.

Schließlich begann er beiläufig zu begründen, warum Eva und ich unsere Stelle verloren hatten.

Man müsse verstehen, sagte er, dass Gunnar P. nach all dem, was er in unserer Firma erlebt hätte, wie man ihn dort behandelt hätte, dass er nach all dem diesen ganzen Klüngel von Herrn Marius K. nicht mehr sehen könne, all diese Leute, die zum Anhang von Herrn K. und natürlich auch von Herrn M., meinem Chef, gehört hätten, nicht mehr um sich haben wolle. Dies gelte auch für Eva, die, wie ich vielleicht wisse, eine Kusine von Greta K. sei.

Ich verzichtete darauf hinzuweisen, dass ich erst nach dem Ausscheiden von Gunnar P. dort zu arbeiten angefangen hatte und zu keinem Klüngel gehörte. Ich sagte, dass Eva eine sehr loyale Person gewesen sei und Angestellte sich ihren Vorgesetzen nicht immer aussuchen können.

Dr. M. trank einen Schluck Tee, ohne dies weiter zu kommentieren.

Von Detlef wusste ich bereits, dass Löhne und Gehälter für eine noch unbestimmte Phase der Sanierung eingefroren werden würden. Ich dachte mit einigem Zorn daran zurück, wie mich Sebastian M. bei der Einstellung in einen Stufenplan hineingeschwatzt hatte, der erst nach Ablauf von weiteren zwei Jahren zu meinem vollen Tarifgehalt führen sollte - ein Schema, in dem ich jetzt steckenblieb. Während der Fahrt hatte ich mich noch mutig genug gefühlt, wenigstens teilweise die Einhaltung der vereinbarten Anpassung zu verlangen, die auch im Arbeitsvertrag schriftlich festgelegt war, hielt es dann aber doch für besser, keine schlafenden Hunde zu wecken, und es wäre wohl auch aussichtslos gewesen.

Obwohl wir Anfang Januar schrieben, begann Dr. M. über das nächste Weihnachtsgeld zu sprechen, das er in einen Umsatzbonus zu verwandeln gedachte, eine bei Jupp längst erfolgreiche Praxis, wie er nicht ohne Stolz versicherte.

Falls es überhaupt je wieder irgendwelche Gratifikationen geben sollte, betonte er, da dies laut dem mit dem Betriebsrat geschlossenen Sanierungsvertrag von der Ertragslage abhängig wäre, und die werde - er schien sich da ziemlich sicher zu sein - wahrscheinlich noch auf Jahre hinaus zu wünschen übrig lassen.

Es lag ihm sichtlich daran zu vermitteln, dass nunmehr ein anderer Wind wehte und wir uns darauf einzustellen hätten, dass die verwöhnten Zeiten für immer vorbei waren, wobei ich selber in der kurzen Spanne, die ich in der Firma verbrachte, ganz gewiss nicht verwöhnt worden war. Aber so denkt wahrscheinlich jeder.

Jedenfalls schien Dr. M. wie beflügelt von dem Verlangen zu sein, seine circa 50 neuen Mitarbeiter und mich von ihrem hohem Ross herunterzuholen, und ich begann zu argwöhnen, dies sei nicht nur ein Charakterzug von ihm sondern gehe auf das Konto von Marius K., weil dieser Arsch vermutlich kein gutes Haar an der früheren Belegschaft gelassen hatte.

Das Gespräch neigte sich jetzt merklich dem Ende entgegen. Dr. M. gab sich rundherum wohlwollend, ließ noch einfließen, man werde Verbesserungsvorschläge soweit möglich berücksichtigen, falls ich welche machen wolle, und stellte schließlich, schon beim verabschiedenden Händeschütteln angelangt, eine letzte Frage:.

Ob ich denn in der Gewerkschaft wäre?

Als ich antwortete, ich sei Mitglied einer Partei, obwohl ich natürlich wusste, dass ich zu solchen Auskünften nicht verpflichtet bin, bemerkte er nur nachsichtig lächelnd, er hoffe es sei die richtige, ansonsten solle ich am besten austreten.

Dann war ich aus dem Gespräch entlassen, und obwohl er nicht mit einem einzigen Wort meine Weiterbeschäftigung erwähnte, ging ich davon aus, dass ich in diesem Augenblick übernommen worden war, und so war es auch.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

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Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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