"Nazi raus! Nazi raus!" - NPD auf Wahltour

Wahlkampf Gestern wollte die NPD in Neu-Ulm auf Wählerfang gehen. Hunderte Bürger waren gekommen, auch aus der Nachbarstadt Ulm, um dies zu verhindern...

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nazis raus, Nazis raus!“

Jetzt in diesem Moment hängt mein Foto vielleicht schon in der Parteizentrale der NPD. Vielleicht wirft man bereits mit Dart-Pfeilen auf mein Gesicht. Muss ich nun Angst um mein Leben haben? Andere BürgerInnen eventuell genauso, die gegen eine Partei sind, die unserer Demokratie schadet…? Wie viel braunes Gedankengut hält eigentlich unsere Demokratie aus?

Kennen Sie das Grauen der Nation schon persönlich? Das aktuelle Grauen im Wahlkampf? Eine Partei, die noch nicht verboten und mit einem Laster des Bösen mit stupidem Gesichtsausdruck auf Deutschlandtour ist? Waren Sie schon bei einem Wahlauftritt dabei? Hat es Ihnen gefallen?

„Nazis raus, Nazis raus…!“ mit diesen Worten wurde gestern (2.9.2013) Anhänger der rechtsextremen NPD begrüßt, als sie in Neu-Ulm Station machen wollten.

Wie viel Aufmerksamkeit soll man denen schenken, die u.a. gegen Asylsuchende hetzen? Die Wahlwerbung auf dem Laster ist eindeutig: Asylflucht stoppen! Im Stadtteil Pfuhl gibt es z.B. ein Asylanten-Wohnheim. Was werden wohl diese Menschen denken, wenn sie die Wahlplakate der NPD vor ihrer Haustüre hängen sehen? Ich hätte Angst, wenn ich wüsste, wie gewaltbereit die Nazis sind. Hier in der Region leben viele Ausländer und dies ist gut so, wie es ist. Was wollen die Nazis hier? In der Heimat der Geschwister Scholl?

Wie unterbelichtet muss man eigentlich sein, wenn man Mitglied dieser Partei ist oder diese wählt? Hass spielt eine Rolle. Intellekt? Manche sollen Abitur haben, da muss irgendwie im Hirn eine "Hitlergedöns-Fehlschaltung" sein, ob die vererbt wurde, müsste man in einer Studie analysieren. Warum haben Menschen aus unserer Nazi-Vergangenheit nichts gelernt? An der Schulbildung kann es nicht unbedingt immer liegen, wenn man Nazi wird. Am Umfeld? Einige Fragen konnte man diskutieren, als man auf den Laster der Nazis wartete. Fakt am gestrigen Tag war, dass Mitglieder, Werbeträger der NPD auf dem Neu-Ulmer Rathausplatz aufmarschieren wollten. Gegen 17 Uhr sollte das rechtslastige Spektakel beginnen. Da standen aber zunächst Fahrzeuge des städtischen Bauhofs schön platziert herum, eine angemeldete Ausstellung. Coole Idee! Die Fahrzeuge mussten allerdings gegen 16.30 Uhr stellenweise weichen, weil der Petrusplatz wegen Sicherheitsbedenken von den Nazis nicht genutzt werden durfte. Da feierten fröhlich die Neu-Ulmer Stadtratsfraktionen, die dort gemeinsam mit Neu-Ulmer und Ulmer Bürger ein Zeichen gegen Rechts setzen wollten. Liedermacher Walter Spira, ein Ulmer Urgestein trug dort zur musikalischen Unterhaltung bei. Politiker reden, auch OB Noerenberg. Ich sah und hörte nichts, da ich auf dem Rathausplatz ausharrte und mich mit Bekannten köstlich amüsierte. Zunächst war ich gegen 16.25 Uhr aber auf dem Metzgerplatz. Über Facebook wurde ich am Morgen informiert, dass dort eventuell die Nazis Dummschwätzerei betreiben dürfen. Ich traf dort aber Leute vom DGB, die dort Banner positionierten. Sie hatten zu einer weiteren Gegendemonstration gegen Rechts aufgerufen und dies gemeinsam mit der Initiative "Ulm gegen Rechts".
Ich lief zum Rathausplatz, dort begannen dann die Vorbereitungen für die Werbeveranstaltung der Nazis. Absperrgitter wurden aufgebaut. Polizisten waren im Einsatz. Einige habe ich angesprochen, um auch an Infos zu kommen. Dann kamen immer mehr bekannte Gesichter zum Rathausplatz, Freunde, Bekannte, so auch Kommunalpolitiker. Da waren sich alle hiesigen Politiker absolut einig, dass die NPD hier nicht erwünscht ist. Viele junge Menschen waren gekommen, die ganz easy und friedlich warteten. Eine ganze Weile stand ich unter einer Attac-Fahne, weil ich den Fahnenträger kannte. Wir führten gelungene Gespräche und es war keine Sekunde langweilig. Die Polizisten übten derweil verschiedene Positionen. Sie wurden stets beobachtet, weil man ja schließlich wissen wollte, auf welche Zufahrtsstraße man sich setzen muss, wenn der Laster des Bösen mit stupidem Gesichtsausdruck auftaucht. Stupide Gesichtsausdrücke sah man tatsächlich, denn einige Anhänger der rechtsextremen Partei waren vor Ort. Naja, sie taten so, als würde man sie vielleicht nicht erkennen.

