Mein Aufschrei als Muslim

Islam in Deutschland Warum wir moderaten Muslime in Deutschland entschiedener gegen Salafısmus eintreten müssen oder warum das Verbot gegen "Die wahre Religion" richtig ist

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Gilt als eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Salafismusszene: Sven Lau
Gilt als eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Salafismusszene: Sven Lau

Bild: Sascha Schuermann/Getty Images

Ich sehe mich als einen moderaten religiösen Muslim und deutschen Staatsbürger an. Ich bete fünf Mal am Tag, gehe Freitags zum Freitagsgebet in die Moschee, faste zu Ramadan, trinke keinen Alkohol. Ich brauche keinen islamischen Staat, um meine Religion auszuleben. Für mich ist die Religionsfreiheit in Art. 4 im Grundgesetz ausreichend, um meinen Glauben auszuleben. Demokratie und Rechtsstaat sind für mich hohe Güter, die man auch als Muslim verteidigen muss. Den Koran lese ich aus einer geschlechtssensiblen Perspektive und glaube, dass Frauen und Männer vor Gott gleich sind und deshalb auch dieselben Rechte haben. Für mich ist es egal, ob mein Vorbeter in der Moschee eine Frau oder ein Mann ist. Ebenso glaube ich, dass mein Koran nicht von mir verlangt, jeden, der nicht so denkt wie ich, bekehren oder töten zu müssen. Mein Verständnis vom Islam erlaubt es jedem, seinen Glauben so zu leben, wie er will. Er kann an einen Gott oder an mehrere Götter glauben – oder es auch lassen. Er kann auch seine Religion verlassen, wenn sie ihm nicht passt, und zu einer anderen übertreten. Ja, mein Glaube erlaubt es mir, mit Atheisten, Christen und Apostasen zusammenzuleben, auf der Basis gemeinsamer Werte, die alle Menschen teilen. Ja ich glaube auch, dass Menschen heiraten dürfen, wenn sie wollen, unabhängig von Ihrer sexuellen Orientierung, Religion und Herkunft.

All dies sind meine Überzeugungen als deutscher Muslim. All dies sind aber auch Überzeugungen, die Salafisten nicht teilen, egal ob sie wahabitischer oder dschihadistisch sind. Ihre Grundsätze verzerren in meinen Augen die wahre Botschaft des Islam. Der wahabitische Salafismus wird zwar als friedlich betrachtet, weil er nicht zum Dschihad aufruft, zumindest nicht direkt. Aber zum einen stützt er sich auf solche Quellen wie Hadithen, deren Authenzität aber in Frage gestellt werden muss, weil sie erst 200 Jahre nach dem Tod Mohammed entstanden sind und vielen Geboten im Koran wiedersprechen. Zum anderen zwingt der Salafismus Muslimen in Deutschland ein Weltbild und Lebensstil auf, der ihre Integration mehr als verhindert. Er führt zu Angsterscheinungen bei einigen Nichtmuslimen in Deutschland und stärkt den rechten Rand. Aber auch wenn der friedliche Salafismus keine direkte Gewalt predigt, bereitet er einen diskursiven Nährboden für den Dschihad im Nahen Osten, indem er die Welt in Gläubige und Ungläubige teilt. Der wahabitische Salafismus ist in meine Augen eine Einstiegsdroge, die Leute mit der Zeit noch mehr radikalisiert.

Mit diesem wahabitischen Salafismus müssen wir uns argumentativ auseinandersetzen. Wir müssen uns fragen, was in diesem Land so schief läuft, dass junge Muslime solch eine radikalen Abkehr von ihrem bisherigen Alltag willkommen heißen. Wir müssen diese jungen Menschen erreichen, bevor die wahabitischen Seelenfänger wie Pierre Vogel, Sven Lau oder Ibrahim Abou Nagie sie einfangen, ihnen sagen, dass dieser Islam den diesen Gestallten predigen, der falsche Islam ist. Dass Gott von Ihnen keine Bürde verlangt die sie nicht tragen können. Dass die eigentliche Botschaft des Korans ist, dass es keinen Zwang im Glauben gibt. Dass sie selbst ihren Verstand benutzen sollen und nicht blind irgendwelchen Traditionen und Imamen folgen sollen.

Mit dem dschihadistischen Salafismus können wir nicht reden. Viele dieser Menschen sind schon so radikalisiert, als dass ein einzelner noch etwas machen kann. Sie sind eine Gefahr für dieses Land. Diese Menschen bringen nicht nur jungen Muslimen eine obskure Vorstellung des Islams bei, nein, sie überzeugen sie auch, im Nahen Osten ihr junges Leben zu lassen. Darum befürworte ich als Muslim das Verbot und die Razzien der Polizei gegen die Salafisten der „Die wahre Religion“-Gruppe um den radikalen Salafistenprediger Abou Nagie. Diesen Menschen muss der Rechtsstaat mit all seinen Mitteln das Handwerk legen und verhindern, dass sie Menschen für den Dschihad rekrutieren, um sie im Nahen Osten zu verheizen. Denn ist es nicht eine Funktion des deutschen Rechtsstaates Extremisten, egal ob rechts, links oder islamistisch, Einhalt zu gebieten?

Dennoch habe ich eine Reihe von Fragen, die in mir eine Wut entfachen und einen Aufschrei auslösen. Ich weiß, dass die Mehrheit der Muslime den Salafismus als solchen vom Herzen ablehnen. Aber sie sind zu stolz direkt, um gegen diese Menschen eine Position einzunehmen. Vielleicht will man nicht als Nestbeschmutzer da stehen, vielleicht will man nicht sein „Gesicht“ vor den Deutschen verlieren? Aber verstehen diese Muslime denn nicht, dass dieser Salafismus dem Islam schadet? Muslime in Deutschland müssen endlich aus ihrer Opferrolle rauskommen und wissen, wer ihre „Feinde“ und wer ihre „Freunde“ sind. Natürlich weiß ich, dass wenn ich diese Zeilen schreibe, ich wieder von den Falschen beklatscht werde. Darauf kann ich verzichten. Mir wäre es lieber wenn die Islamische Community sich endlich mal erhebt und dieses Problem selbst löst.

Natürlich frage ich mich auch, was die verschiedenen islamischen Verbände machen, die ja angeblich uns Muslime vertreten wollen. Zumindest glauben, dass ihnen jemand das Recht dazu gegeben hat. Anstatt direkt gegen den Salafismus Position zu beziehen, haben die Verbandsfunktionäre von DITIB, Islamrat und ZRM nur das Ziel, ihre Privilegien zu bewahren und ihre Verbände an die Tröge der Macht zu bringen. Warum gab es keine Aufschrei der Verbände bei der LIES Aktion? Was machen die Verbände an Aufklärungsarbeit? Haben die Verbände überhaupt ein Interesse an Aufklärung und wenn ja, wie sieht es aus? Oder wagt man so etwas nicht, weil einige Mitglieder dieser Verbände einen ähnlich konservativen Islam vertreten wie die Salafisten, nur etwas anders verpackt? Gleich nach dem Verbot von „Die wahre Religion“ traten einige Vertreter der Verbände auf, die meinten, man müsse behutsam vorgehen, da man sonst die Gefühle der Muslime verletzen könnte. Welche Gefühle? Keine Sorge, wenn solche Fanatiker im Rahmen des Rechtsstaates verboten werden, sind meine religiösen Gefühle nicht verletzt. Nur weil ich mit jemand gemeinsam bete, heißt das nicht, dass ich ihn für seine Fehler gegenüber anderen verteidigen muss. Das eigentliche Problem ist doch, dass viele Muslime in Deutschland ein sehr seltsames Bild von der Umma, der Gemeinschaft der Muslime, haben. Sie leben in einer eigenen Welt, in der sie als „die Gläubigen“ gegen „die Ungläubigen“ stehen und jede Aktion gegen Muslime eine Form von Rassismus ist. Genau dieses Denken wird auch von vielen Verbandsfunktionären geteilt und auch gefördert. Wenn zum Beispiel Bekir Alatas vom IGMG meint, dass „der Kampf gegen Extremisten mit Augenmaß, Fingerspitzengefühl und Weitsichtgeführt werden muss“, verstärkt dies natürlich wieder das Gefühl bei einigen Muslimen, dass nicht die Salafisten einen Fehler gemacht haben, sondern die Behörden, die gegen sie vorgehen. Inwieweit so eine Rhetorik hilfreich und verantwortungsvoll ist, muss dahingestellt werden.

Auf der anderen Seite frage ich mich, wo der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft bisher waren? Der Salafismus ist nicht erst gestern in Deutschland entstanden. Aber was macht der deutsche Staat, um dagegen vorzugehen? Ja, Verbote sind ein gutes Mittel, aber sie kommen meist zu spät. Es bedarf einer Aufklärungsarbeit durch die zivilstaatlichen und staatlichen Institutionen. Nur wo sind die ganzen Streetworker, die im Islam bewandert sind und es argumentativ mit den Salafisten aufnehmen können? Was wird denn in den Fachschulen für Sozialwesen unterrichtet? Warum werden erst jetzt islamische Religionslehrer an Universitäten ausgebildet? Was haben die konservativen Verbände in den Beiräten der theologischen Islam-Fakultäten zu suchen? Die wenigen Initiativen sind zwar wichtig, aber zu wenige, um etwas zu bewirken. In diesem Bereich muss mehr gemacht werden, sonst wird Deutschland von den muslimischen und nichtmuslimischen Extremisten zerrieben. Das Problem Salafismus ist nicht nur aufgrund des Schweigens der muslimischen Community entstanden, sondern auch weil notwendige Schritten durch den Staat vernachlässigt wurden. In diesem Sinne ist der Salafismus ein Problem von Muslimen und Nicht-Muslimen. Wenn beide nicht endlich aus ihrer Komfortzone heraustreten, werden die Falschen sich dieses Themas annehmen: der rechte Rand um die AfD. Dann ist es aber zu spät. Deshalb müssen die muslimischen und nichtmuslimischen Gerechten endlich aufwachen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cüneyd Dinc

Lebte und arbeitete als Soziologe in Istanbul. Jetzt arbeitslos in der hessichen Provinz

Cüneyd Dinc

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