Unschuldige Ratten der Lüfte?

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Von allen Vögeln sind sie vermutlich die umstrittensten: Tauben. Die Tiermedizinerin Almut Malone sprach darüber in Deutschlandradio Kultur. Ihr zufolge übertragen Straßentauben nicht mehr Krankheitserreger als andere Tiere. Um dem Problem der massenhaften Vermehrung zu begegnen, plädiert sie für betreute Taubenschläge, in denen die Eier der Tiere durch Gipsattrappen ersetzt werden. Nur das könne die Reproduktion nachhaltig kontrollieren. Alle anderen Versuche, beispielsweise über Abschüsse, Vergiftungen oder mittels Falken die Situation zu verbessern, scheiterten in den letzten Jahrzehnten. Für Malone ist die Sache logisch: Wenn mehr der Tiere sterben, vermehren sie sich umso stärker. Tauben brüten sieben Mal im Jahr. Das habe ihnen der Mensch angezüchtet, um ganzjährig Fleisch, Eier, Federn und den Kot, als Dünger, von ihnen zu erhalten, erklärt die Tiermedizinerin.

Ein wenig anders betrachtet der Biologe Professor Daniel Haag-Wackernagel von der Universität Basel die Thematik. In einem Artikel der Fachzeitschrift Biologie in unserer Zeit schreibt er, dass eine Lösung des Problems nur erreicht werden könne, wenn man das Nahrungsangebot der Straßentauben senke. Infolge eines verminderten Nahrungsangebots, erhöhe sich die Zeit für die Futtersuche. Während die Vögel damit beschäftigt seien, können sie nicht brüten, erläutert der Biologe. Mittelfristig würden sie sich dem reduzierten Angebot an verfügbarer Nahrung anpassen. Als Ursache für die hohe Taubenpopulation sieht er vor allem die Fütterung durch den Menschen.

Eine geringere Anzahl Tauben bringt nach Haag-Wackernagel zwei positive Aspekte mit sich: Zum einen bedeute es weniger Taubenkot in den Städten und somit Schäden an Denkmälern und Gebäuden aufgrund der darin enthaltenen Proteine und organischen Säuren. Zum anderen verbessere sich die Lebensqualität der Vögel durch einen verminderten Konkurrenzdruck unter den Artgenossen.

Im Gegensatz zu Malone hält Haag-Wackernagel eine nachhaltige Reduktion der Taubenpopulation, alleine durch menschliches Eingreifen in die Geburtenhäufigkeit der Vögel, für nicht möglich. Einig sind sich die beiden hingegen dabei, dass das massenhafte Abschießen oder Vergiften nichts bringe. Haag-Wackernagel fügt an, dass die Tötung nur die Bestände verjünge, indem Jungvögel nachrücken. Auch die sogenannte „Taubenpille“, eine empfängnisverhütende Maßnahmen, können die Tiere kompensieren.

Weiterhin decken sich die Aussagen der beiden Wissenschaftler hinsichtlich der sehr geringen Gefahr einer Krankheitsübertragung auf den Menschen. Schließlich herrscht Einigkeit über die enorme Fruchtbarkeit sowie die Domestikation der Tauben ob ihres Fleisches und des nährstoffreichen Kots.

Ergebnisse können beide Wissenschaftler mit ihren Strategien vorweisen: So erreichten Haag-Wackernagel und sein Team mit ihrem Projekt eine Halbierung der Taubenbestände im schweizerischen Basel. Dazu betrieben sie intensive Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung, was das Nahrungsangebot minderte. Ergänzend errichteten sie betreute Taubenschläge ein. In den ersten Jahren des Projektes wurde zudem ein kleiner Teil der Population abgefangen und getötet. Heute sei dies nicht mehr nötig. Nach Angaben von Haag-Wackernagel haben mittlerweile andere Städte im In- und Ausland das Konzept übernommen.

Demgegenüber verzeichnete die Stadt Erlangen einen “deutlichen” Rückgang der Taubenpopulation aufgrund der Einrichtung betreuter Schläge und dem Austausch der Eier durch Attrappen. Andere Städte sind dem Beispiel gefolgt. Entsprechend empfiehlt der Landesbeirat für Tierschutz beim Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg ebenfalls ein derartiges Vorgehen.

Wenngleich sich die Herangehensweisen beider Wissenschaftler im Detail unterscheiden – die Ergebnisse beider Methoden scheinen für sich zu sprechen.

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Lesen Sie, was Dr. Malone und Prof. Haag-Wackernagel den differierenden Thesen des jeweils anderen entgegnen - bei Wissenschaft und Schreie. Und diskutieren Sie mit, wenn Sie mögen.

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Geschrieben von

cyberling

Wissenschaft kompakt. Themen: Energie, Ernährung, Klima,Medizin, Psychologie, Tiere,Umwelt & Wirtschaft.Zuvor veröffentlicht auf Wissenschaft&Schreie.

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