Die Türkei zwischen Skylla und Charybdis

Verfassungsabstimmung Welche Konsequenzen gäbe es für Erdogan bei einer Niederlage beim Verfassungsreferendum am 16. April ? Einige leider zutiefst pesimistische Überlegungen.

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Vertraut man den Umfragen in der Türkei, sieht es derzeit nicht sehr gut aus für Erdogan. Die Mehrheit der Umfragen zeigen, dass eine knappe Mehrheit der Türken beim Referendum am 16. April über die Einführung des Präsidialsystems mit Nein stimmen werden. Einige wenige AKP-nahe Umfrageinstitute wiederum meinen, dass die Verfassungsänderung durchgehen wird, wenn auch mit einem knappen Ja. Wie auch das Ergebnis ausgehen wird, in dieser Konstellation ist dies ein Schmach für Erdogan und die AKP. Trotz der ganzen Repressalien gegen das Nein-Lager und den Hindernisse der es täglich gegenübersteht, der überwältigenden Medienpräsenz des Ja-Lagers, ist das Beste was das Ja-Lager derzeit erreichen kann, nicht mehr als 48 – 53 % der Stimmen, wobei das Pendel eher in Richtung Nein schlägt. Alles in allem vermag demnach Erdogan nur die Hälfte der türkischen Wähler von den Vorzügen seiner Alleinherrschaft zu "überzeugen".

Dennoch sollte man Umfragen nicht immer trauen. Nicht nur seit dem Brexit oder der US Wahl weis die europäische Öffentlichkeit, dass Umfrageinstitute keine Prophetie betreiben und sich meist irren können. 2015 war so ein Jahr für die türkischen Umfrageinstitute. Weder konnten alle Institute den Verlust der absoluten Mehrheit der AKP bei den Parlamentswahlen im Juni prognostizieren. Noch waren sie im Stande vorauszusehen, dass die AKP bei den November Wahlen im selben Jahr wieder die absolute Mehrheit erreichen würde. Für die Abstimmung am 16. April kann das bedeuten, dass die Umfrageinstitute wieder sich geiirt haben und dass das Referendum doch noch durchkommt. Oder es kann genau anders kommen, so dass Erdogan deutlich sein Ja verfehlt, weil viele Umfrageteilnehmer sich nicht trauen bei den Umfragen mit Nein zu antworten. Alles in allem bleibt die Abstimmung immer noch sehr spannend. Aber das ist hier nicht die Frage. Viemehr stellt sich die Frage, was bei einem Sieg oder Niederlage des Ja- bzw. Nein-Lagers passiert und da sieht es bei Weitem nicht rosig aus für die Türkei.

Gewinnt Erdogan die Volksabstimmung, dann wird er dies als eine Bestätigung seiner Person und seiner bisherigen Politik begreifen, denn er und die AKP propagieren die Abstimmungen nicht zu Wahl über einen Systemwechsel, sondern über die Person von Erdogan. Demnach sind es die inneren (PKK, Gülen, IS) und äußeren Feinde (Deutschland, Holland, usw.) der Türkei, die den Erfolg der Türkei zu einer großen Nation unter der Ägide Erdogans beneiden und dies verhindern wollen. Bei einem Sieg des Ja-Lagers, werden Erdogan und seine Anhänger sich bestärkt fühlen in ihrem Kampf gegen ihre Feinde und ihn fortführen. Dann können wir davon ausgehen, dass er die Säuberungen im türkischen Staat, sowie in der eigenen Partei gegenüber vermeintlichen Gegnern vorantreiben wird. Das bedeutet mehr Verhaftungen von vermeintlich politischen Gegnern und noch mehr Entlassungen im Staatsapparat. Der Krieg gegen die Kurden wird dann mit noch weiterer Härte weitergetrieben, weil weder das Parlament, noch die Gerichte oder die Medien Erdogan stoppen können. Schon jetzt hat er in einer Rede den Gegnern der Türkei, mit einem „heißen Sommer“ gedroht. Erdogan könnte auch sein Versprechen aus dem Wahlkampf wahr machen und über die Einführung der Todesstrafe abstimmen lassen, womit auch jegliche Beziehungen zur EU und Europa beendet wären. Die Türkei würde einen Pfad einschlagen der sich diametral vom dem unterscheidet, den sie in den 2000ern betreten hatte.

In diesem Sinne hofft nicht nur die türkische Opposition, sondern auch der Westen auf eine Niederlage Erdogans am 16. April. Doch was können wir bei solch einer Niederlage erwarten? Können wir hoffen, dass Erdogan das Ergebnis akzeptiert, den Notstand beendet und zu den demokratischen Spielregeln zurückkehrt? Würde er sogar zurücktreten und würde der Türkei die oben beschriebene Zukunft erspart bleiben?

Ein Nein beim Referendum wäre natürlich gleichbedeutend mit einem Gesichtsverlust für Erdogan. Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung hätte ihm signalisiert, dass sie seine Machtansprüche nicht mitmacht, trotz extensiven Wahlkampfs. Ebenso würden sich langsam einige Kritiker in der AKP zu Worte melden und Erdogans Position als Führer der Partei anzweifeln. Schon jetzt hat zum Beispiel der ehemalige Staatspräsident und Erdogans Vorgänger Abdullah Gül signalisiert, dass er bei der Abstimmung mit Nein abstimmen wird und demonstrativ bei einer Wahlkampfveranstaltung für das Ja Lager in seiner Heimatstadt Kayseri nicht teilgenommen. Gül und einige Gründungsmitglieder der AKP, die von Erdogan kalt gestellt wurden, würden eventuell nicht nur die eine Palastrevolte gegen Erdogan anführen, sondern auch sich als Männer für die Zeit danach präsentieren. Natürlich stellt sich die Frage, ob dies Gül gelingen würde, nicht nur weil ihm in der Partei eine Hausmacht fehlt, sondern weil er schon immer zögerlich war und die ihm sich bietenden Möglichkeiten im Sommer 2015, als die AKP und Erdogan geschwächt war, nicht genutzt hat. Ebenso ist auch die Frage berechtigt, ob Gül würklich eine wahre Alternative zu Erdogan darstellt, weil er während seiner Präsidentschaft, alle Gesetzesvorschläge der AKP durchgewunken hatte. Erdogan hätte auf jeden Fall ein innerparteiliches Problem, dem er sich stellen müsste. Ob dies ein großes Problem darstellt für ihn als machtpolitisches Steh-auf- Männchen, ist natürlich eine andere Frage.

Alle Gegner, die auf einen Sturz Erdogans nach dem 16. April hoffen, sollten sich vor Augen halten, dass sich die Situation von 2017 sehr von der in 2015 unterscheidet. 2015 regierte Erdogan nicht per Notstandsdekrete und ihm standen mächtige Medien und ein mehr oder weniger unabhängige Justiz gegenüber. Dennoch gelang es Erdogan im Sommer 2015 – der sich nach der Niederlage erst drei Tage später in der Öffentlichkeit blicken ließ –die Koalitionsverhandlungen der Opposition zu sabotieren und eine mögliche Regierungsbildung zwischen der AKP und der kemalistischen CHP soweit hinauszuzögern, so das er am Ende ganz bequem Neuwahlen für den November 2015 ausrufen konnte. Bergründet hatte er dies nicht wegen der Unfähigkeit der Parteien eine Regierung zu bilden, sondern das man dem Volk das Recht geben soll, seine „Entscheidung erneut zu überdenken“. Im Falle einer Niederlage am 16. April spricht also nicht dagegen, dass Erdogan einfach das Ergebnis nicht anerkennt. Insbesondere wenn die Abstimmung mit 51% sehr knapp abgelehnt würde, kann er darauf pochen den „Souverän“ zu bitten, seine „Entscheidung zu überdenken“. Schon jetzt hat ein Präsidentschaftsberater mysteriös angedeutet, dass mit einem Nein beim Referendum, das Präsidialsystem nicht vom Tisch ist und man andere Wege suchen werde.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was sich bei einer Niederlage für Erdogan an der aktuellen de-facto Situation in der Türkei ändern wird. Er regiert das Land seit Juli 2016 per Notstandsdekret – und zwar nach den Befugnissen die ihm die derzeitige aktuelle Verfassung gibt! Es ist ein Leichtes für Erdogan, mit dem Verweis auf die inneren und äußeren „Gefahren“, den Notstand nicht aufzuheben und wie bisher weiter zu regieren. Das Parlament hat sich mit der Aufhebung der Abgeordnetenimmunitäten – mit der Hilfe der Opposition – selbst entmachtet, Gerichte und Medien sind gleichgeschaltet und scheiden somit als Gegenmacht, die Erdogan bremsen könnte, aus. In so einer Situation kann Erdogan auch im Falle einer Niederlage, nicht nur einfach weiterregieren wie bisher, sondern er befindet sich auch in einer sehr günstigen Situation, seine innerpolitischen Gegner, die sich im Falle einer Niederlage melden würden, auszuschalten und sogar seine Macht in der Partei weiter zu festigen. Er wird dann behaupten, dass seine innerparteiischen Gegner heimliche Mitglieder und Unterstützer der („Terror-„) Bewegung von Fetullah Gülen sein und die als Vorwand nehmen sie verhaften zu lassen. Schon jetzt wird gemunkelt, dass etwa 150 AKP Parlamentarier mit der Gülen Bewegung in Verbindung stehen und dass sie bisher nicht verhaftet wurden, weil man sie bei der Abstimmung im Parlament brauchte. Die Paradoxie in der Sache liegt daran, dass ein Nein am 16. April gerade Erdogan nicht schwächen, sondern viel eher stärken wird.

Der türkische Wähler steht also einer Situation gegenüber, in der seine Stimme die aktuelle politische Lage leider nicht verändern wird. Eine Mehrheit der Nein Stimmen hat leider nur einen symbolischen Wert. Sie wird Erdogan „kränken“ und ihm signalisieren, dass er die Mehrheit des Volkes nicht mehr hinter sich hat, ihn somit weiterhin in die Isolation drängen. Aber sie wird kaum Erdogan davon abbringen seine Macht freiwillig abzugeben, weil zu viel für ihn, seine Familie und Anhängern auf dem Spiel steht, auch aus dem Grund, weil sie sich immer mehr Feinde gemacht haben und nun Angst vor der Rache ihrer Gegner haben. So steht die Türkei am 16. April vor der Entscheidung von Skylla und Charybdis entgegen und blickt einer ungewissen Zukunft entgegen und man fragt sich, wann die letzte Ausfahrt genommen wurde, die diese verfahrene Situation verhindert hätte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cüneyd Dinc

Lebte und arbeitete als Soziologe in Istanbul. Jetzt arbeitslos in der hessichen Provinz

Cüneyd Dinc

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