„Wir wollen eure Scheiße nicht!“

Brache am Fluss Wer sich in Kreuzberg als Immobilieninvestor betätigen will und dazu den Bürgerdialog sucht kann sich auf einiges gefasst machen.

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Das Wetter ist mehr als schön, die Nachmittagssonne scheint, es ist halb vier, da kann man hier nett hocken, Bierchen dabei, und die Beine an der Spree baumeln lassen. Drüben liegt Friedrichshain, das Ufer bebaut mit irgendwas Neuem, Hotel oder so. Hier aber sitzt man auf der Wiese. So wie Herbert. Zusammen mit anderen, von denen einer immer mal was holen geht wenn nichts mehr da ist von dem Wenigen was gebraucht wird. So soll es bleiben, so war es immer. Hier auf dem Brachland am Ende der Cuvrystraße in Kreuzberg, dem großen Gallischen Dorf inmitten aller Verheißungen der Welt da draußen.

Eine davon lautet: „Wir bauen Euch Wohnungen, damit ihr wohnen könnt mitten in der Stadt.“ Einer der daraus Pläne schmiedet und realisiert ist Artur Süsskind. Ein Investor also, im Immobilienbereich aktiv. Über seinesgleichen hat der Kreuzberger sein Urteil gefällt: Haut besser ab. Und über die Pläne von Herrn Süsskind und seiner Compagnons schon lange: Brauchen wir nicht.

Süsskind war also vorgewarnt und wollte dem Ärger durch einen Dialog mit den Kreuzbergern entgegentreten. Jüngst lud er Interessierte ein, mit ihm seine Pläne für ebenjene Fläche zu diskutieren, die ihm seit zwei Jahren gehört. Zur Verstärkung hatte er sich Bezirksbürgermeister Franz Schulz und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher aufs Podium geholt. Auch Herbert ließ sich nicht lange bitten.

Für die so genannte Cuvry-Brache ist seit Ende der 1990er Jahre der Senat und nicht mehr der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zuständig. Ein feiner Unterschied, dessen Bedeutung Süsskind auf der Veranstaltung noch erfahren sollte.

Pläne für das Areal gab es schon viele: ein Einkaufszentrum, ein Hotel, vergangenes Jahr wollte der Autobauer BMW eine Art Zukunftsmesse abhalten. BWM, Auto, Zukunft?! - Da war der der Kreuzberger aber mehr als hellhörig geworden. BWM zog mit dem Zukunftscontainer zum Prenzlauer Berg. Dort waren sie auch mal wie die hier in Kreuzberg. Das muss ewig hergewesen sein, wohl maximal bis kurz nach 1989.

Zurück zu jenem Tag im Juni ins Zelt eines Kindercircus auf dem Spreewaldplatz und den Akteuren der Informationsveranstaltung. Dass es darum eigentlich nicht wird gehen können, hätte Artur Süsskind schon zu Beginn des Forums klar werden müssen. „Die Brache bleibt Brache“, schallt es aus dem Publikum, „Bauen werdet ihr hier sowieso nicht.“

250 Wohnungen sollen entstehen, 10 Prozent davon Sozialbauten.

Der Investor versucht es mit Fakten. Das Baurecht hätte ihm erlaubt Hotels zu errichten, er aber will Wohnungen bauen. 250 Stück, davon 10 Prozent zu günstigen Mieten. Was ist günstig, was ist es nicht, auf jeden Fall ist alles zu wenig: „Nur zehn Prozent Sozialwohnungen?“, ruft eine Frau. „Und was ist mit denMenschen, die auf der Brache leben?“Das ist Herberts Stichwort. Er lebt seit einem Jahr dort und bringtdie Sache auf seine Art unmissverständlich auf den Punkt: „Wir wollen eure Scheiße nicht, das ist unser Zuhause.“

Da ist es wieder, dieses Wort: Freifläche.

Es wird Zeit für die Überleitung zur Senatsbaudirektorin Regula Lüscher: „Wir brauchen Wohnungsneubau. Hier werden 250 Wohnungen geschaffen.“ Wenigstens eine im Zelt hat es begriffen, denkt Investor Süsskind. Und wenn jetzt noch der Bezirksbürgermeister seine Kreuzberger milde stimmen würde, dann, ja dann sei der Abend doch noch irgendwie gerettet.

Aber Franz Schulz denkt nicht daran. Ganz Kreuzberger, der er ist, verkündet er seine Prophezeiung: Der Stadtteil sei schon heute „hoch verdichtet“. Käme es zur Räumung, demonstrierten die Leute wohl bald vor Süsskinds Haustür. „Ich glaube, dass viel für eine Freifläche spricht. Nur müsste man dafür den Finanzsenator überzeugen, das Grundstück zu kaufen.“ Da ist es wieder, das Wort: Freifläche. Alles soll so bleiben wie es ist. Frau Lüscher ringt um Fassung und denkt an Finanzsenator Nussbaum.

Der Abend endet mit dem Ruf aus dem aus dem Publikum: „Wegen solcher Projekte ist in der Türkei gerade Revolution.“ - Herr Süsskind seufzt. Herbert zieht zufrieden von dannen, Richtung Cuvrystraße. Er wird seinen Kumpels Gutes berichten können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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