Es gab eine gute Abschlussdemo

Nachtrag zu Hamburg Nach dem G20-Gipfel haben BT-Parteien Gelegenheit, sich staatstragend zu gebären und den Wahnsinn des globalen Kapitalismus, an dem sie selbst stricken, zu kaschieren

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Der Samstagmorgen stimmte mit frischer, nicht zu heißer und nicht zu kalter Temperatur auf einen guten Demo-Tag ein. Alle, die sich in Hannover zur Busfahrt nach Hamburg einfanden, waren fröhlicher Dinge, wozu auch die professionelle Organisation von Verdi beitrug. Was mich nach Tagen eines verurteilenden Mainstream-Mediengewitters über Randale überraschte, wohl um Teilnehmer an der Abschlussdemo abzuhalten und vor allem, um die eigentlichen Kritikpunkte der G20-Gegner gar nicht erst an die deutsche und weltweite Öffentlichkeit heranzulassen, war die Tatsache, dass sich die Demonstranten davon nicht beeinflussen ließen und zahlreich nach Hamburg anreisten.

Wer sich obiges Foto so recht zu Gemüte zieht, sieht symbolisch die Hauptverursacher der gegenwärtigen weltweiten Krisensituation von Kriegen, Flucht, menschenverachtendem Elend und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auf einem Fleck beisammen. Wenn man sich dann mit ein wenig Phantasie das unsichtbar hinter ihnen stehende globale Finanz- und Industrie-Kapital mit einer etwa gleichen Anzahl von Wirtschaftsführern vorstellt, dann haben wir sie sichtbar beisammen: diejenigen, die das globale politische, ökonomische und militärische System verantworten, unter dem die Menschheit Tag für Tag zu leiden hat, mal in stummer Ergebenheit, mal in verbalem oder auch tatkräftigem Aufbegehren. Die Abschlussdemo in Hamburg sollte bezwecken, wenigstens ein klein wenig Licht auf weltweite Zusammenhänge zu werfen und die Spieler bloßzustellen, denen die Menschen rund um den Erdball ihre überwiegend miserablen Lebensbedingungen verdanken.

Als ich zur Demo nach Hamburg aufbrach, ließ ich die etwa 600 Hausbesuche Revue passieren, die ich in den letzten zwei Monaten absolviert hatte, um meine 200 Unterstützer-Unterschriften für die Direktkandidatur als Parteiloser zum BT zusammenzubekommen. Mein Eindruck in die durchschnittliche „Wähler-Seele“ im Weserbergland lässt sich etwa so zusammenfassen: Ohnmacht, Angst, Obrigkeitshörigkeit und Wut kennzeichnen den „un-mündigen“ Bürger vor der BT- Wahl 2017, von dem sich die BT-Parteien weitere vier Jahre ein unhinterfragtes und unkontrolliertes Mandat erhoffen, um im Kreise der mächtigen Zwanzig das Weiterso des kapitalistischen Weltsystems entscheidend mitzuspielen.

Hamburg war für mich ein abgekartetes Spiel zwischen Regierung und Mainstream-Medien, um von vornherein in der Öffentlichkeit keine Fragen bezüglich der Verantwortung der gegenwärtigen Weltmisere aufkommen zu lassen. Warum haben Mainstream-Medien bereits im Vorfeld hauptsächlich von möglichen Störungen und gewaltmässigen Auseinandersetzungen geschrieben, anstatt die Politik der einzelnen G20-Spieler und ihren Anteil an den menschenverachtenden Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschheit aufs Korn zu nehmen? Ich hatte vor nicht langer Zeit ARD, ZDF und Deutsche Welle angeschrieben, die deutsche Rolle in der Welt während der letzten fünf Jahrzehnte anhand der Zusammenarbeit mit ausgewählten Ländern zu beleuchten. Auch die deutsche Rolle innerhalb der EU, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds wäre hilfreich zu erhellen, um dem Normalbürger den Anteil seines einigermaßen komfortablen Lebensstandards zu verdeutlichen, den er der neokolonialen Ausbeutung durch unser Land verdankt. Aber selbstverständlich bekam ich keine Antwort. Die Berichterstattung im Vorfeld des Hamburg-Treffens, und schlimmer noch während des Treffens, stellte eine meisterhafte Verschleierung vonseiten der Politik und der Medien dar, die eigene Verantwortung an der globalen Misere zu vertuschen. In Deutschland mag dieses Vertuschen durch Brandmarkung von Randale gelingen. Aber in vielen anderen Teilen der Welt ist die Gruppe der Zwanzig der täglich gefühlte und nicht zu verschleiernde Peiniger. Da helfen auch nicht die durch internationale Medien-Kanäle ausgestrahlten gewaltmässigen Demos in Hamburg. Ganz im Gegenteil. Die werden mittels Fernsehen und Smartphones von den Habenichtsen der Welt eher verstanden als Ausdruck eines rechtmäßigen, wenn auch ohnmächtigen Widerstandes gegen ein weltweites, unmenschliches kapitalistisches System. Das sollten die Kanzlerin und der Bundespräsident bedenken, wenn sie sich im eigenen Land durch Entrüstung gegenüber Randale von jeglicher Verantwortung reinzuwaschen hoffen.

Der eigene Wahlkampf, davon wird in „Wahlkampf 2017 (9)“ noch zu reden sein, hatte mir bis zum Tag der Hamburg-Demo wenig Hoffnung gemacht, eine große Zahl von Menschen zu treffen, die mit ähnlichem Verständnis für den derzeitigen Zustand Deutschlands und der Welt nach Hamburg kämen, und die darüber hinaus einen ungebeugten Lebens-Optimismus und die notwendige Prise von Zivilcourage mitbrächten. Doch ich sollte mich gründlich getäuscht haben. Die Abschluss-Demo wurde zu einem Fest, das die geifernden Mächtigen der Welt in ihrem jämmerlichen Hamburger Elfenbeinturm ausgrenzte und das andererseits den zahlreichen Teilnehmern Ermutigung und Hoffnung bedeutete, selbst Subjekt der Geschichte sein zu können und die nötige Kraft und Freiheit zu haben, den Widerstand gegen globale Unterdrückung und das Zertreten von universalen Menschenrechten nicht aufzugeben.

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda