SOMMERSCHÖNHEIT

SUMMER ENDS CHRISTINE QUINDEAU ZU EHREN

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/86/Adriana_Lima_by_David_Shankbone.jpg

Foto: Wikipedia Ccommons, Adriana Lima, brasilianisches Model in New York, 30.4.2007

Autor: David_Shankbone

Liebe dFC,

Christine Quindeau hat uns am 29. August einen schönen Beitrag geschenkt, der mich zu meinem Beitrag als Ergänzung "gezwungen" hat. Ich bin nicht nur in "neuzeitlichen Mode-Begriffen" ein Analphabet (bspw. ist für mich "unhip" ein "mongolisches Dorf"), sondern habe als jahrzehntelanger Bewohner der Tropen eine andere Perzeption von Sommer und Herbst und kann und darf meine Auffassung nicht in Panamá versteckt halten. Kommen wir zur Sache:

Christines Beitrag (Hohes Lied auf den Herbst-Stil) hat den folgenden Titel und sollte allen Interessierten noch einmal zur Lektüre empfohlen werden:

"Wake me up, when September ends...

Stil Dass die Menschen im Sommer schöner wären, ist ein Akt der Selbsthypnose. Mode ist ein Herbstphänomen. Ein Trost im Sommerendblues, wenn auch unhip."

In diesem Text gibt es just einen Absatz, der für mich zum Stein des Anstosses wurde, denn ich ziehe des Hohe Lied auf den Sommer-Stil in den Tropen ohne Zweifel vor und bitte den Leser, selbst zu urteilen. Es handelt sich um folgenden Absatz:

"Sommerschönheit als Selbsthypnose

Styling gehört zu den Herbstfreuden. Denn so schön sich die Menschen im Sommer finden, gestalterisch ist das nicht der Brüller. Eine Sonnenbrille aufgesetzt und sich ins Straßencafe gehockt, ersetzt nur gefühlt so etwas wie Stil. In Wahrheit ist der Sommer die modisch langweiligste Zeit, auch optisch, der Mensch ist nicht perfekt, Stechmückenbeine, Dellen und Falten, alles wird akribisch ausgeleuchtet. Selbst schöne junge Frauen starren verdrossen auf ihre Beine und beklagen das defizitäre Badezimmerlicht, wo ihnen schon wieder ein Härchen (2 mm) entgangen ist, das nun in der grellen Sonne der Rasur spottet. Sicher sie übertreiben, aber ein Mehr an gezeigter Haut ist tatsächlich kein Mehr an Attraktivität. Man geht ja auch nicht an den FKK Strand, weil es dort so attraktiv wäre, sondern weil dort weniger gebaggert wird. Nach dem zehnten Blick auf das Hinterteil eines Mitmenschen, vergehen sexuelle Tendenzen." (Zitat Ende)

Nun denn, wie Ihr Euch sicher alle vorstellen könnt, trieb mich dieser Absatz schier auf die Palme. Wenn Ihr einigermassen unbefangen und mit weiblicher wie männlicher Lust gesegnet sein solltet, dann müsste mein eingestelltes Foto schon genügen, um Christines Behauptung ad absurdum zu führen.

Wenn Christine das Hohe Lied des Herbst-Stils singt, fühle ich mich bemüßigt, wenigstens ansatzweise das Hohe Lied des Sommer-Stils der Tropen zu versuchen, und zwar nicht als Selbsthypnose der Frauen, sondern als Fremdhypnose der Männer. Es sollte eingangs als kleine Nachhilfe erwähnt werden, dass in den Tropen der Sommer meist als Trockenzeit und Herbst und Winter als Regenzeit bezeichnet werden. Beide Zeiten mit durchschnittlichen Temperaturen zwischen 25 und 35 Grad Celsius.

Hier meine These:

Sommerschönheit in den Tropen bedeutet für das weibliche Geschlecht nicht nur Ballastabwerfen von überflüssiger Bekleidung, sondern damit verbunden die Befreiung aus jahrtausendealter Hypnose der Männer, der Machogesellschaft. Kleidung ist nur dort, wo sie unbedingt notwendig ist, wo sie die Schönheit des weiblichen Körpers eher betont, als sie unter Stoffen vor neugierigen Blicken zu verbergen versucht. Sommerschönheit bedeutet das Bewusstwerden der eigenen Stärke, der Schönheit von Körper, Geist und Seele. Sie bedeutet die Wiedererlangung der gleichberechtigten Rolle in der Gesellschaft. Sie bedeutet die Zurechtweisung der angeblichen Superiorität des Machos. Die hypnotische Kraft der Sommerschönheit erwirkt die Zähmung des angeblich starken Geschlechts.

Bei diesen Worten höre ich schon das schmerzliche Stöhnen der Macho-Leser in den gemäßigten Breitengraden. Auch Christines Möchtegern-Herbstschönheiten werden Bauchschmerzen bekommen, sehnen sie sich doch nach dezentem, andererseits Verlockung provozierendem Verstecken ihrer Körperlichkeit vor den Blicken der Sommerlüstlinge. Ganz im Gegenteil zu den Tropen scheint Herbst und Winter wie geschaffen, um durch allerlei modischen Firlefanz den Männern ein „Bezirz-Schnippchen“ zu schlagen, was allerdings nur durch entsprechenden Geldbeutel, den die Frau der Tropen selten ihr eigen nennen kann, gelingt.

Bevor ich an dieser Stelle zu einer Begründungsgeschichte meiner These komme, möge ein weiteres Beispiel von Sommerschönheit meinen Worten Nachdruck verleihen:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/04/Bruna_Tenorio.jpg

Foto: Widimedia Commons, brasilianisches Model Bruna Tenorio, 9.9.2007

Autor: Christopher Peterson

Man möge mir das Fehlen wissenschaftlicher Begründung nachsehen. Ich ziehe es vor, meine gesunden Empfindungen durch eine kleine Geschichte sprechen zu lassen.

Ich sitze lesenderweise unter den Schatten spendenden Arkaden an einem Ecktisch und nippe an meinem doppelten Espresso „cortado“ (mit ein wenig Milch säureabgemildert). Der Nachmittag auf der „plaza“ lockt die Menschen an, um der schönsten Zeit des Tages bei nachlassender feuchter Hitze zu huldigen. Die Nebentische werden rasch belebt von jungem Volk aus Schule und Universität sowie von den ersten Angestellten, die ihre Befreiung von Büroarbeit genießen. Es könnte in Manaos, Iquitos, Macas, Tingo Maria oder sonst einer Stadt im Amazonasgebiet sein.

Am Nebentisch, der von einigen Studentinnen besetzt ist, werde ich sogleich durch die verlockendsten Vertreterinnen des schönen Geschlechts von meinem „Vargas LLosa-Roman“ abgelenkt. Welche Gesichtsprofile, welche verheißungsvollen Nacken, wundervoll geformte Schultern, Dekolletés, die wahnsinnig machen, schlanke, nackte Arme, die ihre Natürlichkeit durch die unschuldigen, winzigen Härchen der Jugend betonen, gebräunte, straffe Bauchstreifen zwischen kurzen T-Shirts und knappsten Shorts, und dann, dann verliert sich mein Blick leider nur flüchtig, ich muss männliche Neugierde zu leugnen versuchen, in der Bewunderung von Frauenbeinen, gegen die Männerbeine Stampfer oder Krummsäbel übelster Sorte sind.

Jetzt stoßen einige lärmende Kommilitonen zu der Gruppe und rücken einen zweiten Tisch heran. Diese jungen Männer sind generell in langen schlotterigen Jeans und ebenfalls langen T-Shirts unterwegs. Einer von ihnen versucht den jungen Frauen mit einem George Clooney-Wochenbart zu imponieren. Ein anderer trägt seinen Brad Pitt-Ziegenbockbart zur Schau. Ein Dritter macht auf Peter Altmeier-Fastkahlcharakterkopf, verziert mit Tattoo.

Es entbrennt ein Hahnenkampf um die Frage, wer die spritzigsten Ideen, schnellste Auffassungsgabe und auch männlichste Attribute in die Waagschale werfen kann. Ich kann nicht umhin, die selbstbewusste Souveränität des „schönen Geschlechtes“ in dieser Auseinandersetzung der Geschlechter zu bewundern und mich zu fragen, wie verlief der historische Prozess der Emanzipation der Frau in den Tropen während eines zunehmenden Urbanisierungprozesses, der sich auch ganz besonders widerspiegelt in der Bekleidungskunst der Sommerschönheit in den Tropen.

Liebe dFC und besonders Christine Guindeau, es geht bei mir in Panamá bereits gen Mitternacht zu. Ich würde gern noch eine Weile aus verschiedensten Lebensbereichen und Regionen berichten, aber das führte hier zu weit. Dazu ist u.a. die Anden-Saga vorgesehen, die jetzt nach dem Elefantenduell und meiner Einmischung in den unsäglichen Wahlkampf und Aufruf zur Stimmenthaltung auf ihre Fortsetzung wartet. Vergessen wir rasch das Schmierentheater um politische Herrschaft und Fortsetzung der Parteien-Diktatur in der Republik und richten den Blick lieber auf die nächsten vier Jahre, in denen hoffentlich das Selbstbewusstsein der unabhängigen Zivilgesellschaft soweit entwickelt wird, wie das der Sommerschönheit in den Tropen (Wessen Herz schlägt bei dessen Anblick nicht mit doppelter Frequenz?), mit dem Ergebnis von unabhängigen Direktkandidaten in einem zukünftigen Bundestag.

Liebe Grüße aus Panamá, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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