Sigmar und die 33 Gerechten.

Mitgliederentscheid Annuntio vobis gaudium magnum: Das Gezerre hat ein Ende. Der Gewinner ist Sigmar Gabriel. Aber seine neue Basisdemokratie ist nur das alte Basta. Eine kleine Stilkritik.

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Ob sie weißen Rauch aufsteigen lassen, ist nicht bekannt. Aber die vorformulierten Grabreden werden vermutlich in der Schublade bleiben, wenn Sigmar Gabriel am Samstag unter dem bronzenen Willy zwei nüchterne Prozentwerte verkündet, die eine krachend geschlagene SPD dann doch noch zur Regierungspartei machen werden. Dafür hat die Parteispitze nun seit dem Wahltag unermüdlich gekämpft - mit einem Elan, den man im eigentlichen Wahlkampf seltsamerweise nicht entdecken konnte. Warum die Parteiführung ein ordentliches Wahlprogramm nicht mit Nachdruck und Geschlossenheit vertreten konnte, einen faulen Kompromiss mit der Union nun aber umso mehr, das bleibt ihr nicht ganz so geheimes Geheimnis. Wahr ist: Die Große Koalition war vor der Wahl die einzig realistische Machtoption für die Strategen im Willy-Brandt-Haus. Um der Basis die rot-rot-grünen Träume auszutreiben und den eigenen Kurs zu legitimieren wurde also dieses vielgepriesene Mitgliedervotum auf den Weg gebracht. Mit der Stimmkarte kam auch ein Brief der Parteiführung, auf dem der Genosse Gabriel die größte Anhäufung an Unterschriften seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zusammengetragen hat. Es hat auch wirklich alles diesen Brief signiert, was in der SPD Rang und Namen hat. Außerdem auch noch Florian Pronold. Selbst Parteilinke wie Ralf Stegner stehen nun für alle sichtbar auf der Verschwörerliste, ein Faustpfand gegen einen möglichen Brutus aus den eigenen Reihen. Hannelore Kraft muss pünktlich dazu ihren Verzicht auf mögliche Thronansprüche erklären. Die im Steinbrück-Wahlkampf schmerzlich vermissten Tugenden wie Timing oder funktionierende Kommunikation scheinen plötzlich zu funktionieren. Bravo. Und während die Basis über Zustimmung oder Ablehnung grübelt, schmiedet der große Vorsitzende seine Entente Cordiale (oder auch "Koalition der nüchternen Vernunft") mit der Union weiter. Ob er nun nur für seinen Ministerposten kämpft, oder doch heldenhaft für Kurt Becks Dachdecker: Er kämpft. Das zumindest kann man ihm nicht vorwerfen. Mit der schlaffen Schicksalsergebenheit, mit der die Dioskuren Steinmeier/Müntefering vor vier Jahren den Karren in den Dreck fuhren, hat das nichts mehr zu tun. Der Parteichef ist emsig, schlaflos, überall. Aber ob sein Mitgliederentscheid deshalb wirklich ein Muster an Basisdemokratie ist, wie er behauptet? Als machiavellistisches Momentum in den Verhandlungen mit der Union funktionierte er jedenfalls ebenso gut, wie nun beim scheinbaren Umwerben der Basis. Die Inszenierung ist auch trefflich: Die Mitglieder bekommen den Vertrag (nebst dem Bittbrief von Sigmar und seinen 33 Gerechten) in einer Vorwärts-Sonderausgabe, als würde durch rotes Papier der Inhalt gleich noch sozialdemokratischer. Dazu Gabriels rhetorisches Changieren auf den Regionalkonferenzen: Wo man bei Schröder und Steinmeier regelmäßig zu Sankt Hubertus beten musste, damit sie sich nicht noch auf der Bühne in Rotwild verwandelten, da kontrastiert Gabriel jetzt mit gut geübter Nachdenklichkeit und leisen Tönen. "Jetzt müsst ihr liefern" - das galt zunächst der Union, jetzt gilt es den eigenen Leuten. Gleiche Tonlage, neuer Adressat. Die wenigen Misstöne, wie bei der Juso-Bundeskonferenz, steckt er weg. Die Schutzmacht der brandenburgischen Floristinnen ist auf Kurs: "Wollt ihr diejenigen sein, die das verhindern? Das will ich nicht glauben." Eine emotionalisierte Form von "alternativlos". Man kann das gut finden, oder nicht: Aber der Vorsitzende der SPD ist ein Machtmensch. Und ein Zocker. Spätestens da wird die Nähe zu seinem politischen Ziehvater aus Niedersachsen überdeutlich: Die Frage ist doch, ob der Unterschied zwischen Schröders Bastapolitik und Gabrieles neuer Basisdemokratie nur darin besteht, dass der eine seine Bundestagsfraktion erpresst hat, und der andere seine ganze Partei. Der gesichtswahrende Pragmatismus, mit dem Sigmar Gabriel die SPD in die Lieblingskoalition der Deutschen führt, wird ihm den Segen seiner Basis bescheren. Aber ob man mit diesem Stil den Schröderismus überwindet, ist zu bezweifeln. Ein Steinmeier wird in seiner vierjährigen politischen Abschiedsrevue im Amt keine Wege aus der babylonischen Gefangenschaft in der Großen Koalition liefern. Das bleibt der verschobenen Identitätskrise im Jahre 2017 vorbehalten, und den dann noch verbliebenen Getreuen von Gabriels brieflichem Rütli-Schwur. Am Ende bleiben von all der Basisdemokratie doch nur ein paar Wochen tempête dans un verre d'eau und im nächsten Jahr der Grimme-Preis für gelebte politische Kultur an Sigmar Gabriel. Vielleicht hätte man einfach Krake Paul entscheiden lassen sollen.

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Geschrieben von

Bernardo Soares

Ihr fühlet aber / Auch andere Art.

Bernardo Soares

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