Frau Finke

Berlin- Kreuzberg Seit über einem Jahr scheint sich im Berliner Gutmenschendistrikt alles um die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz zu drehen. Zeit, an andere Themen zu erinnern.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir uns einig sind: Die Flüchtlinge, die seit über einem Jahr auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg campieren, haben ein Recht auf Würde und Gerechtigkeit, sie sind Menschen wie wir. Ihr Protest gegen die Realität der vor zehn Jahren im Zugeder Einwanderungswelle in Folge der Jugoslawienkriege beschlossenendeutschen Asylgesetzgebung wird über kurz oder lang erfolgreich sein.

Weil erstens nach den auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa aufgebahrten hunderten von Leichen afrikanischer und syrischer Flüchtlinge niemand mehr umhinkommt festzustellen, dass sich etwas ändern muss. Und weil zweitens die Demonstranten auf dem Oranienplatz eine Lobby haben: angefangen von Alternativen, Menschenrechtsorganisationen bis hin zu den Grünen. Nicht umsonst haben sich die Asylbewerber Kreuzberg als Ort für ihren Protest ausgesucht.

Frau Finke hat wohnt über die Spree in Friedrichshain und hat die schrecklichen Bilder von Lampedusa im Fernsehen auch gesehen; auch ihr tun die Flüchtlinge Leid, die Gefahr laufen, einen weiteren Winter auf dem Oranienplatz ausharren zu müssen. Frau Finke hat aber auch ein Problem. Ab Januar wird sie ihren Seniorentreff um die Ecke nicht mehr zu Fuß erreichen können, der wird dann geschlossen sein. Wenn sie Gesellschaft sucht, muss sie dann zwei Mal umsteigen müssen. Ob es dort noch einmal so sein wird, wie es all die Jahre in ihrem „Club“ war? Frau Finke ist dreiundachtzig Jahre alt. Damit gehört sie in ihrem hippen Stadtteil zur Minderheit der alten Menschen. Anscheinend hat diese keine besonders starken Fürsprecher.

Bei aller Sympathie für die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz: Vergessen wir Frau Finke nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden