Hauptpersonen: Mutti und Kladderadatsch

Theater Wahlkampf-Schmierenkomödie in der bayrischen Provinz. Oder wie sich der Michel an seinen Oberen erfreut

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2d/Bundesarchiv_Bild_183-1989-1215-030%2C_Berlin%2C_CDU-Sonderparteitag.jpg

Foto: Wikimedia-Commons

Berlin, CDU-Sonderparteitag

ADN-ZB Reiche-15.12.89-zei-Berlin: CDU-Sonderparteitag - Unter dem Leitwort "Erneuerung und Zukunft" wollen die 800 Delegierten in zweitägigen Beratungen über die politische Programmatik der Partei entscheiden und neue Leitungsgremien wählen. Parteivorsitzender Lothar de Maiziere hielt das Referat.

Berlin, Date, 15 December 1989

Photographer, Reiche, Hartmut

Kommentar zum Foto: Leider hat der Verfasser kein Dorfzelt-Foto mit der Kanzlerin beim Wahlkampf 2013 auftreiben können. Der Leser möge deshalb seine Fantasie in Bewegung setzen, um sich dieses stimmungsvolle Bild vom CDU-Sonderparteitag mit dem damaligen Parteivorsitzenden Lothar de Maizière in ein bayrisches Dorfzelt übertragen vorzustellen, mit Mutti am Rednerpult, Küchenschürze um und Kochlöffel in der rechten Hand, mal drohend, mal wohlwollend fuchtelnd. Die ehrenwerten Gestalten am Rednertisch sind in Wahrheit bayrische Mädels und Buben, die gerade einen echten Jodelgesang zur Begrüßung hingelegt haben. Die Zuhörerschaft ist in Dirndl-Kleidern und Lederhosen angetreten. Bierdunst wabert im Saal. Die Stimmung könnte nicht besser sein. Jeder hat einen Einliter-Bierhumpen in der Hand. Die zweite Hauptperson, Kladderadatsch, ist physisch leider nicht anwesend, dafür aber als Geist in aller Köpfe.

So, nun geht’s endlich los!

Mutti: Ich bin überwältigt! Einfach fantastisch meine Kinder!

Sie legt den Kochlöffel auf das Pult, greift sich den ersten Buben am Tisch, drückt ihn an die Brust und verpasst ihm einen hörbaren Schmatzer.

Brüllender Beifall! Es schallt:

Hoch lebe Mutti, drei Mal hoch!

Vier starke Männer in der ersten Reihe machen sich auf, um Mutti drei Mal in die Höhe zu hieven. Erstaunt und belustigt müssen sie feststellen, dass Mutti nicht vom Fleck zu bringen ist und saftige Pfunde auf den Rippen hat, ganz wie ihre Ehefrauen.

Einem der Männer fährt es anerkennend aus dem Munde:

Da schaut her! Unsere Mutti is a richtges Weibsbild! Hoch!

Zustimmendes wildes Brüllen im Saal!

Parteivorsitzender (rechts außen am Rednertisch, verzweifelt nach Luft und Aufmerksamkeit schnappend): Liebe Leut‘, lasst mich doch erstmal unseren heutigen Gast vorstellen! Wir haben es hier mit Mutti zu tun! Sie hält als Einzige diesen ganzen Sauhaufen von Union zusammen. Darauf: Prost!

Parteivorsitzender hebt seinen Humpen und mit ihm die Zuhörerschaft. Für die Kinder gibt’s Cola. Mutti fuchtelt mit dem Löffel in der Linken, mit der Rechten leert sie in einem einzigen langen Zug das Glas.

Parteivorsitzender (überwältigt, bewundernd): Das hat noch keiner unserer Häuptlinge fertiggebracht. Hoch auf Mutti!

Allgemeine Brüllerei

Mutti (nach der Sauferei gefasst, energisch, die Zunge ungewöhnt gelöst und in bester Laune): So meine lieben bayrischen Untertanen. Nach dieser herzlichen Begrüßung wird’s ernst. Ich bin ja schließlich hier, um Euch zu verklickern, warum alle Bayern CDU/CSU wählen sollen.

Da kommt doch so ein unverschämter Zwischenruf von den hinteren Bänken: Ja, warum eigentlich? Die Anderen da in Berlin, die von der Opposition, die hab’n doch auch studiert und weniger abgeschrieb‘n, wenn’s um die Titel geht.

Parteivorsitzender (sichtlich genervt): Mensch Egon, halt’s Maul. Mutti ist Mutti und hat den Saftladen fest im Griff. Die wird Dich schon aufklären.

Mutti (wirft Parteivorsitzendem Kusshändchen zu): Liebe Leut! Euer Oberboss hat recht. Ich schmeiß den Laden in Berlin. Da macht mir keiner was vor.

Mutti knallt den Kochlöffel mit Getöse auf das Pult. Die Zuhörer wirken erschreckt von Muttis aufwallender Energie.

Mutti: So, jetzt geht’s an’s Eingemachte. Spätestens in einer halben Stunde, bevor wir alle stockbesoffen sind, wisst Ihr, warum es ohne Mutti in der Republik nicht läuft. Ich werde Euch das Einmaleins der Politik beibringen, so wie der Bub und das Madel das Melken von der Wiege auf lernen.

Zögerlicher Beifall kommt auf. Mutti ja, klär uns auf, was in Berlin gespielt wird.

Mutti: Zuerst: Vergesst Kladderadatsch, den Maschinengewehr-Schnellsprecher der Opposition, der, der mit der Knarre auf hohem Ross reitet. Der einmal „Hü!“ schreit und dem HartzIVler auf die Schulter klopft. Dann schreit er „Hott“ und hält seine Hand dem Bankier vor die Nase. Erst dachte ich, ich verzichte freiwillig auf mein Amt. Seinetwegen. Dann aber schrie er: „Ich will das Amt, aber mehr Knete!“ Das war mir dann aber zu viel. „Ne!“ Kladderadatsch sagte ich. „Ich bin mit meiner Knete bis zum St. Nimmerleinstag bedient. Selbst meine Enkel, ich meine natürlich meine gesamte Verwandtschaft, kann sich damit in Saus und Braus einen schönen Lenz machen. Als Führer der Opposition kannst Du mit mir zusammen das Steuerschwein schlachten. Damit muss es genug sein. Auch den Obolus vom Kapital, wie bisher, den kannst Du Dir abschminken, den werde ich Dir vermiesen.

Bravo, Riesenbeifall aus dem Saal! Ein Halbbesoffener schreit: Mutti hat ein Herz für den HartzIVler! Verdient nur 30 mal soviel. Das ist wahre Bescheidenheit! Bravo!

Mutti: Ich war schon immer bescheiden!

Stimme aus dem Saal: Mutti, erklär uns mal, wie große Politik in Berlin geht! Ich versteh‘ die Preissen nicht.

Mutti: Genau darauf will ich hinaus. Keiner beherrscht Politik so gut wie ich. Kladderadatsch quasselt nur Fremdwörter daher, weil er selbst nicht weiß, wo’s langgeht. Also, passt mal auf. Ihr kennt doch den Kuhstall?!

Na klar! Hab’n wir doch alle! Schallt es aus dem Saal.

Mutti: Also...Mutti holt tief Luft... Wenn ich morgens ins Büro gehe, dann miste ich erst einmal aus. So, wie Ihr jeden Tag die Scheiße beiseiteschafft. In meiner Regierung wimmelt es von Kühen, Ochsen und Eseln. Es ist zum Verrücktwerden. Sie alle bauen Mist in Hülle und Fülle. Deshalb fliegt uns auch Europa um die Ohren.

Verständnisvolle Anteilnahme im Saal: Arme Mutti! Das muss ja ein Sauhaufen in Berlin sein! Da hab’n wir’s gut im schönen Bayernland.

Mutti: Ja, das kann ich Euch verraten. Wäre ich bloß nicht auf Schäuble und Weidmann von der Bundesbank hereingefallen, dann würden mir in Athen, Rom, Madrid und Lissabon, Dublin nicht zu vergessen, die Stimmen zujubeln wir hier bei Euch.

Stimme aus dem Saal: Aber warum hast Du auf diese Blödmänner denn gehört?

Mutti: nachdenklich, leicht angetrunken: Ja, das frage ich mich auch immer wieder. Aber Ihr wisst ja so gut wie ich: Wenn man nur von Mist Ahnung hat, ich meine natürlich Physik, dann ist man auf solche Dummschwätzer angewiesen. Und ihr wisst ja auch, dass die dicken Konzerne dauernd hinter meinem Rücken quengeln: Wenn wir in Deutschland nicht die Löhne und sonstigen Abgaben herunterkriegen, dann machen wir die Mücke und verduften ins Ausland.

Andere Stimme im Saal: Mutti, dann lass sie doch abdampfen!

Mutti: So einfach ist das leider nicht. Wenn Ihr alle arbeitslos werdet, mögt Ihr vielleicht mein Essen nicht mehr und wählt womöglich Kladderadatsch oder die theoretisierenden Wald- und Wiesenschrate, oder die von der ehemaligen Nomenklatura. Die kenne ich aus eigener Anschauung zur Genüge. Wenn die an die Macht kommen, werden wir statt Champagner auf Rotkäpchen-Sekt umstellen müssen, obwohl der Gysi und die Wagenknecht doch inzwischen die Segnungen des Kapitalismus, wie ich, mit Löffeln in sich hineinschütten. Auch die legen sich jetzt jeden Tag Pfunde zu. Diese ewigen Cocktails in Berlin, die sind noch schlimmer als Clintons McDonalds und Pizza Huts. Ich will jedenfalls noch die nächste Legislaturperiode ohne vollständige Verfettung überleben. Darf ich bei Euch in den Ferien freiwillig im Kuhstall misten? Das Misten ist mir in Berlin zur Herzensangelegenheit geworden. Als Nächstes muss endlich der ewig grinsende, fliegende Teppichhändler aus Kabul die Kurve kratzen. Der und die FDP-Mittelstandsriege gehen mir echt auf den Nerv. Der hat mir doch letztens tatsächlich einen Teppich aus Mali mitgebracht. Was soll ich damit im Kanzleramt? Meine Mitbürger halten mich womöglich auch als Teppichhändlerin, die jeden Scheiß darunter kehrt. Dieser Mensch und WW haben unser schönes Image in aller Welt verhunzt, das ich krampfhaft versuche zu retten.

Wieder eine andere Stimme im Saal: Ja, warum gibst Du den beiden nicht einfach einen Tritt in den Hintern, das machen wir mit unserem Viehzeug doch auch, wenn es nicht spurt.

Mutti: Nun gut, ich bin auf diese Gelben leider angewiesen. Hoffentlich bekomme ich nicht noch vor der Wahl eine Gelbsucht. Dann lieber eine Rosasucht. Kladderadatsch ist so geil auf Knete, der verkauft doch glatt seine Schwiegermutter, um die Kröten im Portemonnaie zu sichern... Kinder, lasst mich jetzt erst einmal verschnaufen, sonst rede ich mich noch mehr in Rage. Eins aber muss ich Euch noch rasch in die Gehirne brennen: Mutti schaukelt die deutsche Chose schon. Habt Vertrauen. Das Glück wird Euch hold sein. Absolute Mehrheit für die Union, dann können die anderen Parteien ihre Wunden lecken, und wir lachen uns ins Fäustchen.

Ein Sturm des Beifalls braust durch den Saal! Bravorufe! Mutti ist die Beste!

LG, CE

PS: Ich musste das loswerden! Bei Jauch hier in der Deutschen Welle in Panamá vor ein paar Stunden, platzte mir die Hutschnur. In Berlin würde ich mich am liebsten mit der Trommel vor dem Kanzleramt aufbauen, um Merkel dieses kleine Theater-Stück zum Frühstück zu servieren. Aber sie würde wohl nur mildtätig lächeln: Ein Verrückter mehr in der Republik.



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden