Mutterland, Vaterland

Deutschlandlied Essay eines Sprechgesanges: Mutterland, Vaterland: Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Deutschlandlied

(1. Strophe)

Mutterland und Vaterland:

Verzweifelt suche ich Spuren am Strand,

die Liebe, Freiheit und Menschlichkeit bergen.

Manchmal tauchen sie flüchtig auf,

um gleich darauf

vom Meer der Geschichte

hinweggeschwemmt zu werden.

Was bleibt am Gestade der Ozeane,

ist der Abfall der Waren,

die Scharen von fleißigen Produzenten

tagaus, tagein für die Welt produzieren:

Mercedes, Audi, BMW,

Porsche und VW.

Was ebenso bleibt

sind eingebrannte Male

von Verbrechen und zugefügtem Leid.

(Refrain)

„Mutterland, Vaterland:

Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Warum schäme ich mich Deinetwegen?

Schon von Kindesbeinen an dauert es fort

und verfolgt mich an jedem Ort,

wo ich auch hingeh‘.

Liebst Du Dein Kind?

Liebst Du die Welt?

Oder ist es das Geld

und die Macht,

die Dich blind und mitleidslos macht?“

(2. Strophe)

In Bombennächten,

wenn Eltern mich in Keller trugen

und Sirenen in den Träumen widerhallten,

begann das Fragen,

zuerst unausgesprochen,

aber nie mehr zu vertagen.

Jahre später,

Spielen in zerbombten Schützengräben.

„Mutter, was ist Krieg?

Kampf der Väter?“

Flüchtlinge hetzen von Osten nach Westen.

Worte wechseln zwischen irrenden Menschen:

„Auschwitz: Mann, war das wahr?“

„Ja Frau, das war wahr!“

Der Kinderverstand begriff nichts,

aber Angst krallte sich fest,

war von jetzt an nicht mehr zu verdrängen aus den Gedanken.

Dann trat die Schule in meine Welt.

Lehrer von altem Schrot und Korn bestellten das Feld

meist mit harter Hand, manchmal mit Güte.

Die Besatzungsmacht lieferte das Mittagsgericht,

Kaugummi, Schokolade und Milch in der Pause.

Wir Kinder kannten den Hunger nicht.

Das Sammeln von Bucheckern,

von Pilzen, von Beeren im Wald,

Äpfel pflücken, Rüben verzieh‘n,

Sand und Steine schleppen,

und zum Lohn: warmes, duftendes Brot;

das war Aufbau nach einem Krieg,

den Kinder noch immer nicht verstanden.

Die ersten Bücher:

Abenteuer aus allen Kontinenten,

verschlungen in hellen Sommernächten

im neu erbauten Marshall-Plan-Haus,

verhalfen kühne Träume zu wecken.

Kurzum: Was war der frühen Jahre Inhalt und Versprechen?

Albträume, Angst in den Nächten,

am Tage hieß es, Leben zu entdecken.

(Refrain):

„Mutterland, Vaterland:

Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Warum schäme ich mich Deinetwegen?

Schon von Kindesbeinen an dauert es fort

und verfolgt mich an jedem Ort,

wo ich auch hingeh‘.

Liebst Du Dein Kind?

Liebst Du die Welt?

Oder ist es das Geld

und die Macht,

die Dich blind und mitleidslos macht?“

(3. Strophe)

Im Jugendalter öffnet sich das Tor,

da gibt’s kein Halten mehr.

Deutschland,

Deine Städte, Dörfer und das Meer,

Berge, Wälder, Seen und Moor,

überall hin.

So gewinnt die Heimat schönen Sinn,

aber auch den tiefen Schrecken,

den sie bis heut‘ verbreitet.

Wörter wie Auschwitz und Krieg aus Kindertagen

werden konkret, sind nicht zu ertragen.

Unverständlich das Nebeneinander

von Schönheit und Grausamkeit.

Mitten hinein in diesen Konflikt

Fällt die Liebe mit all ihrem Gewicht,

wie ein Wunder, für das es keine Erklärung gibt.

Welch ein Glück,

dass es in diesem Wirbel von Erwachen

Dichter und Denker gibt,

die Deutschlands schlimmste Geschichte überlebten,

die Halt und Vorbild sind.

