wolkig/sonnig/nass

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Glyndebourne ist das berühmteste britische Ereignis im Freien, neben Ascott und Wimbledon, aber das traditionsreiche Opernfestival ist längst nicht das einzige Open-Air-Event auf der Insel. Es gibt ein Musikfestival in Schloss und Park Alnwick, wo der Herzog von Northumberland immer noch wohnt, gleich mehrere Festivals toben in Edinburgh, das Globe in London spielt ständig ohne schützendes Dach für das stehende Publikum, diverse Reisetheater zeigen ihre Inszenierungen in Innenhöfen und Burgruinen, und das ist längst nicht alles.

Die tausendjährige Klosterruine Tynemouth in meiner Nachbarschaft an der Nordsee bot den wildromantischen Hintergrund für Shakespeares Spätwerk The Tempest. Im Sturm standen wir dann auch, während Prospero magische Texte aufsagte und aus unklarem Grund auf Rache an den uneinsichtigen Bösen verzichtete. Luftgeist Ariel sang ein bisschen unmotiviert und ein bisschen zu häufig, aber wie das alles aussah, vor den wilden Wellen und dem alten Gemäuer, zwischen den Gräbern in der aufkommenden Dämmerung und im geheimnisvollen Licht, das war hinreißend. Nur ein wenig zu kühl. Immerhin blieb es trocken. Bei Regen hätten sie auch gespielt. Nur bei wirklich schlechtem Wetter wären sie ins Zelt gegangen. Sonst hält man hier durch. Denn es ist so, wie die Legende behauptet, Briten sind wetterhart und wetterbesessen. Deshalb muss gerade hier die Dichte der Open-Air-Aufführungen im Sommer höher sein als sonst auf der Welt. Hier beweist man gern: Es ist Sommer. Und ja, auch wir haben Anteil daran. Dafür werden Picknicks veranstaltet, sind Barbecues Pflicht, schafft man sich mit der Zeit die entsprechende Garderobe an, wasserabweisend. Aber vielleicht regnet es hier gar nicht öfter als in Berlin? Es wird auf jeden Fall viel öfter davon gesprochen, wie wolkig/sonnig/nass es draußen gerade ist. Jedes Gespräch braucht dieses Element. Kein Gesprächspartner, wie vertraut er einem auch sein mag, wie viel es auch sonst noch zu bereden gibt, verzichtet darauf. Nach einigen feuchten Tagen sagt jeder, den man trifft: Nein, so schlimm ist es sonst nicht. Diesmal ist es ganz besonders nass.

Gestern erklärte John, mein freundlicher Nachbar, nach einem Gespräch über Schornsteinreparatur und die Telefonnummer des Dachdeckers, das Wetter ändere sich offensichtlich mit den Jahren. Früher sei es hier im Norden der Insel sonniger, aber kälter gewesen. Jetzt dagegen wärmer, aber öfter mal trübe. Eigentlich könnten nur die Russen daran schuld sein, die seien es ja irgendwie immer gewesen. Aber das mit dem Wetter, das hatte er ernst gemeint. Fachleute sind bei diesem Thema hier alle. Nirgendwo dauert der Wetterbericht im Fernsehen so lange, nirgendwo wird so schnell schon der nächste gesendet. Der Independent titelt auf Seite 1: "Sonne kommt! Britain wirft das Handtuch!" Es ist eine Leidenschaft. Man muss sie teilen, wenn man hier ist.

Am letzten Sonntag spielte schon wieder eine Truppe Shakespeare: Sommernachtstraum im Park. Das Publikum brachte Klappstühle mit, und dann zeigten sich die Profis: Picknick-Körbe wurden ausgepackt, Windlichter, Laternen und Tische mit Tischdecken. Es gab Huhn und Kuchen, die traditionellen Scones mit dicker Cream, sogar Champagner sprudelte. Noch vor Beginn der Vorstellung zog man Pullover über schulterfreie Tops, mit der Dunkelheit folgten warme Jacken, in der letzten halben Stunde fror ich trotzdem erbärmlich und wünschte nur noch, die Handwerker in Shakespeares Komödie würden zum Ende kommen. Das Publikum amüsierte sich köstlich. Nur ich muss mich offenbar noch abhärten.

Erstmal habe ich begonnen, mir täglich im Kalender zu notieren, wie das Wetter ist. So werde ich eines Tages wissen, ob es hier wirklich öfter regnet als in Berlin. Jedenfalls öfter als in Marokko, das ist sicher.

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