Mehr als Bullerbü und Karlsson vom Dach

Ilon Wikland in Waiblingen Wenn der Name Ilon Wikland nicht schon ein nostalgisches Gefühl von Wiedererkennen auslöst, dann das Ausstellungsplakat – es zeigt das Buchcover von „Karlsson vom Dach“.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Gemalt wurde es von Astrid Lindgrens „Leib- und Magen“-Illustratorin Ilon Wikland. Die Galerie Stihl in Waiblingen zeigt momentan mit über 200 Exponaten einen Überblick über das Schaffen der 1930 in Estland geborenen Ilon Wikland.

Mit 14 Jahren emigrierte Wikland nach Schweden, besuchte Kunsthochschulen im In- und Ausland. 1954 begann die Zusammenarbeit mit der bis heute beliebtesten Kinderbuchautorin der Welt – Astrid Lindgren. Der Erstversuch mit "Mio, mein Mio" traf dermaßen Lindgrens Vorstellungen, dass Wikland daraufhin fast alle Bücher, über 30, von ihr illustrierte. Künstlerisch entwickelte sie sich weiter, aber ihr Stil blieb unverkennbar. Ohne diese Zeichnungen sind die Bücher und Geschichten schlicht nicht vorstellbar. Die liebevollen, detailreichen, leicht naiv anmutenden, oft in Rundhorizont-Ästhetik gezeichneten Bilder, die die Betrachter:innen regelrecht in sich hineinziehen, und die darin vor Augen geführte überbordende Lebenslust, machen einen wesentlichen Reiz der Bücher aus. Zugleich prägen sie die Vorstellungen ihrer Leser:innen vom Aussehen der Figuren. Vielleicht ein Grund, weshalb die Karlsson-Filme nie so richtig populär wurden – der Karlsson im Film ist weit weniger knuffig als der gezeichnete.

Wikland bebilderte auch andere schwedische Kinderbücher; die Ausstellung zeigt auch hiervon eine Auswahl. Vor allem aber zeigt die Ausstellung noch Teile des Alterswerks von Wikland. Spät nämlich begann sie ihre Kindheit und Jugend in Bildergeschichten zu verpacken und zu verarbeiten. Ihren turbulenten ersten Schultag etwa. Aber eben auch Krieg, Besetzung, Nazi- und Stalinterror, Flucht. Ästhetisch gleichen die Bilder den Kinderbüchern, aber sie zeigen keine heile Welt mehr. Mal mehr mal weniger subtil schleicht sich das Grauen in die Bilder ein; etwa mit einer Blutlache, in der ihr Hund liegt.

Ilon Wikland hat ihr Leben lang Kinder gezeichnet, aber ihre Bildsprache richtet sich auch an die „Großen“. So schön es ist, Kinderbuchlieblinge in Originalzeichnungen und -aquarellen zu sehen, die so einfach noch plastischer wirken als gedruckt - das Eindrucksvollste in dieser Ausstellung ist die Geschichte „Im Haus meiner Großmutter“, aus dem die Nachbarsfamilie nach Sibirien deportiert wurde.
Ein Bild zeigt sechs fröhliche, im flachen Wasser planschende Kinder; ein typisches Bullerbü-Motiv. Das nächste bricht komplett mit der üblichen bunten, lebensfrohen Ästhetik, ist stattdessen schwarz-grau und verschwommen: Am unteren Bildrand zieht sich ein kleiner, sehr langer Zug entlang, aus dessen riesiger Dampfwolke die Porträts von Lenin und Stalin kondensieren. Es folgt nochmal das Bild der im Wasser planschenden Kinder. Aber etwas ist anders – es sind nur noch fünf Kinder. Ein Junge fehlt, und man kann auch bestimmen, welcher. Schlichter und eindrücklicher kann man Geschichte kaum vermitteln. Bullerbü-Ästhetik ohne Bullerbü-Romantik. Sehr berührend, ganz groß.

Ilon Wikland. Von Bullerbü bis Karlsson vom Dach. Galerie Stihl, Waiblingen; noch bis 11.6.2023

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden