„15, 1 Prozent in Baden-Württemberg, 12, 6 Prozent in Rhein-Land-Pfalz und 24, 2 Prozent in Sachsen-Anhalt! Ähm, ja…“, stöhnt Germania und greift sich währenddessen an den Kopf. Sie gehört stellvertretend zu dem Personenkreis, der in Deutschland noch Werte wie Meinungsfreiheit und Humanität schätzt. Themen wie Fortschritt in der Umsetzung von Gleichberechtigung stehen auf ihrer Agenda, aber nicht Rückschritt in eine Zeit, die von Unterdrückung von Frauen gezeichnet war.
Sie steht ein bisschen unter Schock, liegt wohl auch daran, dass ihre Nachbarin, die in einer Führungsposition arbeitet, heute früh entsetzt aufschrie, als sie schwarz auf weiß die Wahlergebnisse der gestrigen Landtagswahlen las. Sie hätte eigentlich gelassener bleiben können, aber sie ist noch gebärfähig und bislang kinderlos. Germania geht das Thema Wahlergebnisse anders an und ihr Entsetzen fällt leiser aus, aber vermutlich nicht unspektakulärer: „Prost Adolf!“. Sie greift anschließend nicht zur Flasche, sondern zum Telefon und ruft ihre beste Freundin an, die ausländische Wurzeln hat. Der Anrufbeantworter meldet sich: „Schönen Guten Tag. Leider können Sie mich zurzeit nicht erreichen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton!“ Germania hätte so gerne bei ihr nachgefragt, ob sie die Wahlergebnisse beunruhigen, ihr Angst machen, weil sie aus einer Flüchtlingsfamilie stammt und im Osten der Republik lebt, aber nun bleibt Germania mit ihrem Unwohlsein und mit ihren Fragen zum Wahlausgang alleine zurück und denkt halblaut nach:
Wie kann man nur so unüberlegt handeln? Wie fremdgesteuert wurden da Kreuze von Leuten in den Wahlkabinen gesetzt, die eine ganz wichtige Frage für die Zukunft hinterlassen: Werden Hetze und Fremdenfeindlichkeit nun legitim? Ich versuche es zu verstehen, warum die Leute derzeit so ticken.
Sie finden die Arbeit von Politikern nicht zufriedenstellend, haben Zukunftsängste, die durch die Flüchtlingsproblematik verstärkt werden. Sie sehen nur das Eine: Die breitgestreute Angstmache durch die Alternative der Denkgestörten, die ihnen durch ihr politisches Geschwätz dadurch dermaßen angstmäßig Angst vorgaukeln, dass sie deren aufgetischten Angstgeschichten mit einem Kreuz in der Wahlkabine belohnen. Toll oder Wahnsinn?
Was passiert nun im Land der Dichter und Denker? Tüftler? Erfinder? Genau. Wie damals… Nichts. Keiner schreit wirklich auf. „Die sind ja nur ein bisschen polemisch!“, „Die wollen nur ein bisschen mit rechten Ansichten provozieren, die tun aber nichts!“ „Wir sind das Volk!“, „Das war ja damals auch nicht wirklich schlimm, als noch Zucht und Ordnung herrschte!“ „ Die paar Tote – ach, das ist ja schon deutsche Geschichte!“ Germania fallen plötzlich ganz viele Aussagen ein, die sie nachdenklich stimmen.
„Früher war alles besser!“ Ganz langsam spricht sie diesen bekannten Spruch aus. Germania zelebriert ihn quasi. Ein Slogan, der eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, zu Aussagen jener rechtspopulistischen Gruppierung passt, so stellt sie währenddessen fest. Künftige Landtagsprotokolle werden zeigen, wie nun einige von jenen im Landtagsalltag agieren, schießt es ihr dabei spontan durch den cleveren Kopf. Die Leute werden merken, aufwachen, dass sie die Falschen gewählt haben. Wer von denjenigen, die nun gestern die Alternative für Denkgestörte wählten, las wohl deren Wahlprogramm? Wie viele von denen?
„Wer richtig lesen kann, ist klar im Vorteil!“, flüstert Germania und greift sich schon wieder dabei an den Kopf. Ihr Herz pocht plötzlich wie wild und sie fürchtet sich vor eine Panikattacke, die durch die Schusseligkeit anderer ausgelöst wird…
© Corina Wagner, 14.03.2016
Kommentare 9
Liebe Corina, ganz nett geschrieben. Die Germania hat ja nicht gerade so einen guten Ruf. Gerade bin ich nach Feierabend mit der 103 durch Essen Borbeck an einer Germania vorbeigefahren , die nachts sogar angestrahlt wird. Ich habe mich gefragt ob das manchmal ein Wallfahrtsort für Rechte ist?
Wenn es eine personifizierte Germania wirklich geben würde, dann wünschte ich, dass sie wenigstens so wäre wie Du sie beschreibst.
Viele Grüße
poor on ruhr
Lieber Poor,
danke für Deinen Kommentar, dachte schon, dass Germania im Nirwana verschwindet. :-) In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Landtagsabgeordnete ihre neuen Kollegen von der AfD bei Debatten entzaubern und wie sich der rechte Ruck in der Parteienlandschaft auswirkt...
Herzliche Grüße
Corina
Liebe Corina,
das Elend der Germania musste irgendwann eintreten. Je eher desto besser. Zulange hat auch Germania die Souveränität im Lande einer winzigen Polit- und Wirtschaftselite überlassen. Da darf sie sich über hausgemachte Kopfschmerzen nicht beklagen. Will sie wirklich ihre Kopfschmerzen verschwinden machen, dann ist ihr eigentliches Problem nicht AfD, es ist das offizielle Berlin, das sein lähmendes Spinnennetz seit 1949 über D ausgebreitet hat und das von Germania gezähmt gehört. Solange Germania das nicht einsieht, werden sich ihre Kopfschmerzen bis ins Unterträgliche steigern. Ich hoffe, sie verliert unterwegs nicht ihre Fähigkeit zum kunstvollen Gesang!
LG ins Ländle, CE
Oweia lieber CE,
was für eine fiese Vorhersage für Germania, denn wenn sie Spannungskopfschmerzen nun auf Dauer ertragen muss, dann platzt ihr irgendwann der Schädel. Nee, da muss in den kommenden Monaten
ein Umdenken erfolgen, sonst sieht es wirklich böse aus. Die Melodie des Deutschlandlieds kann sie noch, aber sie vergisst allmählich den Text der dritten Strophe und werkelt eine neue, wenn das so weitergeht…
HG nach Panamá
Corina
Tja, die Frau Germania dräut oberhalb Rüdesheims und ist deutschnational so beliebt, wie der Neubaukaiser am Deutschen Eck, Corinna Wagner.
Deutschnationale Gesinnung, lange vor dem Triumph der AfDler, die das Protest- und Denkzettelwähler Potential ebenso abschöpften, wie die Anhänger der ewigen Rechten, brachte einst den Kaiser an die Moselmündung zurück, statt dort die deutsch- französische Freundschaft, die internationale Jugend, den Rheinstrom und seine Landschaft als die "Völkermühle" Europas, den Fluss als Transmissionsriemen dafür, auszustellen und zu preisen.
Ich füchte, die AfDler werden uns länger erhalten bleiben, weil die Melange derzeit stimmt und es sich nicht mehr verbergen lässt, dass das, anders als immer wieder betont wird, nicht an Angela Merkel und der CDU liegt, sondern an der, völlig auf den Hund gekommenen Sozialdemokratie, die sich aus Überzeugung von ihrer Klientel ab- und den Leuten mit Geld zugewandt hat.
Seit der Regierung Schröder- Fischer, deren erste Reihe und zweite Reihe PolitikerInnen derzeit ja weiterhin die SPD dominieren, ist das entschieden.
Die Sozialdemokraten wollen sich eher überflüssig machen, als sich für ihre einstige Klientel abzuarbeiten. Derzeit werkelt die rosarote Arbeitsministerin an der Auflösung des Armutsbegriffs. Das rächt sich und wird sich weiter "auszahlen" an Wahltagen, für die SPD.
Und die SPD reißt die Linke mit, die dreimal keine Chance bekam, auch wegen der völlig verbürgerlichten und verspießerten Grünen, die das so kategorisch ausschlossen, wie die SPD (Angeblich wegen der mangelnden NATO- Bündnistreue).
Eine auf Bundesebeene absichtlich und geplant, mehrfach verhinderte, linke Mehrheit, lässt Menschen die einfach abgehängt werden, an dem Konzept Links zweifeln und verzweifeln. So suchen sie eben woanders.
Leider begreifen ämtergebundene Sozialdemokraten dies nicht mehr, -wollen es oft auch nicht begreifen, weil das FunktionärInnenelement ja ihren persönlichen Status definiert-, denn sie glauben, sie seien Teil des mehr oder weniger jungen, dynamischen und vor allem kleveren Fortschritts der Wirtschaft und der Investoren, die unter ihrer Ägide und der der Kanzlerin Merkel, 1 1/2 triumphale Jahrzehnte feiern durfte und nun auch noch gegen Profitausfälle staatlich abgesichert ist.
Die Sozialdemokraten gedenken dies in Mehrheit fortzusetzen und damit werden sie weitere Teile zu den völkisch- nationalen, die von sich selbst behaupten, sie seien konservativ und liberal, treiben. Ich glaube aber nicht, dass im Willy Brandt Haus eine ehrliche Debatte dazu geführt werden kann. Diese ehemaligen Wähler hat man schon zu lange missachtet und auch verachtet.
Frauen sind übrigens die einzige meinungsbefragte Gruppe, die nicht an der nationalen Wiederbesinnung und der Ab- und Ausgrenzung im gleichen Maße teilhaben, auch wenn eine sich ständig selbst widersprechende und wendige Parteiführerin der AfD medial antritt, und eine schon eher völkisch Verblendete sich im Europaparlament zum Skandal macht.
Die Männer werden durch markige Ansprachen, Fäuste, Märsche und Beleidigungen, durchaus auch durch einen Hang irgendetwas (es spielt fast schon keine Rolle was) eliminieren zu wollen und zu können, mächtig emotionalisiert und angezogen. - Wenn Sie einmal in der dFC durchklicken, dann erfahren Sie, es herrscht auch hier häufig der dreiste Ton und die krude Mutmaßung stärker, als alle ausgewogene Diskursfreudigkeit. Der Text soll Täter sein (unter Bloggern und besonders unter einer Form des Meinungsjournalismus, der das vorturnt). Das wird gefeiert und genossen, obwohl es der Aufgabe des Aufschreibens kategorisch widerspricht
Aber ich bin überzeugt, dass die "Führerinnen" der neuen Bewegung, diese speziellen Töchter Germanias, dafür viel fester an ihre Berufung glauben.
>>Wie kann man nur so unüberlegt handeln? Wie fremdgesteuert wurden da Kreuze von Leuten in den Wahlkabinen gesetzt, die eine ganz wichtige Frage für die Zukunft hinterlassen: Werden Hetze und Fremdenfeindlichkeit nun legitim? Ich versuche es zu verstehen, warum die Leute derzeit so ticken.<<
Darin liegt das Geheimnis der deutschnationalen Ausrichtung. Wer nichts hat, sich benachteiligt und beeinträchtigt fühlt und es auch tatsächlich ist, der liebt es zumindest "ausgerichtet" zu werden ("einnorden") und im Wesentlichen auf negative Ziele, nämlich die Ablehnung von mehr Fremdheit konzentriert zu sein. Das ist vermeintliche Haltung, Stärke, Geradlinigkeit, selbst da, wo es einfach nur grauslich und platt daherkommt. Selbst Migranten der ersten und zweiten Generation erliegen zum Teil diesem Psychomechanismus.
Für mich ist "Germania" so eine Art nordkoreanische Rakete. Sie wird unbedingt abgeschossen, aber wo sie genau herunterfällt und dann, mit welchen Folgen, wissen nicht einmal die Starter und Befehlshaber. Hauptsache aber, es wirkt stark und eindrücklich und bringt andere zu verzeifelten Reaktionen.
https://www.freitag.de/autoren/columbus/elitenbildung-der-besonderen-art
und
https://www.freitag.de/autoren/columbus/germania-rakete-mit-unberechenbarer-flugbahn
Beste Grüße und Dank für ihren Versuch, das Wahlthema ein wenig anders und nicht ganz so Mainstream medienähnlich abzuarbeiten
Nur weiter
Christoph Leusch
Habe doch glatt ein n zu viel in ihren Namen gebastelt. Entschuldigung. C.L.
Interessanter Gedanke und sicher zum Teil für die Abläufe verantwortlich. Die SPD hat als Gegenpol ihre Funktion verloren und das macht Teilen des Mittelstandes Angst, mit entsprechenden Überreaktionen.
Sozialer Frieden, der auch für Unternehmer wichtig ist, kann nur mit einem gewissen Ausgleich und dem Vertrauen in die jeweilige Vertretung in der Politik dauerhaft erhalten werden.
Lieber Columbus,
herzlichen Dank für den ausführlichen und sehr interessanten Kommentar. Leider sehe ich die AFD auch nicht als Eintagsfliegenpartei an, die sang und klanglos verschwinden wird. Umso gefährlicher für unsere Demokratie, denn der Rechtsruck und raue Ton, der so mancher Orts zu hören ist, könnte noch zunehmen. Wichtig ist es, Menschen wie Petry, Höcke, v. Storch und wie sie alle heißen mit großem Engagement Paroli zu bieten, wenn jene rechtslastige Äußerungen tätigen. Frau von Storch z.B. müsste, wenn es nach mir ginge, vom Europaparlament ausgeschlossen werden.
Die Sozialdemokraten verlieren immer mehr Zustimmung und Rückhalt bei ihrer Stammwählerschaft, dieses Auseinanderbröckeln, der Zerfall einer Volkspartei stimmt sehr nachdenklich. Ich hege auch große Bedenken gegen das, was die die Arbeitsministerin werkelt... Wie bereits viel debattiert, hat sich in den vergangenen Monaten Unmut, Unzufriedenheit unter Bevölkerung ausgebreitet, da viele PolitikerInnen zu oberflächlich und nicht ehrlich genug mit den Ängsten, Sorgen, Bedenken der Menschen (bildungsunabhängig) umgegangen sind. Bei Kretschman und Dreyer hat eindeutig jeweils die Persönlichkeit überzeugt. Ich möchte zu gern wissen, wie viele Menschen, die nun die AfD gewählt haben, das Wahlprogramm durchgelesen haben. Wer aufmerksam gelesen hat und clever genug ist, um zu erkennen, welche Ziele die Basis der AfD verfolgt, muss nun auch die zukünftigen negativen Auswirken auf die Demokratie mit verantworten.
Schönen Abend.
Liebe Grüße
Corina Wagner
Lieber Columbus,
regelmäßig wird mein Vorname falsch geschrieben. Kein Problem.
:-)
LG
Corina