Karfreitag

CoLyrik "Fleisch ist mein Gemüse!" Eine Aussage, die bei gläubigen Menschen an Karfreitag gern verdrängt wird. Wehe man hat ein Problem damit ...

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Karfreitag

Mia, eine aufgeweckte Kleinbetrügerin mit christlichen Wurzeln, arbeitet angeblich hauptberuflich mittwochs und samstags auf dem Wochenmarkt und sonntags neuerdings als Mesmerin in der kleinen Gemeinde Kara. Sie kann völlig scheinheilig agieren, wenn sie „eine auf Frau Fromm macht“, so wie heute am Karfreitag. Ihr Priester hat sie längst durchschaut, schweigt aber, weil sie ihm seit einigen Wochen ganz nebenbei den Haushalt führt. Seine Haushälterin starb urplötzlich während der Zubereitung einer Mahlzeit. Viele Gläubige in der Gemeinde behaupten seit Wochen unbeirrt, da hätte eindeutig der Teufel seine Finger im Spiel gehabt. Die Haushälterin fand man doch tatsächlich kopfüber im geöffneten Backofen inmitten eines Kirschstrudels. Tragisch für die Frau, aber auch eine Chance für Mia. Sie ist eine ausgezeichnete Köchin, die die Gaumenfreuden des Hochwürden bislang nicht enttäuscht hat. Sie brachte ihn wahrlich ganz köstlich durch die Fastenzeit.

„Das Fasten mit Mia ist eine wohltuende Bereicherung“, so sagte er an Palmsonntag zu Kirchenvorstand Gottfried Christensen. Nur mit dem Karfreitag kann sich Mia einfach nicht anfreunden. Dieser Fast- und Abstinenztag macht ihr jedes Jahr in einer anderen Gemeinde zu schaffen. Keinen Sex an diesem Tag zu haben, quasi diesen Fleischeslustverzicht zu unterbinden, ist schon schlimm genug. Sie muss dann den Mann ihrer Begierde immer irgendwie mit bösen Gedanken ausblenden. Eine Erfahrung, die sie stets irritiert und auch Herausforderungen darstellt. Irgendwie ist dieser Karfreitag so sonderbar anders als sonst. Es läuft noch nicht rund, also nach Plan. Er starrt sie unentwegt total durchdringend an, wird regelrecht zum Augentier, als zöge er sie aus. Danach wieder an und aus und wieder an und wieder aus. Immer wieder aufs Neue im Minutentakt. Sie hat inzwischen für ihn bereits ein „Vater unser“ gebetet und er starrt sie immer noch so intensiv an. Diese Stille wirkt beklemmend, diese angsteinflößende Ruhe empfindet sie wie eine Strafe, eine zu fiese Folter an ihrer spitzen Zunge. Und jetzt wird sie ihm völlig stumm das Mittagessen servieren. Es gibt pochierten Knurrhahn auf Wildreiskranz mit Mangold-Gemüse.

© Corina Wagner, März 2013

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Geschrieben von

Corina Wagner

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