Little Sister-Staffel

CoLyrik Kennen Sie die neue Sendereihe Little Sister? Altstar Barbie erhielt neulich eine Einladung...

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Altstar Barbie (Name geändert) traute ihren Augen nicht, als sie Post vom privaten Fernsehsender Prekär bekam.

Sie erhielt eine Einladung für die neue Little Sister-Staffel, die ein Ableger des berühmten großen Bruders ist. Seit Monaten war das LS-Team auf der Suche nach ehemaligen Stars, die irgendwann einmal auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stolperten und in die Belanglosigkeit abstürzten. Bei Barbies altem Busenfreund Kent, Frontmann der Punkband Nachtigall, wurde auch angefragt, ob er Zeit und Lust hätte, um bei der neuen Staffel mitzumachen. Sein Inkontinenzproblem würde man ausblenden, so die Aussage der Verantwortlichen des Senders Prekär auf sein diskretes Anliegen. Wie würde man den Windelvorrat vor den neugierigen Blicken des Publikums verstecken können, wenn überall Kameras installiert waren? Kent hätte gerne Tag und Nacht auf engstem Raum mit Barbie verbracht, aber das Windeln wechseln sollte auch sie nicht mitbekommen. Zumal es noch mehr Teilnehmer gab, so auch Jonny, adoptierter Sohn eines Adeligen und ein echter Kotzbrocken, der stänkern würde, wenn er Kents Blasenleiden entdecken würde.

Barbie war einst eine gefragte Schauspielerin, die stets mit ihrem Aussehen glänzte, aber immer synchronisiert werden musste, sobald sie den Mund aufmachte. Alkohol zerstörte wie auch immer ihre Muttersprache. Ihr Lallen war bereits Kult. Jetzt bekam sie die Chance vier Wochen lang in einem umgebauten Pferdestall nicht nur nackte, abgesaugte Tatsachen zu zeigen, sondern auch Tacheles zu reden, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Das Lallen war nicht immer für Andere verständlich, so dass ein Simultanübersetzer extra für die Sendung engagiert werden sollte. Dieser kleine Pferdefuß im Vertrag irritierte sie keinen nüchternen Augenblick lang und deshalb überlegte sie sofort, was sie an Klamotten aus dem Theaterfundus einpacken sollte. Zu sehr lockte die Gage, um sich zu blamieren. Kents Absage verdrängte sie.

Inzwischen hatte sie eine typische Alleweltsnase, das war nicht immer so, als sie noch durch ihre Natürlichkeit bestach. Sie hatte relativ viele Männer in den vergangenen Jahrzehnten verschlissen, dies sah man ihr auch irgendwie komischerweise an. Geld spielte zeitweise keine Rolle in ihrem Leben, aber jetzt benötigte sie jeden Cent, um neuartige Botoxspritzen wirken zu lassen. Neulich wurde sie erwischt, als sie Leergutflaschen vor dem allerletzten Theater in der Stadt einsammelte. Dabei erwischte sie ein handelsüblicher Journalist, der gerade das Theater mit einer monströsen Kamera verließ. Er hatte nichts Besseres zu tun, als Barbie in jener unglücklichen Situation zu fotografieren. Dieses Horror-Foto sah man sechs Stunden später weltweit im Netz. Das Unterhaltungsmagazin Beschränkt hatte es für wenig Honorar gekauft. Barbie hing mit den überdimensionalen Betonbrüsten kopfüber in einem der Abfallbehälter und grinste dabei wie ein antikes Honigkuchenpferd aus dem Brotmuseum, als sie das Blitzlichtgewitter bemerkte. In jenem Augenblick wurde ihr nicht wirklich bewusst, dass ihre blonde Echthaarperücke verrutscht war, sie in keinem Action-Film die Hauptrolle spielte, sondern ganz banal zur Belustigung fungieren könnte.

Die Menschen hatten sich in den letzten Jahren erschreckenderweise nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verändert. Schlechte Eigenschaften wie die totale Verblödung prägte die Gesellschaft von heute. Die Sensationslust wurde zum Gruselfaktor für Nostalgiker, die den schönen alten Zeiten hinterher trauerten, als es noch anspruchsvollere Sendungen im Fernsehen gab. Niveauvolle kulturelle Ereignisse gab es schon lange nicht mehr, dies lag an den Einsparungen seitens der PolitikerInnen.

Musikhochschulen und Schauspielschulen gehörten der Vergangenheit an. Via Internet wurde man jetzt zum Vollbluttalent auserkoren, wenn man zum Beispiel den Bohlen-Test, diesen primitiven Supertalent-Crashkurs absolvierte. Zehn Minuten später hatte man sich die Grundkenntnisse angeeignet. Können musste man nichts mehr, außer diesem gewissen Zahnpasta- Dauerlächeln. Dafür gab es bezahlbare Crashkurse, die gesponsert wurden. Wer singen wollte, hatte es einfach. Der X-Faktor wurde ausgeschlossen. Mit zwei, drei Handgriffen auf der Tastatur bastelte man sich ohne großen Aufwand ein Stimmchen.

CharakterschauspielerInnen waren schon lange nicht mehr gefragt, lag auch irgendwie an der Tatsache, dass alle den gleichen Schönheitschirurgen zur Hand hatten und den gleichen Quatsch einstudierten, wenn sie den Link: www.theaterakademie-pandora.de anklickten. Auf dieser Webseite gelang man u. a. mit einem Klick auch zur empfohlenen Schönheitsfarm TOLLKÜHN. Obwohl TOLLKÜHN absolut nichts mit den „Alleweltsnasen“ zu tun hatte, die zur Auswahl standen und noch immer stehen. Mit den Modellen Jackson, Cher und dem klassischen Stupsnasenmodell für Kassenpatienten gibt es seit einiger Zeit keine echten Alternativen mehr. Echte Pappnasen standen sowieso noch nie zur Auswahl. Altstar Barbie hat es wirklich nicht leicht, denn sie trägt seit acht Jahren das billige Stupsnasenmodell für Kassenpatientinnen. Und diese Einheitsnase sieht genauso aus wie die von ihrer neuen Nachbarin Olga, die ihr Geld vor einer Internetkamera verdient.

Keine Lesebrille hält mehr auf Barbies Stupsnase, die Olga noch nicht benötigt und dies hat manchmal fatale Folgen wie neulich auf dem Bahnhofsgelände. Da kann man immer gegen 3 Uhr in der Früh ganz viele Flaschen einsammeln. Da arbeitet Olga noch mit vollem Körpereinsatz vor ihrer Kamera. Barbie teilt sich seit gut einem halben Jahr das Revier rund um den Hauptbahnhof mit Kent. Sie hat immer ihre Lesebrille dabei und steckt sie dann vorne in den Blusenausschnitt, wenn sie nicht weiß, wohin damit. Blöd nur, wenn man sie sich mit dem Betonbusen nach vorne bückt, um die Wasserspülung der Toilette zu betätigen und dabei nicht mehr an die Lesebrille denkt. „Sheet Happens!“, lallte Barbie und kreischte anschließend wie ein junger Teenager, wenn er das erste Mal in der neuen Staffel von Little Sister den überdimensionalen provisorisch gemeißelten Betonbusen sieht, den Kent mit samt Lesebrille aus der Toilette ziehen musste. Ihm dröhnen jetzt noch die Ohren, auch ein Grund, warum er auf die Gage für LS verzichtete.

© Corina Wagner, September 2013

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Corina Wagner

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