(Refrain):

„Mutterland, Vaterland:

Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Warum schäme ich mich Deinetwegen?

Schon von Kindesbeinen an dauert es fort

und verfolgt mich an jedem Ort,

wo ich auch hingehe.

Liebst Du Dein Kind?

Liebst Du die Welt?

Oder ist es das Geld

und die Macht,

die Dich blind und mitleidslos macht?“

(4. Strophe)

Was soll nun werden?

Wohin geht der Weg?

Ist es der Weg auf vorgezeichneter Bahn?

„Keine Experimente!

Bloß kein Sozialismus!

Für den Pluralismus!

Soziale Marktwirtschaft heißt die Zauberformel

für Versöhnung von Arbeit und Kapital.“

Nein, es ist ein neuer Weg,

der Weg der Rebellion,

der Weg des Widerstand‘s gegen die Reaktion,

gegen die alten Mächte,

hin zur Liebe, Freiheit und zur Menschlichkeit.

Doch keine zehn Jahre vergeh‘n,

da ist es aus mit der Herrlichkeit,

der Liebe, Freiheit und der Menschlichkeit.

Die Jugend ist vorbei,

Familien brauchen Brot und Sicherheit.

Das Kapital wartet schon

auf die verlor‘nen Töchter und Söhne der Rebellion.

Brandt, Grüne und Schmidt,

sie helfen eifrig mit,

die Ideen der Liebe, Freiheit und der Menschlichkeit

in satten Konsum zu wandeln.

(Refrain):

„Mutterland, Vaterland:

Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Warum schäme ich mich Deinetwegen?

Schon von Kindesbeinen an dauert es fort

und verfolgt mich an jedem Ort,

wo ich auch hingehe.

Liebst Du Dein Kind?

Liebst Du die Welt?

Oder ist es das Geld

und die Macht,

die Dich blind und mitleidslos macht?“

(5. Strophe)

Selbst Mauerfall und Vereinigung

fördern keine Reinigung.

Liebe, Freiheit, Menschlichkeit

fallen den Aasgeiern anheim.

Sie fressen das Lebendige und lassen das Tote zurück.

Das aber blinkt

und verzaubert die Herzen.

Die Jagd nach dem Geld beginnt.

Schröder, Fischer und Merkel,

sie stehen auf der Brück,

lenken sicher das Schiff im Wind.

Immer mehr Reichtum, immer mehr Armut ist die Devise.

Hauptsache das Kapital

erlebt keine Qual.

Endlich kein Mitleid mehr für Schwache, für Verlierer.

Eindeutig ist das Diktat:

„Am deutschen Wesen

soll Jugend und Europa genesen!“

Die Botschaft für die Jugend ist klar:

„Vergesst die Freiheit!

Lernt Radfahren, Koffer tragen,

buckeln, tricksen und zocken,

und vor allem eins:

Reiht Euch ein in einen Kreis

von einflussreichen Freunden!“

Für Europa gilt die Losung:

„Arbeiten, Verzichten, Sparen bis zum Tod!

Aber nicht vergessen,

das zu essen,

was deutsches Kapital verkauft.“

Wo sind sie geblieben, die flüchtigen Spuren

von Liebe, Freiheit, Menschlichkeit?

Wo sind sie geblieben, die unabhängigen Geister,

die nach dem großen Krieg in erster Stunde

die Kunde von Hoffnung und Ideen brachten?

Womöglich sind sie heute satt und lahm,

im besten Fall voller Scham.

Es ist doch so schön im Salon,

so warm hinterm Ofen.

Bei Käs und Wein gelingt noch so manches kluge Wort.

Doch draußen, wo Jugend und Europa sie braucht,

das ist ein überaus feindlicher Ort.

Da ist es besser Zuhaus‘ zu bleiben

Und die persönliche Schlacht mit Kissen und Wissen zu treiben.

(Refrain):

„Mutterland, Vaterland:

Warum fällt es mir schwer, auf Dich stolz zu sein?

Warum schäme ich mich Deinetwegen?

Schon von Kindesbeinen an dauert es fort

und verfolgt mich an jedem Ort,

wo ich auch hingehe.

Liebst Du Dein Kind?

Liebst Du die Welt?

Oder ist es das Geld

und die Macht,

die Dich blind und mitleidslos macht?“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden