Klugheit, die Tugend an der Grenze zum Laster

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Klugheit, die Tugend an der Grenze zum Laster

oder,

eine Acht, die sich auf die weise Sieben draufsetzt, wie der Teufel aufs Pferd

(Kleiner Beitrag zum österlichen Tugendprojekt des „der Freitag“, inszeniert von Maike Hank, „Die sieben Tugenden: Klugheit“)

Unter den sieben Tugenden nimmt die Klugheit eine gewisse Sonderstellung ein. Sie ist ein wenig der Außenseiter im Kanon. Denn, weder findet sie sich wörtlich im schmaleren Vorgänger, bei den vier Kardinaltugenden, Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit, noch konnte sie die christliche Religion dazu bringen, sich ihrer zu erbarmen und sie in den Kreis der guten Eigenschaften, Glaube, Liebe, Hoffnung aufzunehmen. - Dem Christentum mag man verzeihen, denn seine urchristlich-religiöse und revolutionäre Ausrichtung verträgt sich nicht mit dem Kalkül, das die Klugheit mit sich führt, um voraus zu schauen, eine Prognose mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit zu formulieren und genau danach zu handeln.

Glaubensgewissheit verträgt sich nicht mit der Spitzfindigkeit des offenen und flexiblen Ausgangs, den man als Kluger, wenn es menschlich ginge, über Jahrtausende im Blick haben sollte. So blieb bei St. Ambrosius der Katalog wie er platonisch war.

Die antiken Philosophen sprachen von Anbeginn an von der Weisheit, nicht von der Klugheit, und sie taten gut daran. Denn der offensichtliche Mangel der Klugheit, sie ist nicht sozial auf eine Um- und Mitwelt ausgerichtet, sondern bleibt reine Anlage und ausgebildete Fähigkeit eines Individuums, zum Guten, wie zum Schlechten, passt nicht recht zum Rest des allzu menschlichen Heptalogs.

Schon ein homerischer Held verkörpert das paradigmatisch. Odysseus der Kluge, muss erst noch weise werden und daher Dulder sein, bevor er in den Augen eposliebender Menschen, über die Jahrtausende hinweg, mehr menschliche Züge gewinnt, als jeder der erschlagenen Kraftmeier, Machtmenschen, Totschläger und Ehrpusseligen des Dramas vor Troja.

Dort verhilft Odysseus den Danaern durch einen klugen Trick zum Sieg. Aber die Geschäfte die er da geschickt voran trieb, mit nur zwei wesentlichen, persönlichen Gründen, „Ich will nach Hause! Ich will ein Ende!“, waren nicht weise, sondern das Anliegen der Mächtigen und Ehrhaften, die auf Wiederherstellung ihres Standes pochten und Rache wünschten. Das konnte letztlich nicht seine Sache bleiben.

Erst die Reise ohne erkennbares Ende, an die Grenzen der Welt, ins Liebes- und ins Totenreich, macht Odysseus zum Weisen, der auch nach Hause kommen kann, mit dem Segen der Götter.

Also, was ist die Klugheit, mit der kaum je jemand tugendhaft selig wird, wenn er mit ihr schläft und sie ihn bis in die tiefsten Träume verfolgt? - Eine nagende Natter ist sie, eine Schlange, die würgt und zugleich noch giftig beißt. Die Klugheit, ist das Pfeilgift unter den Tugenden. Schillernd, brilliant, ruhig und überlegt, tödlich gut im Urteil, exakt, wägend, nichts vergessend, detailverliebt und selbstvergessen, sogar immer um das glatte Gegenteil von allem wissend, schnell wirksam.

Nur gezähmt und besiegt von der Weisheit, schlägt Klugkeit als Tugend nicht irgendwann in die Hybris um, sich für allwissend zu halten und so der Welt beständig ihr undurchdachtes Dasein zu erklären. Die anderen guten Eigenschaften müssen sie umstellen, einrahmen, festhalten, damit sie nicht die Seite wechselt und zum Laster mutiert.

Woran liegt es nur, dass ihre Schönheit und Erhabenheit häufig wie ein angeklebter Bart wirkt, eine Tarnung zur Täuschung? - Klugheit schreckt manchen, weil er merkt, sie fasst ihn an, lenkt und schiebt, nicht zum eigenen Zweck, sondern zum Zwecke ihres Nutzers. Immer ist sie, mit dem besseren Argument, mit dem durchdachteren Kalkül schon zur Stelle, und nur leise kann man ihr fluchen, denn sie hat ja Recht.

Kluge sind selten tapfer. Das bessere Wissen besiegt oft, auch wenn es zum Nachteil ist, die Gerechtigkeit. Wann je in der Geschichte, war ein Neunmalkluger mäßig? Den Glauben hat der Kluge schon verarztet und nach dem Priester gerufen. Die Liebe verlangte, er weiß es, eines Quantums Blindheit. Die Hoffnung sieht er, zieht den Glauben mit, wie die Mutter ein störrisches Kind.

Es bleibt nur die Weisheit, unter deren Rock sich die Klugheit flüchten kann, um dann als Tugend etwas zu gelten. Die Weisheit kennt nämlich, anders als die Klugheit, die anderen Tugenden nicht nur, sondern liebt sie. Die Weisheit ist milde, die Weisheit achtet die Gerechtigkeit, die Weisheit duldet den Glauben und setzt auf die Hoffnung, selbst in allergrößter Gefahr. Weise genügt ihr die Tonne und ein wenig Licht ohne viel Schatten. Die Weisheit ist auch mutig, weil sie für die Begierden das rechte Maß kennt.

Christoph Leusch

PS: Schließlich ist Klugheit auch kein Bestandteil des Bushido-Tugendkatalogs.

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