Ich fragte einen jungen bayerischen Polizisten, ob es teuer werden würde, wenn ich mich auf den Boden setzen würde. Er meinte es würde sehr teuer werden. Kein Wunder dachte ich mir, dass man wahrscheinlich für mich zwei, drei Polizisten benötigen würde, um mich wegzutragen. Ich wiege heutzutage nicht mehr 49 Kilo. Viele interessante Menschen aus der Ulmer Region waren von Anfang an mit dabei und warteten, so auch zum Beispiel die Vorsitzende von IGU. Sie stattete mich mit „Lärmmacher-Mitteln“ aus. :-) Wir haben uns neulich bei einem Workshop bei Radio free FM kennengerlernt. Wir warteten und warteten, keine Langweile kam auf. So gegen 18.20 Uhr kamen dann die Demonstranten vom Petrusplatz zum Rathausplatz, um abzuwarten, was passiert. Dann sickerte es durch, dass die Nazi eine Fahrzeugpanne hatten und sich deshalb verspäten. Sie waren zuvor in Aalen gewesen. War das NPD-Tragik? Wollte uns der Abschaum des Grauens durch die Warterei zermürben? Nee…oder? Bis 20 Uhr hatte die NPD die Genehmigung, um auf dem Rathausplatz ihre Hetzreden zu zelebrieren. Die Zeit wurde langsam knapp. Das freute sehr. Zwischenzeitlich immer wieder lockere Gespräche in friedlicher Umgebung. Die Politzisten standen weiterhin in Gruppen und harrten aus. Doof, wenn man die ganze Zeit stehen und abwarten muss. Dann sollten ca. zwanzig gewaltbereite Antifa-Mitglieder vor Ort sein. Es wird bei solchen Ereignissen immer gewaltbereite Menschen geben. So etwas kann man nicht ausschließen, da muss man gut beobachten. Schon längst stand in der Ludwigstraße ein Krankenwagen für den Fall der Fälle. Dann gab‘ es sogar einen Moment Romantik pur. Ich halte mit einer Frau ein Gespräch, sie habe ich bestimmt schon 10 Jahre nicht mehr gesehen. Direkt neben mir steht ihre erwachsene Tochter, sie ist sehr hübsch. Ein junger Mann geht auf sie zu und spricht sie an. Ich bekomme dies Anmache quasi hautnah mit: „Ich hab‘ Dich die ganze Zeit beobachtet, Du hast ein unheimlich hübsches Lächeln. Ich würde Dich gerne kennenlernen!“ Die Tochter ist perplex, grinst dann. Ich denke „wow“, greife instinktiv am Arm der Mutter und wir zwei Frauen rücken ein Stückchen zur Seite. Ich frage sie leise: „Ist sie Single?“ und sie antwortet mit „Ja, aber er ist nicht ihr Typ!“ Wir zwei Frauen lachen und zeitgleich wird es total unruhig. Das lange Warten hat ein Ende, gegen 19 20 Uhr ist NPD-Laster in der Nähe. Alles geht jetzt rasant schnell. Der Laster wird über die Ludwigstraße zum Rathausplatz kommen. Ich sehe den jungen Mann nicht mehr, auch nicht Mutter mit Tochter im Gedränge. Wir begrüßen den Laster mit Pfeifkonzerten. „Nazis raus! Nazis, raus…!“ Binnen weniger Minuten sitzen schon die ersten Demonstranten auf der Straße und blockieren die Zufahrt. In der Menge stehe ich und protestiere gegen den NPD-Aufmarsch. Ich mache gewaltig Lärm. Die Polizei hält uns zurück, damit sich nicht weitere Demonstranten auf die Straße setzen können. Neben mir steht eine Gruppe junger Menschen und diese rufen gemeinsam im Sprechgesang: „Eure Kinder werden, so wie wir!“. Es gibt Gelächter in der Menge. Inzwischen stehe ich hinter einer Fahnenträgerin der Grünen. Sie ist sehr groß und verdeckt die Sicht vor mir, aber ich sehe den Laster des Grauens mit stupidem Gesichtsausdruck in voller Größe. Niemand steigt aus. Die jungen Polizisten kann ich genau beobachten, da ich in zweiter Reihe stehe. Ich habe, dass Gefühl, dass sie froh sind, wenn alles vorbei ist. Sie machen ihren Job gut und bis jetzt gibt es nichts zu meckern, zu stänkern. Alles verläuft friedlich. Genau hinter mir brüllt plötzlich ein junger Mann: „Haut ab Ihr Arschlöcher!“ Ich drehe mich um und sage: „Na, na, wie unhöflich!“ Neben mir steht ein Mann mit Puschel und Aufnahmegerät in der Hand. Er ist für einen kommerziellen Sender unterwegs. Er dreht sich auch um und sagt dann: Es heißt auch nicht: "Du Arschloch!, sondern Sie Arschloch!“ Und dann: „Ich meine nicht die Polizisten.“ Ringsherum lacht alles, auch die Polizisten grinsen. Dann erfolgen wieder Sprechgesänge wie z.B. „Nazi raus! Nazi raus…“ plus zusätzlichem Lärm der Demonstranten. Ca. 10 Minuten vergehen. Die Polizei hat alles unter Kontrolle, aber die Demonstranten blockieren weiterhin die Straße. Nach weiteren fünf Minuten legt der Lastwagenfahrer den Rückwärtsgang ein. Großer Jubel bricht aus. Alle freuen sich. Keiner weiß genau, wo die Nazis nun hinfahren, aber die Kundgebung war zumindest hier auf dem Rathausplatz in Neu-Ulm nur bis 20 Uhr genehmigt. Das lange Warten hat sich gelohnt. Jawoll!

Ich habe übrigens keinen der NPD-Mitglieder gesehen. Naja... auf diese Visagen kann man wohl gutgelaunt verzichten...

© Corina Wagner, September 2013

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden