Jenseits von Kapitalismus und Sozialismus

Replik auf C. Offe Werden gesellschaftlicher Fortschritt und Wachstum nur noch im Rahmen der Wohlfühl-Merkel-Republik und BT-Parteien-Diktatur angedacht?

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Foto: McDonald-Logo, Symbol des Kapitalismus und der scheinbaren Erfüllung der Geschichte

Liebe dFC,

von Zeit zu Zeit liest man in der dFC Beiträge von ehemaligen Wortführern der 68er-Generation, deren Leben und Wirken ich wegen Auslandstätigkeit in den Jahrzehnten zwischen Mitte der 70er Jahre und 2011 nicht verfolgt habe. Selbstverständlich sind Ereignisse wie der Einzug der Grünen in den Bundestag, die Wiedervereinigung mit Kohlschen "Blühenden Landschaften", die Schröder/Fischer-Republik der "Sozialen Kälte" und schliesslich die Merkel-Republik mit ihrem Totspardiktat auch dem Auslandsdeutschen nicht verborgen geblieben. Sie wurden auf vielfältige Weise in ausländischen Nachrichtendiensten in der Welt verbreitet. Dabei habe ich mich stets gefragt, was machen meine damaligen 68er-Zeitgenossen eigentlich, um gesellschaftlichen Fortschritt in der Republik voranzutreiben, ein Ziel, dem sich meine Generation damals mit Leib und Seele verschrieben hatte. Schon Schröder/Fischer liessen mir die Haare zu Berge stehen, dann erst recht die Merkel-Republik. Es scheint von Aussen so, als ob die Republik mit einer dichten Wattehülle umspannt sei, die das Denken meiner Generation aber auch der jungen Menschen in Deutschland gefangen hält.

Hat der Kokon um das Heimatland tatsächlich das Denken und Handeln aufs Weiterso und Erhaltung des "status quo" reduziert? Dann hätte Frau Merkel das Unmögliche möglich gemacht: Das Freiheitsdenken und die Vision von einer humanen Republik aus den Köpfen der Deutschen zu radieren.

Herr Offe, den ich zu Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zusammen mit anderen als Vordenker schätzte, hat jüngst (16. Oktober) ein Gespräch mit dF über gesellschaftlichen Fortschritt und Wachstum geführt:

"Stagnation als Utopie"

Eben jetzt wurde ich auf dieses Gespräch aufmerksam und konnte es mir nicht verkneifen, eine Replik einzustellen. Diese werde ich hier als eigenen Beitrag noch einmal veröffentlichen:

Lieber Claus Offe,

meiner Ansicht nach haben Sie versucht, schlau um den Brei herum zu reden.

Was bedeutete denn tatsächlich gesellschaftlicher Fortschritt (erweiterte Lebensqualität und Freiheit) bei gleichzeitiger Stagnation des Wirtschaftswachstums in den Metropolen?

Ich meine, Sie wissen das genauso gut wie ich. Mit dem derzeitigen global agierenden Kapitalismus ist Wachstum in den Metropolen abhängig vom enormen Nachholbedarf an Wachstum in der Peripherie, der dann ein paar Prozentsätze auch für die Metropolen abwerfen mag. Das geschieht weltweit mit der Konsequenz der Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich, ein Phänomen, das dem Kapitalismus immanent ist und das die Menschheit immer unfreier werden lässt.

Was also tun, um gesellschaftlichen Fortschritt zu sichern bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stagnation?

Wir 68er haben bereits Antworten auf diese Frage gesucht, und haben das damals ehrlich getan. Heute hingegen haben sich die 68er in Universitäten und im Staatsapparat bequem gemacht und wagen aus Angst vor Verlust ihrer materiellen Privilegien und ihres sozialen Status' im Kapitalismus nicht mehr offen zu sagen, was Sache ist:

Gesellschaftlicher Fortschritt in Gestalt von grösserer Verteilungsgerechtigkeit, von erweiterten Mitspracherechten des Bürgers in einer Bürger-Republik statt BT-Parteien-Diktatur, von einem solidarischen Miteinander mit unseren europäischen Nachbarn und den Benachteiligten dieser Welt, von einem verantwortungsbewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen dieser Erde, ist nur zu haben über eine konsequente Veränderung unseres politischen und ökonomischen Systems. Die 68er-Generation wusste das bereits. Heute hat sie ihre eigene Polizei im Kopf, die ihnen verbietet, die Wahrheit auszusprechen. Der Materialismus hat sich tief nicht nur in den Geist sondern auch in die Seele eingefressen. Systemimmanente Kritik ja, Hofnarren gab es immer in der Geschichte, aber Aufbruch in gesellschaftlichen Fortschritt, der radikalen System-Bruch beinhaltet, nein, das wäre zuviel.

Niemand erwartet gesellschaftlichen Fortschritt in Form von grösserer persönlicher und politischer Freiheit von heute auf morgen. Aber seine Prämissen und die ersten Schritte dahin gehören in die öffentliche Diskussion, in Universitäten, in Wahlkämpfe, auf die Strassen und Plätze des öffentlichen Raumes ohne Angst vor materiellen Ausbremsungen durch die herrschende politische und wirtschaftliche Oligarchie.

Aufrichtigkeit ist das Gebot der Stunde. Unsere Kinder und Enkelkinder brauchen nicht systemimmanente schlaue Kritik, sie brauchen Visionen für erweiterte Freiheit. Deshalb mein Vorschlag, den ich in der dFC bereits mehrfach geäussert habe:

Gehen wir den gesellschaftlichen Fortschritt an durch:

1. Weiterentwicklung des kapitalistischen Systems (hin zu gemeinwirtschaftlicher Produktion),

2. Weiterentwicklung der derzeitigen BT-Parteien-Diktatur hin zur Bürger-Republik,

3. Weiterentwicklung einer toleranten Solidargemeinschaft mit Europa und der Welt,

4. Weiterentwicklung einer Solidargemeinschaft zwischen Mensch und Natur.

LG, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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