In Papas Bücherschrank

AfD Der Ex-„Bild“-Journalist Nicolaus Fest tritt bei der „Alternative für Deutschland“ ein. Wird sie dadurch noch radikaler? Ein Kommentar von Claus Leggewie
Ausgabe 41/2016

Nicolaus Fest hat auf der Suche nach einer schönen Pointe mal geschwind nach #Freiheit-Zitaten gegoogelt und ist – oder war es in Papas Bücherschrank? – auf Ludwig Börne gestoßen, den jüdischen Vormärz-Publizisten, der Deutschland ins Pariser Exil verlassen musste: „Die Verteidigung der Freiheit braucht nicht nur Geist, sondern auch Mut.“ Platzieren konnte Fest die falsche, aus dem Kontext gerissene Analogie anlässlich einer Pressekonferenz, auf der die „Alternative für Deutschland“ einen Neuzugang aus der intellektuellen Welt präsentieren wollte. Die Gerüchteküche hatte schon länger gebrodelt und mit dem Journalisten Nicolaus Fest nur einen B-Prominenten ausgeworfen, der seit zwei Jahren Sottisen bloggt, für die auch die Bild-Zeitung keine Verwendung mehr hat.

Da sich Tote nicht wehren können, muss man erst einmal Ludwig Börne gegen die dreiste Vereinnahmung für den „antifaschistischen“ Kampf einer Bewegung verteidigen, die dem realhistorischen Faschismus in Deutschland derzeit am nächsten kommt. Das Börne-Zitat bindet sich Nicolaus Fest als Banderole eines Dissidenten von heute um, in der perfiden Absicht, der von Ludwig Börne und anderen erstrittenen Religions- und Meinungsfreiheit den Garaus zu bereiten. Fest forderte auf der Pressekonferenz nämlich – neben dem sichtlich erschrockenen Berliner AfD-Frontmann Georg Padzerski –, sämtliche Moscheen in Deutschland müssten geschlossen werden. Zum Zeugen rief der windige Antifaschist seinen Großvater, den Zentrumspolitiker Johannes Fest heran, der im „Dritten Reich“ ein Berufsverbot erhalten hatte.

Eine totalitäre Ideologie?

Islamverbot, das klingt nun eher nach Donald Trump als nach der konservativen Geistesgröße, nach der die AfD seit langem giert. Bislang musste sich die Partei des in Panik geratenen Bürgertums und der frustrierten Arbeiterschaft mit Marc Jongen, dem Assistenten des Philosophen Peter Sloterdijk begnügen, der den Thymos (vulgo: Zorn) verbalrabiater Wutbürger zur staatsbürgerlichen Tugend adelte. Oder mit Titanen wie Wolfgang Gedeon, der die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion, die Urschrift aller Paranoiker und Kampfschrift aller Antisemiten, rehabilitieren will. Nach exakt diesem antisemitischen Muster werten Fest und Konsorten nunmehr den Islam pauschal als totalitäre Ideologie. Mit der „Haltet den Dieb!“-Methode will Donald Trump sich ins Weiße Haus stehlen, Marine Le Pen den Elysée-Palast ausplündern und Heinz-Christian Strache am Wiener Ballhausplatz einbrechen – und die Fest-AfD „mit absoluter Mehrheit“ in den Reichstag einziehen.

Eigentlich haben es sich „die“ Politiker, Professoren und Publizisten mit Pegida und AfD verdorben. Aber ein paar Eierköpfe kämen, da Björn Höcke und Alexander Gauland nicht ganz satisfaktionsfähig sind, als Aushängeschild für die gebildeten Schichten ganz gelegen. Denn die AfD und ihre intellektuellen Kaderschmieden wollen auch die geistig-moralische Wende erstreiten, nun weit radikaler als die Konservativen der 1980er Jahre wie Joachim Fest (der Vater von Nicolaus), der als Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dem Historiker Ernst Nolte die Tribüne für einen immer krasser werdenden Geschichtsrevisionismus bot.

Wie radikal? Seinerzeit sprach ich mit dem Publizisten Armin Mohler, dem Chronisten und Neuerfinder der „Konservativen Revolution“, über das Verhältnis von rechten Intellektuellen zu Tätern. Gegenüber Manfred Roeder, dem Sponsor rechten Terrors, habe er „oft ein schlechtes Gewissen gehabt, auch seine tollkühne Art bewundert, die er hatte“, sagte Mohler in einem Interview 1987. „Hätte ich ihn kennengelernt, wäre ich vor seiner Unbedingtheit aber sicher zurückgeschreckt. Ich mache mir nichts vor: Ich bin kein Tat-Mensch.“ Man könne „höchstens versuchen, geistig stramm zu sein“.

Geistiges Strammsein findet statt in einer Grauzone, in der man sich vom bloßen Reden verabschiedet und zur nicht bloß symbolischen radikalen Tat bereit macht. Zwanzig Jahre früher hatte sie Ulrike Meinhof nach dem Attentat auf Rudi Dutschke für sich abgeschritten: „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.“ Und sie orakelte noch, der Spaß habe aufgehört, bevor sie in den bewaffneten Untergrund entschwand.

Dort längst angekommen sind die Oktoberfest-Attentäter, der NSU und die Kleinzellen, die 2015/16 eine noch nie dagewesene Terrorwelle gegen Flüchtlinge, deren Unterstützer, Politiker und Journalisten losgetreten haben. Sie scheren sich nicht groß um intellektuelle Unterstützung. Dabei ziehen Rechtsintellektuelle in der „identitären Bewegung“ aus ihrer Sicht der aktuellen Lage den analogen Schluss, Protest reiche nicht mehr, es müsse Widerstand geleistet werden.

Sie berufen sich dabei gern (und fälschlich) auf Artikel 20 des Grundgesetzes: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Diese Situation der Notwehr sehen sie mit der massenhaften Aufnahme von Flüchtlingen aus arabisch-islamischen Ländern durch eine von ihnen als „Volksverräter“ gebrandmarkte Bundesregierung als gegeben an: Widerstand sei also gerechtfertigt, ja: gefordert.

Sich selbst empfehlen die selbsternannten Nachfolger der „Konservativen Revolution“ aus der europäischen Zwischenkriegszeit wie damals als gemäßigte Alternative zum nationalsozialistischen Kurs. Doch mit dem teilen sie den völkisch-autoritären Nationalismus und das Schreckgespenst der „Umvolkung“ sowie die pauschale Denunziation einer Religion, welche sie genau damit einer dumm-extremistischen Verkürzung durch Salafisten und Dschihadisten überlassen. Islamisten und Islamophobe hassen sich, aber sie sind ineinander verschlungen wie siamesische Zwillinge. Ausgerechnet Ludwig Börne für diese Operation heranzuziehen, ist abgrundtief dumm und unwürdig.

Claus Leggewie ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen und Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen. Zuletzt veröffentlichte er: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co. (edition suhrkamp)

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