Germanwings - Gesellschaftlicher Todesflug

Ein Kommentar Erfolgreicher Suizid ist unumkehrbar, der bestialische Umgang der Medienlandschaft und der Gesellschaft mit dem Phänomen allerdings nicht.

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Ein Mann, nennen wir ihn Mensch, geplagt von einer schweren Depression, die ihm jede Lust am Leben nimmt, bewegt ihn dazu sich selber umzubringen. Er ist Pilot, setzt sich in den Flieger und als sich ihm die Möglichkeit bietet, lenkt er ein Flugzeug im Sturzflug in die Alpen. An Bord befinden sich Unbeteiligte. Das interessiert den Piloten nicht, der anscheinend andere Sorgen hat.

Denken wir, wenn es unserem durch die Gesellschaft gekränktem Geiste denn noch möglich ist, logisch, mag zu bezweifeln sein, dass die Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht bei Patienten mit bestimmten Risiko-Berufen (Pilot, Busfahrer, Taxifahrer, Kernkraftwerk-Mitarbeiter, Lehrer, Bäckermeister, Bademeister und Parkwächter) dazu führt, dass etwaige geplante Suizide frühzeitig erkannt werden. Glaubt heute wirklich noch jemand daran, dass Risiko-Berufsgruppen ihre Suizid-Gedanken mitteilen, wenn die ärztliche Schweigepflicht gelockert wird? Die Leute sind psychisch krank und nicht blöd, auch wenn man uns glauben machen möchte, dass psychischkrank und blöd synonym wären. Das Bekanntwerden einer Suizid-Problematik würde einhergehen mit dem Verlust des Jobs bzw. einer langfristigen Arbeitssperre und der Intensivierung persönlicher Probleme. Ein Schweigen der Betroffenen wird die Folge sein und nicht die Abwendung zukünftiger Katastrophen. Die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht erhöht nur die Gefahr einen Selbstmörder nicht als solchen diagnostizieren zu können. Man muss also Handeln.

Dieses Phänomen, nämlich handeln um des Handelns Willen, nennt man Aktionismus. Der Bürger soll das Gefühl haben, dass etwas geschieht, um ihn in Zukunft vor solcherlei Tragik zu schützen. Niemand möchte hochbezahlte Spitzensportler sehen, die sich vor fahrende Züge werfen oder Piloten, die Flugzeuge in Berghänge manövrieren. Aktionismus geht in einer Vielzahl von Fällen mit Blindheit einher, die sich dem tatsächlichen Problem verwehrt und dieses nicht in den Fokus nimmt, sondern ausblendet – abgesehen von der Tatsache, dass es bereits Ausnahmeregelungen gibt, welche die Verschwiegenheitspflicht des Psychologen außer Kraft setzen können (§§ 138; 139 StGB).

Bestärkt wird dieser blinder Aktionismus durch die Art und Weise des öffentlichen Umgangs mit der Thematik. Er wird geradezu gefordert, aber mit Konsequenzen und einer schalen Erkenntnis.

Die Chance einer Zunahme tragischer Ereignisse, vergleichbar mit dem Selbstmord des jungen Werthers, der seiner Zeit als fiktiver Suizid schon für einiges an Aufsehen sorgte und motivierend auf eine Menge unentschlossener Selbstmörder wirkte, wird durch die gegenwärtige Art und Weise der Debatte befeuert. Es bilden sich Hetzkampagnen und die Idiotie kleingeistiger Meinungsmacher formiert sich in der Lektüre des intellektuellen Kaffeesatzes der Internet-Kommentar-Funktions-Abteilung. Meinungsbildung par exzellente für den philosophischen und reflektierten Geist, der es verdient als Abfallprodukt kleinbürgerlicher Idiotie beschrieben zu werden. Blind werden hetzerische Schlagzeilen konstruiert und in mittelalterlicher Manier - dort geschehen mit Krüppeln und Geisteskranken - wird eine geplagte Seele zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und zur allgemeinen Besänftigung an das Kreuz geschlagen. Hier und dort scheinen sich allerdings noch einige Meinungsmacher Niveau auf die Fahne schreiben zu wollen. Bei ihnen wird hart aber fair gefeilscht und mit Vernunft an die unvernünftige Störung in allen Geisteskranken appelliert. „Wenn man sich umbringt, dann doch bitte alleine und keine anderen mit in das Verderben reißen.“, sagte irgendein Fernsehmoderator in irgendeiner Sendung. Dieser Grundsatz scheint so einfach, dass es schockiert, wenn ein Selbstmörder ihn nicht befolgt. Tatsächlich könnte man den Eindruck gewinnen, mit dem Selbstmörder stimme etwas nicht.

Bei solchen Äußerungen und Ansichten muss man sich, je fester desto besser, an den Kopf schlagen. Wären Selbstmörder vernünftigen Argumenten gegenüber zugänglich, würden sie sich selbst nicht in den Tod reißen, ja wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht erst in ihrer misslichen Lage. Sie haben sich entfernt von Rationalität, Vernunft und Reflexion – Eigenschaften, die ihnen das Leben retten könnten, es aber nicht tun, weil sie nur noch als Inseln am Horizont eines stürmischen Meeres zu erahnen sind. Es gilt sie auf die Pfade dieser Eigenschaften zurück zu führen und das sollte im Kern die Forderung einer rationalen, vernünftigen und reflektierten Gesellschaft sein. Hier entlarvt sich diese Gesellschaft, stellvertretend durch einen Großteil der Medienlandschaft, im Umgang mit solcherlei Katastrophen als das, was sie ist: Sie ist selber geisteskrank! Wer unter Protest mit der Forderung aufwartet, man müsse potentiellen Selbstmördern mit Vernunft begegnen, der ist – um es so freundlich wie möglich auszudrücken- der Unvernunft anheim gefallen und nicht minder geisteskrank als jeder Jesus und Napoleon in den geschlossenen Sanatorien unserer Republik. Wer Katastrophen durch Selbstmörder von Beginn an unterbunden wissen will, der darf nicht vergessen, dass es dafür die Basis einer vernünftigen Gesellschaft bedarf, in der sich potentielle Selbstmörder aufgehoben fühlen und ohne Angst vor tiefgreifenden beruflichen und sozialen Konsequenzen offenbaren können. In einer solchen Gesellschaft leben wir nicht und sie scheint in weiter Ferne, auf einem stürmischen Meer als kleine Insel, irgendwo hinterm Horizont verborgen zu liegen.

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